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Heilbronner Ex-Kommissar über Prostitution: „Die ganze Wahrheit erfährt man selten“

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Oskar Wolfmüller ist ein Kriminalhauptkommissar der alten Schule. Der 70-Jährige hat die intensive Zeit der Prostitution in den 1980er Jahren als Ermittler in Heilbronn miterlebt. Heute hilft er Frauen beim Ausstieg.


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Was war für Sie der Grund, als pensionierter Hauptkommissar bei der Mitternachtsmission anzufangen?

Oskar Wolfmüller: Ich habe im Laufe der Jahre bei der Polizei immer wieder ausstiegswillige und aussagebereite Frauen dorthin vermittelt. Schon während meiner Dienstzeit hatte ich sehr gute Kontakte zur Mitternachtsmission, insbesondere zur Leiterin Alexandra Gutmann.

Was waren das für Frauen?

Wolfmüller: Wir haben Frauen wegen illegaler Prostitution oder wegen illegalem Aufenthalt aufgegriffen. Diesen Frauen haben wir Hilfe angeboten. Die, die bereit waren, habe ich damals zusammen mit Kollegen an die Mitternachtsmission vermittelt und zum Teil auch dorthin gebracht. Nach meiner Pensionierung fragte mich Frau Gutmann, ob ich mir nicht vorstellen könnte, die Frauen zu betreuen.

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Was bedeutet betreuen?

Wolfmüller: Einfach begleiten. Wenn eine Frau aus der Prostitution aussteigt, macht sie im Regelfall Angaben, belastet Menschenhändler, Zuhälter und muss dann bei Polizei oder bei Gericht als Zeugin aussagen. Und ich habe mich bereit erklärt, diese Frauen zu begleiten.

Wo kommen die Frauen in der Hauptsache her?

Wolfmüller: Überwiegend aus Osteuropa. Bulgarien oder Rumänien. Auch mal aus China oder Thailand. Aber es gab immer das Problem der sprachlichen Verständigung, weil die Frauen meist nicht gut Deutsch gesprochen haben.

Oskar Wolfmüller vor dem Bordell H7 in Heilbronn. Die Hafenstraße mit dem einstigen Straßenstrich gehörte zum Einsatzgebiet des pensionierten Kommissars.
Oskar Wolfmüller vor dem Bordell H7 in Heilbronn. Die Hafenstraße mit dem einstigen Straßenstrich gehörte zum Einsatzgebiet des pensionierten Kommissars.  Foto: Berger, Mario

Mit welchen Versprechungen werden sie nach Deutschland gelockt?

Wolfmüller: In ihrem bulgarischen oder rumänischen Dorf da gibt es jemand, der sagt, wenn du nach Deutschland gehst, verdienst du das große Geld. 

Sagen die auch, wie sie das Geld verdienen?

Wolfmüller: Als Bedienung im Lokal. Dann wird eine Frau aus der Familie ausgesucht, die nach Deutschland geht, hier das große Geld verdient und das jeden Monat überweist, damit die Familie im Heimatland überleben kann.

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Kamen Ihnen nie Zweifel an dieser Darstellung?

Wolfmüller: Ich habe das nie geglaubt. Aber so wird’s nach außen dargestellt. Die ganze Wahrheit erfährt man selten. Ich zumindest habe sie nur selten erfahren. Diesen gordischen Knoten konnte ich so gut wie nie lösen. Eine hat mal gesagt, okay, ich wurde misshandelt, ich wurde vergewaltigt, aber mehr kriegen Sie da nicht raus.

Schwer zu glauben, dass die Frauen keine Whatsapp in die Heimat schicken und erklären, dass sie eben nicht im Café ihr Geld verdienen.

Wolfmüller: Die Frauen kennen die Umstände hier gar nicht. Die werden auf irgendwelchen Wegen in eine Stadt vermittelt, landen dort bei guten Bekannten, „Freunden“ oder bei einem Zuhälter. Dann erfahren sie, dass sie anschaffen müssen.


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Klingt wenig schlüssig.

Wolfmüller: Zum Teil werden den Frauen die Ausweise abgenommen. Sie fügen sich in ihr Schicksal, zumal gedroht wird, wenn sie nicht mitspielen, hat es Folgen für die Familie in der Heimat. Für mich ist das ein absoluter Begriff der Armutsprostitution. 

Wird ein falsches Bild vermittelt?

Wolfmüller: Schauen Sie mal, ich habe einen Fall einer vergewaltigten Prostituierten in „Aktenzeichen XY ungelöst“ dargestellt. 

Die Prostituierte, die 2013 in einen silbernen Kombi stieg und bei Bad Friedrichshall vergewaltigt wurde. 

Wolfmüller: Die Sendeleitung hat ein wunderbares Geschichtchen gemacht, wie die Frau nach Deutschland kommt, in einem Billighotel absteigt. Dann wird das Plüschtier auf den Nachttisch dargestellt. Eine Stunde später geht sie anschaffen und wird vergewaltigt. Wir haben Einspruch erhoben. Der wurde nicht berücksichtigt. 

Oskar Wolfmüller (70) kommt 1975 zur Polizei nach Heilbronn und war zwei Jahre im Streifendienst tätig. Nach seinem Studium zum gehobenen Dienst war der Kriminalhauptkommissar im Polizeipräsidium Heilbronn bei der Fahndung und danach im Bereich Sexualdelikte. Nach seiner Pensionierung war er für ein Jahr Dozent an der Hochschule für Polizei in Wertheim. Jetzt engagiert sich der Hobby-Golfer und Skatspieler ehrenamtlich bei der Mitternachtsmission in Heilbronn und ist im Vorstand der Polizeipensionäre Heilbronn. 

Konkurrenzkampf von Zuhältern auf der Heilbronner Hafenstraße

Noch vor gut drei Jahren tobte auf dem Straßenstrich in der Hafenstraße in Heilbronn ein Konkurrenzkampf bulgarischer Zuhälter.

Wolfmüller: Deshalb ist ja jetzt die Straßenprostitution generell verboten. Und es findet in Anführungszeichen nur noch Bordell und Wohnungsprostitution statt. Dort mit den Frauen in Kontakt zu kommen, ist für die Mitternachtsmission extrem schwierig.

Das war auf dem Straßenstrich einfacher?

Wolfmüller: Früher sind Mitarbeiter der Mitternachtsmission mit ihrem Bussle durch die Hafenstraße gefahren, haben mit den Frauen gesprochen, haben Präservative verteilt, haben Merkblätter ausgegeben in deren Muttersprache und ihnen den Ausstieg aus der Prostitution angeboten. 

Mit Prostituierten haben Sie als Pensionär wieder zu tun.

Wolfmüller: Vom Grundsatz her kann man ja eine Frau, die an einem Ort A aufgegriffen wird, nicht am Ort A belassen. Sprich, die kommt dort in ein Frauenhaus und das Frauenhaus versucht sie dann in einem anderen Frauenhaus möglichst weit weg vom Tatort unterzubringen.


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Was erleben Sie, wenn Sie Frauen in ganz Baden-Württemberg oder ganz Deutschland abholen?

Wolfmüller: Ich darf grundsätzlich nichts wissen. Ich bekomme einen Anruf von unterschiedlichen Sachbearbeiterinnen der Mitternachtsmission. Sie sagen: Wir haben eine Frau. Die soll in einem Verfahren in Nordrhein-Westfalen aussagen und ich begleite sie dorthin.

Kampf gegen Prostitution in Heilbronn: „Wir haben das dann mal in Angriff genommen“

Prostitution haben Sie auch als Hauptkommissar begleitet. Vor allem in den 1980er Jahren.

Wolfmüller: Als ich nach meinem Studium wieder zurückkam nach Heilbronn, war damals Gerd Bornschein Kripo-Chef. Der hat gesagt, wir müssen ein bisschen mehr auf die Prostitution achten. Ja, wir haben das dann mal in Angriff genommen.

Wo kamen die Prostituierten damals her?

Wolfmüller: Das waren fast alles deutsche Frauen. Sie dürfen nicht vergessen, bis zur Strafrechtsreform, ich meine 1974, war ja Prostitution nur Deutschen gestattet. Für Ausländerinnen galt Ausweisung bei Prostitutionsausübung.

Ehemaliger Heilbronner Kriminalhauptkommissar: Es geht um das schnelle Geld

Weshalb sind die Frauen damals der Prostitution nachgegangen?

Wolfmüller: Die erste Motivation war das schnelle Geld. Die zweite Motivation war Liebe zum Zuhälter. Dann kam es zur Ausbeutung. Der Zuhälter hat ja ein Großteil des verdienten Geldes abgenommen. Er versprach den Frauen, das Geld anzulegen und eine Familie zu gründen.

Würde die Masche heute noch funktionieren?

Wolfmüller: Ich denke mal, mit den osteuropäischen Frauen funktioniert das immer noch so. Mit einer deutschen Frau könnten Sie das heute nicht mehr machen.


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