"Hochwasser am Neckar haben sich verändert" – Experte erklärt, warum Vorhersagen schwieriger werden
Der Hochwasserschutz am Neckar ist ausgerichtet auf kontrollierbare Wassermengen. Mit häufigeren Unwettern und lokalem Starkregen werden die Wasserfluten zunehmend unberechenbar.

Rund 80 Jahre sind die Wehranlagen des Neckars in Horkheim, Heilbronn und Neckarsulm alt. Sie sind ausgerichtet auf das sogenannte 100-jährliche Hochwasser (HQ 100). Wenn im Frühjahr der Schnee im Mittelgebirge schmilzt und sich zusammen mit dem einsetzenden Regen seinen Weg in die Niederungen bahnt, fließen bei HQ 100 rund 1877 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in der Region Heilbronn den Neckar runter. "Das sind etwa 7500 Badewannen", sagt Walter Braun, Leiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Neckar in Stuttgart.
Bei diesem traditionellen Hochwasser bleibt der Pegel des Neckars weitestgehend kontrollierbar. Denn bei geöffnetem Wehren fließt das Wasser über die Altarme des Neckars bei Horkheim und Neckarsulm ähnlich wie bei einem Bypass ab. Die kartierte Überflutungsfläche zwischen Neckarsulm und Untereisesheim nimmt zusätzliche Mengen auf. Dieses Wasser kommt mit Ansage. "Wir haben genügend Zeit, den Neckar hochwasserfein zu machen", sagt Braun.
Regionale Gewitterzellen und Starkregen: Hochwasser droht
Anders sieht es bei sich regional entladenden Gewitterzellen und Starkregen aus. "Wo der Niederschlag runterkommt, ist nicht vorhersehbar", sagt Braun. Darüber hinaus kämen die Wassermengen auch viel schneller. Es bliebe kaum Zeit zu reagieren. "Und selbst wenn wir wissen, dass etwas runterkommt, können wir nicht vorhersagen wo", sagt der Stuttgarter Amtsleiter. "Hochwasser am Neckar haben sich verändert", sagt Braun, der das Amt für Wasserstraßen und Schifffahrt seit rund 22 Jahren führt.
"Hochwasser haben wir jetzt auch im Sommer", sagt Braun. Die letzten Überschwemmungen etwa an Neckar, Rhein und Elbe habe es in der warmen Jahreszeit gegeben. Auch die Flutkatastrophe im Ahrtal vor knapp drei Jahren hat sich im Sommer ereignet. Das ist eine neue Qualität, so der Amtsleiter, der dieses Phänomen auf den Klimawandel zurückführt. "Die Zukunft ist nicht beweisbar. Aber wir werden künftig daraus lernen müssen, dass wir andere Hochwasser bekommen", ist Braun überzeugt.
Vorsorgemaßnahmen bei Hochwasser: Wasser kommt viel zu schnell
Wie man diese neue Hochwasserart in den Griff bekommen kann, wisse derzeit niemand. Man könne bei angekündigtem Unwetter weder in Stuttgart noch in einer anderen Region alle denkbaren Vorsorgemaßnahmen gleichzeitig ergreifen und sämtliche Feuerwehren in Alarmbereitschaft halten. Und selbst dann käme das Wasser viel zu schnell.
Das einzige, was man derzeit erreichen könne, ist dafür zu sorgen, dass Keller und Unterführungen schneller ausgepumpt, die Stadtbahnen zügiger einsatzfähig gemacht und eingekesselte Menschen schneller befreit werden, so Braun. Das Hochwasser aufzuhalten, sei bei extremen und punktuell auftretenden Wettereignissen so gut wie unmöglich. Dessen sind sich auch Städte im Raum Heilbronn bewusst.

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