Der Heilbronner Polizistenmord und die Frage nach dem Heute
Warum starb Michèle Kiesewetter? Rund 350 Besucher haben die TV-Doku des SWR am Mittwochabend im Heilbronner Redblue gesehen. Im Anschluss richteten auf Einladung des SWR und der Heilbronner Stimme Vertreter von Politik, Wissenschaft, Polizei und Medien den Blick zurück und auf aktuelle rechtsextremistische Entwicklungen.
Rund 350 Besucher haben am Mittwochabend im Heilbronner Redblue die neue TV-Dokumentation des SWR gesehen, die den Polizistenmord am 25. April 2007 auf der Theresienwiese beleuchtet.
Im Anschluss richteten auf Einladung des SWR und der Heilbronner Stimme Vertreter von Politik, Wissenschaft, Polizei und Medien den Blick zurück und diskutierten unter der Moderation von SWR-Aktuell-Moderatorin Stephanie Haiber und Uwe Ralf Heer, Chefredakteur der Heilbronner Stimme, über den Fall und gegenwärtige rechtsextremistische Entwicklungen.
Mehr als 350 Menschen sehen SWR-Dokumentation zum Heilbronner Polizistenmord
Kein Applaus. Stattdessen bedrücktes Schweigen. Nach der rund 30-minütigen TV-Dokumentation des SWR über den Heilbronner Polizistenmord vor mehr als 18 Jahren herrschte am Mittwochabend im Veranstaltungssaal des Redblue in den Böllinger Höfen Stille.
Die Wunde der unbegreiflichen Tat ist in Heilbronn offenbar längst nicht verheilt. Die offenen Fragen, die nach beinahe zwei Jahrzehnten noch immer unbeantwortet sind, lassen viele nach wie vor ratlos zurück.
Serienmörder des NSU ermordeten Polizistin mit gezieltem Kopfschuss
Serienmörder des Nationalsozialisten Untergrunds (NSU) hatten am 25. April 2007 die 22 Jahre alte Polizistin Michèle Kiesewetter mit einem gezielten Kopfschuss aus nächster Nähe umgebracht. Und ihren 24-jährigen Kollegen Martin A. schwer verletzt. Am helllichten Tag. Mitten in der Stadt. Antworten auf das „Warum“ konnten die Filmemacher und Journalisten auf dem Podium ebenso wenig geben, wie die Vertreter der Polizei und der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl.
„Der Rechtsextremismus fordert uns heraus“, sagte SWR-Moderatorin Stephanie Haiber. Die Politik und die gesamte Gesellschaft. Im Dschungel der Falschmeldungen und Parolen nicht zuletzt in den sozialen Medien brauche „der Qualitätsjournalismus mehr Zusammenhalt“. So verstehen die Heilbronner Stimme und der SWR auch die gemeinsame Veranstaltung am Mittwochabend im redblue. „Aufklären und erklären ist wichtiger denn je“, sagte Stimme-Chefredakteur Uwe Ralf Heer.
Ehemaliger Kriminaltechniker gab das Versprechen, den Fall aufzulösen
Aufklären will auch Peter Fink. Der ehemalige Kriminaltechniker bei der Heilbronner Polizei und Polizeioberkommissar war einer der Beamten, die am 25. April 2007 die Spuren am Tatort sicherten. Neben der tot am Boden liegenden Polizistin hatte er das Versprechen gegeben, den Fall aufzulösen. 18 Jahre später sagte er auf dem Podium: „Es ist schwer zu sagen, in welchem Stadium ich mich befinde.“ Klar sei aber, dass er mit diesem Mord niemals seinen Frieden schließen könne. „Selbst wenn der Fall lückenlos aufgeklärt wäre.“
Bei der SWR-Dokumentation mitzuwirken sei „ein richtiger Schritt in die richtige Richtung“ gewesen, so Fink. Auch wenn der ehemaligen Polizeioberkommissar laut Theo Heyen, Autor des Filmbeitrags, „lange überlegt hat“. Für den Filmautor war Fink ein Glücksfall. Denn die Filmemacher wollten mit den Personen sprechen, „die nah dran sind“, so Heyen.
Erklärungen und Spekulationen rund um den Mord an Michèle Kiesewetter gebe es reichlich, so der Autor. Auch solchen Spuren sei sein Team nachgegangen. „Um sie abzuarbeiten und auszusortieren“, sagte Heyen. „Wir sind dicht an den Fakten dran.“
Journalisten bemühten sich um Fakten
Um Fakten bemühten sich auch die Journalisten, die 2007 über den Polizistenmord berichteten. Wie die Beschäftigung mit einem Brennglas sei die Arbeit damals gewesen, so der Heilbronner SWR-Redakteur Jens Nising. Theorien und Spekulationen habe es von Anfang an gegeben, so Nising. Dazu beigetragen hätten Fehler der Ermittler, etwa mit den kontaminierten Wattestäbchen, die die Polizei zwei Jahre lang eine falsche Spur verfolgen ließen. „Dann kam der NSU, und der Dampf war erst einmal raus“, so Nising. Endgültig geklärt sei der Fall dennoch nicht.
„Wir blicken mit dem Wissen von heute auf den Fall zurück“, sagte Uwe Ralf Heer. So sei es jetzt einfach, Fehler zu kritisieren. „Damals gab es aber keine Blaupause.“ Es sei eine Situation gewesen, „auf die wir in Heilbronn nicht vorbereitet sein konnten“, so der Stimme-Chefredakteur. Trotzdem habe von Anfang an gegolten, dass die Redakteure „mit Blick auf Glaubwürdigkeit“ recherchierten“. Mit Blick auf die Entwicklung der sozialen Medien zeigte sich Heer überzeugt, „dass der Fall heute viel schlimmer behandelt würde“.
Der Polizistenmord hat viele Erzählungen
„Journalisten stürzen sich zuerst auf Widersprüche“, sagte Thomas Reuter, Redakteur der SWR-Dokumentation. Stießen sie auf viele Fehler, tauchten Spekulationen auf. Dafür blieb beim Polizistenmord viel Platz. „Der Fall in Heilbronn hat viele Erzählungen“, sagte Fink, der auch im Ruhestand weiter recherchiert und dessen Dossier inzwischen mehr als 100.000 Seiten umfasst. „Einige Theorien sind an den Haaren herbeigezogen“, so der Ex-Polizist.
Er selbst kommt zu dem Schluss, dass Michèle Kiesewetter ein Zufallsopfer war. Fink glaubt, die Mörder seien der 22-Jährige zufällig über den Weg gelaufen, als diese gerade dabei waren, sich in Heilbronn die nächsten Todesopfer in ausländischen Läden zu suchen. Bis dahin hatten die NSU-Terroristen bereits neun Menschen getötet. Offenbar aus blankem Ausländer-Hass.
Mehrere Monate hat das Filmteam des SWR für die neue Dokumentation über den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese recherchiert. Der30-minütige Film hat nicht den Anspruch, die viele offenen Fragen rund um das rechtsextremistisch motivierte Verbrechen zu beantworten. Im Fokus stehen neben der Chronologie des Mordes und der Ermittlungsarbeiten auch die Personen, die von der Tat betroffen sind.