Mehrere Monate drehte der SWR für die Dokumentation. Dabei ging das Team auf Spurensuche, forschte in Unterlagen und recherchierte nach dem Mordmotiv. Gedreht wurde in Heilbronn, Stuttgart und in Oberweißbach in Thüringen, dem Geburtsort von Michèle Kiesewetter. Die Dreharbeiten begannen in diesem Jahr mit dem Gedenktag der Ermordung am 25. April in Heilbronn. Zu sehen ist die Dokumentation am heutigen Mittwoch um 21.45 Uhr auf ARD.
Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn: Viele Fragen bis heute offen
In einer Dokumentation arbeitet der SWR den Heilbronner Polizistenmord am 25. April 2007 auf der Theresienwiese erneut auf. „Warum starb Michèle Kiesewetter?“ – welche Fragen bis heute offen sind.
Die Frage nach dem Warum lässt Heilbronn bis heute nicht ruhen. Das sagt in der Dokumentation des SWR nicht nur Oberbürgermeister Harry Mergel. Warum traf es die Polizeistreife auf der Theresienwiese, während die Schausteller auf dem Platz ihre Geschäfte für das Frühlingsfest mitten in der Stadt aufbauten? Warum wurde lange falsch ermittelt? Hatten die Täter Helfer? Wurde die 22-jährige Polizistin gezielt umgebracht?
Neue Erkenntnisse zu Tathergang und Motiv der Mörder liefert die Dokumentation zwar nicht. Nach wie vor gibt es darüber nur Spekulationen. Der Beitrag macht aber das Unfassbare greifbar. Denn zu Wort kommen Menschen, die als erste am Tatort waren und eindringlich ihre Erschütterung und Hilflosigkeit schildern. Und davon, dass sie der Mord an Michèle Kiesewetter bis heute nicht loslässt. Obwohl in Deutschland kein anderer Mordfall so aufwendig untersucht wurde wie dieser.
Warum musste Michèle Kiesewetter in Heilbronn sterben? Polizist gibt ein Versprechen
Erstmals spricht der damalige Polizist und Leiter der Kriminaltechnik, Peter Fink, öffentlich über den Fall. Und von dem Versprechen, das er seiner tot am Boden liegenden Kollegin am Tatort gegeben hatte. „Ich werde den Fall aufklären.“ Das Ermittlungsdossier des wegen einer posttraumatischen Störung aus dem Dienst ausgeschiedenen Beamten umfasst inzwischen 100.000 Seiten. Sein Versprechen habe er aber nicht einlösen können, sagt Fink.
Der erste Fotograf am Tatort war damals Stimme-Mitarbeiter Ralf Seidel. Auch er bekommt bis heute die Bilder von damals nicht mehr aus dem Kopf, sagt er im Interview mit dem SWR. Als er neben der ermordeten Polizistin stand. Erschüttert wie die Kollegen der Streifenpolizistin, die Opfer einer regelrechten Hinrichtung durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) wurde. „Alle mussten trotzdem ihren Job machen“, sagt der Fotograf.
Das Warum bleibt laut Dokumentation bis heute nicht die einzige ungeklärte Frage. Denn es gibt für diese Tat keine ernstzunehmenden Zeugen. Es gibt keine verwertbaren DNA-Spuren, keine Fingerabdrücke und kein direktes Geständnis der Täter, so der ehemalige Polizist und von 2002 bis 2017 CDU-Bundestagsabgeordneter Clemens Binninger.
Kritik an Polizei: Ermittler schränkten den Täterkreis zu sehr ein
Dazu kommen Ermittlungsfehler der Polizei, die zuerst wegen verunreinigter Wattestäbchen jahrelang nach einer Frau suchte. Der Journalist und Publizist Tanjev Schultz kritisiert in der Dokumentation, dass die Polizei den Täterkreis zu sehr eingeschränkt habe. Die Fallanalytiker damals hätten offenbar die Vorstellung gehabt, „dass solche kaltblütigen Morde am helllichten Tag an Polizisten nur von einem Täterkreis verübt werden kann, der nicht aus Deutschland stammt“.
Je länger die Polizei erfolglos ermittelte, desto mehr schossen die Gerüchte ins Kraut. Selbst von Geheimdiensten war die Rede. Phantombilder mit Hilfe angeblicher Zeugen erstellt, bildeten unter anderem Wladimir Putin ab.
Erst am 4. November 2011 gibt es neue Erkenntnisse. Nach einem Banküberfall werden die beiden Täter in einem Wohnmobil gestellt. Sie erschießen sich. Es handelte sich dabei um die Serienmörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die neun Migranten und dann Michèle Kiesewetter erschossen haben. Sie gehörten dem Nationalsozialisten Untergrund an. Gefunden wurden ein Waffenarsenal unter anderem mit der Dienstwaffe von Michèle Kiesewetter und die Pistole, mit der sie erschossen wurde.
Serienmörder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) erschießen sich selbst
Auch woher die Waffen stammen, ist bis heute ungeklärt. Spuren, die ins Rockermilieu und das organsierte Verbrechen führen könnten, wurden offenbar leichtfertig verworfen. Unter anderem, weil rechtsextreme Gewaltverbrecher keine Motorräder fahren würden.
Nachdem sich die beiden Serienmörder selbst im Wohnwagen erschossen hatten, ging deren Wohnung in Flammen auf. Angezündet von Beate Zschäpe, die mit Mundlos und Böhnhardt jahrelang zusammen war und sich nach Veröffentlichung des Bekennervideos selbst der Polizei stellte. Sie gestand 2015 zwar beim Gerichtsprozess in München die Morde. Sie selbst sei aber nicht dabei gewesen. Das Motiv? Die Mörder wollten die Polizeiwaffen, so Zschäpe. Sie muss lebenslang ins Gefängnis.
Erst 2011 begann die Bundesanwaltschaft, in die richtige Richtung zu ermitteln. Dabei hatten das Bundeskriminalamt und der Bundesgeneralanwalt bereits nach der Tat in Heilbronn Hinweise erhalten, dass Neonazis Polizisten regelrecht hinrichten, indem sie ihnen aus nächster Nähe in den Kopf schießen.