Bürgerrat zum Klimaschutz hat sich erstmals getroffen
In den kommenden Wochen treffen sich 160 ausgeloste Menschen zwölf mal und erarbeiten Empfehlungen, was die Bundesregierung für das 1,5-Grad-Ziel tun muss. Gestern hat sich der Bürgerrat Klima zum ersten Mal getroffen. Wir waren dabei.

Seit Beginn der Corona-Pandemie und dem Siegeszug der Videokonferenzen kann die Welt auch vom Schreibtisch aus gerettet werden. Nichts weniger ist Aufgabe des Bürgerrats Klima, zu dessen Auftaktsitzung am Montagabend sich die 160 Teilnehmer erstmals virtuell begegneten. Sie alle wurden ausgelost, beachtet wurde dabei lediglich, dass Menschen aus ganz Deutschland und aus allen Milieus dabei sind.
In zwölf Sitzungen sollen die Bürgerinnen und Bürger Empfehlungen ausarbeiten, wie Deutschland dazu beitragen kann, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie es im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurde. Gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Gesichtspunkte spielen eine besondere Rolle.
"Aus ganz Deutschland sind Leute zugeschaltet", freut sich Moderator Jacob Birkenhäger zur Begrüßung im Livestream. Das Format ist professionell aufgezogen: Drei Moderatoren senden aus einem Berliner Studio, ein Technikteam hilft bei Problemen, Interviewgäste werden zugeschaltet.
Was die Bundesregierung plant, reicht noch nicht aus, meint Horst Köhler
"Sie beschäftigen sich mit dem drängendsten Thema unserer Zeit", sagt Horst Köhler, Ex-Bundespräsident und Schirmherr des Bürgerrats. Der Erhalt der Biosphäre auf der Erde gelinge nur durch einen "tiefgreifenden Umbau". Diesen habe die Bundesregierung zwar eingeleitet, aber: "Vieles deutet darauf hin, dass das noch nicht ausreicht." Es brauche in der Klimakrise Lösungswege, "die unsere Gesellschaft nicht weiter spalten, sondern zusammenführen", sagt der 78-Jährige.
Politik und Gesellschaft sind sich beim Klimaschutz uneins
Auch die Wissenschaft brauche Instrumente wie den Bürgerrat, sagt Gregor Hagedorn, Mitglied der Scientists for Future und Ideengeber des Bürgerrats. Die Bevölkerung wolle mehr Klimaschutz, die Politik erkläre jedoch oft, sie könne vieles nicht umsetzen. "Es gibt im politischen Bereich eine gegenseitige Blockade."
Percy Vogel, Vorstand des Trägervereins, hat großes Vertrauen in den Bürgerrat. "Er nutzt das Losverfahren und bildet damit eine Minigesellschaft ab", sagt Vogel. "Jeder und jede hätte die Chance gehabt, hier teilzunehmen."
Alle Sorgen und Bedenken sollen geäußert werden
Gute Erfahrungen hat Charlotte Felthöfer gemacht, die an einem anderen Bürgerrat zum Thema "Deutschlands Rolle in der Welt" teilgenommen hat und davon berichtet, während die Bürger in Kleingruppen ihre Erwartungen an die kommenden Wochen sammeln. "Gerade das Thema Klima ist so unglaublich wichtig, gerade wenn eine neue Regierung gewählt wird im September."
Das Format bringe unterschiedlichste Meinungen zusammen. "Ich persönlich hatte nicht das Gefühl, dass ich irgendetwas nicht sagen kann", meint die Studentin aus Freiburg. Man merke im Laufe der Zeit, dass man nicht verurteilt werde. Den Teilnehmern empfiehlt sie, alle Bedenken zu äußern. "Trauen Sie sich! Es gibt keine falschen Sorgen und Gedanken."
Empfehlungen des Bürgerrats werden vor den Koalitionsverhandlungen übergeben
Bis Juni treffen sich die 160 Bürgerräte zwölf Mal. Sie betrachten den Klimaschutz in vier Feldern: Mobilität, Energie, Gebäude und Wärme sowie Ernährung. Beim Ausarbeiten der Empfehlungen werden sie von Experten unterstützt. Ein Beirat aus Politik und Wirtschaft überwacht, dass der Prozess neutral ist. Die Empfehlungen des Bürgerrats werden nach der Wahl im September übergeben, noch vor den Koalitionsverhandlungen.
Später geht es ans Eingemachte: Der Klima- und Meeresforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung erklärt in einem Kurzvortrag, was die Wissenschaft über den menschengemachten Klimawandel weiß. Zuerst müsse man den Treibhauseffekt verstehen, erklärt Rahmstorf und zeigt, wie Treibhausgase in der Atmosphäre das Verhältnis beeinflussen, mit dem Sonnenstrahlung ins All zurückgeworfen wird.
Mehr Treibhausgase werfen mehr Sonnenstrahlung auf die Erde zurück und sie erwärmt sich. "Die globale Erwärmung liegt bereits 1,2 Grad über der Temperatur im späten 19. Jahrhundert", sagt Rahmstorf. In Deutschland sei die Mitteltemperatur bereits um mehr als zwei Grad gestiegen. "Landgebiete erwärmen sich generell schneller als der globale Mittelwert, der zum Großteil aus Meeresflächen besteht."
Stefan Rahmstorf hält 1,5-Grad-Ziel noch für machbar
Nach dem Vortrag haben die Teilnehmer viele Fragen. Ist das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen? "Ja, wenn wir in den nächsten 20 Jahren auf null Emissionen kommen, würden wir die Temperatur unter 1,5 Grad halten", meint Rahmstorf. Deutschland stelle ein Prozent der Weltbevölkerung, verursache aber zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. "Deutschland ist wirklich wichtig und nicht einfach nur ein unbedeutender Kleinstaat, was die Emissionen angeht."
Unkontrollierte Erderwärmung verursacht menschliches Leid
Kann man wirklich auf null Emissionen kommen, will Sabrina Pauch wissen. Es gehe um "Netto Null", stellt Rahmstorf klar: "Wir dürfen nur so viel ausstoßen, wie wir an anderer Stelle kompensieren können." Neben dem Reduzieren von Emissionen könne man Senken schaffen, die CO2 aufnehmen, wie Wälder und Moore.
Ob die Erderwärmung für die Natur überhaupt ein Problem sei, fragt Hüseyin Karaalioglu. "Alle Korallenriffe sterben ab, wenn wir zwei Grad Erwärmung haben", erklärt Rahmstorf. Auch Wälder seien in Gefahr. "Das Hauptproblem aus meiner Sicht ist aber das ungeheure menschliche Leid, das wir verursachen, wenn wir die globale Erwärmung weiterlaufen lassen würden."
Klimaschutz hat auch positive Seiten
Am Ende des Abends sind den Teilnehmern Begriffe wie Hoffnung, Handeln und Gerechtigkeit zum Klimaschutz eingefallen, genauso wie Wassermangel, Dürre, Müll. "Es kommt immer darauf an, wie man es betrachtet", meint Thomas Vennen. Dass es auch positive Aspekte gibt, hat Christiane Waschk überrascht. "Ich hätte gedacht, es gibt nur negative Punkte, was alles schlecht ist und uns belasten wird in den nächsten Jahrzehnten." Zustimmung erntet Ludwig Reichert, der sich auf die nächste Sitzung des Bürgerrats am heutigen Mittwoch freut.