Landwirte schlagen Alarm: Krankheit bedroht Anbauflächen im Heilbronner Unterland
Nach Zuckerrüben und Kartoffeln sind nun auch verschiedene Gemüse von einer Krankheit, die die Schilf-Glasflügelzikade überträgt, betroffen. Die Folge sind mangelnde Qualität und hohe Ernteeinbußen.
Die Schilf-Glasfügelzikade sorgt für große Schäden in der Landwirtschaft und könnte den Anbau bestimmter Kulturen gefährden. Das Einzugsgebiet des Kreisbauernverbands Heilbronn-Ludwigsburg ist in Baden-Württemberg besonders betroffen.
Bei Zuckerrüben und Kartoffeln gibt es seit wenigen Jahren zum Teil massive Ernteausfälle und Qualitätseinbußen. Inzwischen infiziert die Zikade mit krankheitserregenden Bakterien auch Gemüse: Möhren, Rote Beete, Kohl, Paprika, Zwiebeln und Rhabarber. Die Bauern setzen nun Hoffnungen in Pflanzenschutzmittel, die erst seit diesem Frühjahr gespritzt werden dürfen.

Schilf-Glasflügelzikade gefährdet zunehmend die Landwirtschaft in Süddeutschland
Ob betroffene Landwirte, ob Branchenvertreter oder Behörden: Sie alle schlagen Alarm und sprechen von einer dramatischen Situation. „Die Bedrohungslage insgesamt ist relativ hoch“, heißt es aus dem Heilbronner Kreis-Landwirtschaftsamt. „Für ganz Baden-Württemberg und weite Teile Deutschlands ist es existenzgefährdend für die Kartoffelbranche“, sagt Florian Dambacher vom Verein Beratungsdienst Kartoffelanbau Heilbronn mit 550 Mitgliedern in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Bayern.
Dambacher verweist auf Frankreich, wo 2008 im Burgund die Zikade auftrat mit der Folge, dass der Zuckerrübenanbau aufgegeben, das Rübenwerk geschlossen wurde.
Krankheiten durch Schilf-Glasflügelzikade: Pflanzenschutzmittel erhöhen die Kosten
Im schlimmsten Fall, so befürchtet Dominik Modrzejewski, Pflanzenbaureferent beim Landesbauernverband, ebenfalls, dass der Anbau von betroffenen Kulturen hier nicht mehr wirtschaftlich sein könnte. Neben Ernteausfällen und Qualitätseinbußen müssen die Landwirte die Kosten für Insektizide und einen deutlich höheren Sortieraufwand der Erzeugnisse verkraften.
„Die Zikade ist eine Folge der Klimaveränderung“, stellt das Heilbronner Landratsamt fest. Das Insekt liebt es warm und trocken. Von Mai bis August fliegt es – damit sind Frühkartoffeln nicht tangiert – sticht in das Blattwerk der Kulturen, um sich davon zu ernähren und überträgt das Bakterium. Das Kraut welkt, die Frucht bekommt keine Nährstoffe mehr, wird gummiartig oder fault. Stolbur gilt für den Menschen als nicht gesundheitsgefährdend.
Zikadenbefall: Fast im gesamten Landkreis Heilbronn dürfen Felder gespritzt werden
Im Januar bereits hatte Joachim Ruckwied aus Eberstadt, Präsident des Deutschen Bauernverbands, in einer Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass sich die Ausbreitung des Insekts zu „einer ernsthaften Bedrohung für die Versorgung mit heimischen Grundnahrungsmitteln“ entwickle und die Untätigkeit der Politik kritisiert.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erlaubte schließlich im März die Notfallzulassung von Pflanzenschutzmitteln. Der Einsatz sei inzwischen fast im gesamten Landkreis Heilbronn frei gegeben, teilt das Landratsamt für seinen Zuständigkeitsbereich mit. Denn die Schwelle der Fangzahlen der Zikaden sei überschritten. Das Landwirtschaftsamt überwacht auf mehreren repräsentativen Kulturflächen den Zikaden-Zuflug.
Langfristige Lösungen notwendig: Pflanzenschutz ist nur ein Baustein
Die Behörden, Landwirte und Branchenvertreter machen deutlich, dass Pflanzenschutzmittel nur ein Baustein in der Bekämpfung der Zikade seien. Züchtungen von resistenten Sorten – was jedoch bis zu 20 Jahre dauern kann – und Versuche mit einem Wechsel der Fruchtfolge seien weitere Methoden.
Zahlen des Landesbauernverbands belegen die dramatische Entwicklung durch den Schädling: 2024 waren 85 Prozent der 16.000 Hektar großen Anbauflächen von Zuckerrüben, die im Südzuckerwerk in Offenau verarbeitet werden, von der durch die Zikade übertragenen Krankheit betroffen. Die Ernteausfälle bei Kartoffeln wurden in Baden-Württemberg auf 30 bis 70 Prozent beziffert. Von den Gemüseanbauflächen in Württemberg und Nordbaden, die der Gemüse-Beratungsdienst Heilbronn mit seinen 120 Mitglieder betreut, waren laut Landesbauernverband im vergangenen Jahr befallen: 50 Hektar Möhren, 25 Hektar Rote Beete, 20 Hektar Rhabarber sowie zehn Hektar Kohl, 0,5 Hektar Paprika und vereinzelt Sellerie.