Stimme+
Sorgen um Zucker- und Kartoffelbetriebe
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Wie sehr Landwirte in der Region Heilbronn von Pflanzenschädling betroffen sind

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Bauern im Heilbronner Unterland reduzieren Anbauflächen der von der Schilf-Glasflügelzikade infizierten Kulturen. Die Kosten steigen durch Pflanzenschutzmittel und höheren Arbeitsaufwand. Spritzen allein kann nicht die Lösung sein.

Dieses lausgroße Insekt hat verheerende Auswirkungen auf die Landwirtschaft in der Region Heilbronn. Die Schilf-Glasflügelzikade sticht ins Kraut von Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüsesorten und infiziert die Pflanzen mit einer Krankheit, die große Schäden anrichtet.
Dieses lausgroße Insekt hat verheerende Auswirkungen auf die Landwirtschaft in der Region Heilbronn. Die Schilf-Glasflügelzikade sticht ins Kraut von Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüsesorten und infiziert die Pflanzen mit einer Krankheit, die große Schäden anrichtet.  Foto: Beratungsdienst Kartoffelanbau Heilbronn

„Ich bin so weit, dass ich genau überlege, wie viele Zuckerrüben ich noch anbaue“, sagt Markus Läpple. Der Ilsfelder Landwirt, Vize-Vorsitzender des Kreisbauernverbands Heilbronn-Ludwigsburg, weiß, dass für ihn und viele Kollegen 2025 ein wegweisendes Jahr ist. Läpple bestätigt, dass die Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade als Krankheitsüberträger auf Rüben, Kartoffeln und verschiedene Gemüse die Landwirtschaft im Unterland und angrenzenden Bereichen „wahrhaftig bedroht“.

Die Sorgen seien groß, die Bauernschaft bedrückt und niedergeschlagen. Die wichtige Frage für die Betroffenen ist: Helfen die nun zugelassenen Pflanzenschutzmittel, den Schädling einzudämmen? 

Zuckerrübenanbau im Umbruch: Schilf-Glasflügelzikade bedroht Ernte und Existenzen

„Die Landwirte stehen mit dem Rücken zur Wand“, beschreibt Florian Dambacher vom Beratungsdienst Kartoffelanbau Heilbronn die existenzbedrohende Situation. Das unterstreichen die Ernteausfälle, die Bauern aus der Hotspotregion für den Befall beziffern. Läpple spricht etwa beim Chinakohl von 50 Prozent. Robert Kirchner, Fachberater beim Gartenbaulichen Beratungsdienst für integrierten Gemüseanbau Heilbronn, berichtet teilweise von bis zu 80 Prozent Einbußen bei Gemüse unter den rund 120 Mitgliedern des Vereins.

Dr. Gottfried Kazenwadel, der seinen Betrieb im Neckarwestheimer Pfahlhof hat, musste im vergangenen Jahr 30 Prozent Ausfall bei der Zuckerrübe verkraften. Dazu kam ein niedrigerer Zuckergehalt der geschädigten Knollen. Kollegen seien inzwischen aus dem Zuckerrübenanbau ausgestiegen, weiß der Agrar-Wissenschaftler. 

Auch Zuckerrüben sind massiv betroffen – viele Betriebe steigen aus dem Anbau aus

Kazenwadel schildert seine bittere Erfahrung: Bis Mitte August standen seine Zuckerrüben „richtig schön“ da. Innerhalb von zwei bis drei Wochen sei der Blattapparat verwelkt, die Knollen wuchsen nicht mehr richtig, wurden gummiartig. Dennoch erntete Kazenwadel die Felder ab: „Besser ein schlechter Ertrag als gar keiner“, sagt er.

„Die Erträge bei uns fehlen schon seit drei bis fünf Jahren“, macht Andreas Schnepf aus Heilbronn-Böckingen deutlich. 2023 hatte er bei seinen Zuckerrüben einen so schwachen Ertrag wie noch nie. Deshalb hat er in diesem Jahr die Anbaufläche für die Hackfrucht reduziert. „Wenn es sich nicht rentiert, muss man es lassen.“  

Auf Monitoringflächen im Heilbronner Unterland werden mit diesen Behältern und Klebetafeln die Fangzahlen der Zikaden ermittelt.
Auf Monitoringflächen im Heilbronner Unterland werden mit diesen Behältern und Klebetafeln die Fangzahlen der Zikaden ermittelt.  Foto: Beratungsdienst Kartoffelanbau Heilbronn

Auf Frühkartoffeln setzen, kann eine Lösung sein

Von 50 Prozent Ernteausfall bei den Spätkartoffeln berichtet Eberhard Hirschmüller aus Lauffen. Der Familienbetrieb Schiefer und Hirschmüller habe den Vorteil, vor allem Frühkartoffeln zu produzieren. Die kann die Zikade nicht schädigen, da sie erst bei Wärme und Trockenheit ab Mai fliegt. 

Geringerer Ertrag, höhere Kosten und Mehrarbeit durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie einen gestiegenen Aufwand bei der Sortierung der Ware, das alles belastet den Geldbeutel der Landwirte. „Der Gewinn wird klein“, stellt Eberhard Hirschmüller fest. Und welche Auswirkungen all das auf den Markt und die Preisgestaltung habe, sei noch gar nicht absehbar.

Folgen für die verarbeitenden Betriebe

Hirschmüller und seine Kollegen schauen nicht nur auf sich selbst. Der Krankheitsbefall bei Zuckerrüben, Kartoffeln, Rote Beete, Möhren, Kohl oder Rhabarber hat auch Folgen für die verarbeitende Industrie. Ein Rückgang beim Zuckerrübenanbau  in der starken Befallsregion könnte das Südzuckerwerk in Offenau gefährden, wenn man die Zikade nicht schnellstmöglich in den Griff bekomme, meint Schnepf. Damit sich die Fabrik lohne, bräuchte sie eine bestimmte Tonnage. Markus Läpple fügt die kartoffelverarbeitenden und Kartoffelhandelsbetriebe in der Region hinzu und befürchtet dramatische Auswirkungen auf die Arbeitsplätze.

„Der Pflanzenschutz ist nicht das Goldene vom Ei“, betont Dambacher vom Kartoffel-Beratungsdienst. „Wir brauchen mehr fachlich-fundierte Forschung, um die Möglichkeiten zu diskutieren.“ Zur Bekämpfung der Zikade seien weitere Bausteine nötig. Etwa resistente Sorten – für die Entwicklungen ziehen jedoch viele Jahre ins Land – und andere Formen der Bodenbearbeitung. Den Acker nach der Ernte unterzupflügen und über den Winter brach liegen zu lassen, damit sich die Zikaden-Nymphen nicht von der Zwischenfrucht ernähren, wäre eine Methode. „Das dürfen wir nicht, wir müssen begrünen“, weist Markus Läpple auf die Gesetzeslage hin. Das Samenkorn wie früher zu beizen, hält er für effektiver. „Es kann ja nicht das Ziel sein, mit der Pflanzenschutzspritze zu fahren.“  

In der Region gibt es eine Reihe von Monitoringflächen, um die Fangzahlen von Zikaden zu ermitteln: etwa in Bönnigheim, Erlenbach, Lauffen, Ittlingen oder Ludwigsburg. Denn nach der Notfallzulassung durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit für 2025 dürfen die Pflanzenschutzmittel erst ab einer bestimmten Zikadendichte aufgebracht werden. Die Leimtafeln auf den Äckern werden laut Kartoffelanbau-Beratungsdienst zwei mal die Woche begutachtet und einmal ausgetauscht. In der regelmäßigen Online-Konferenz der Landwirtschaftsämter und Regierungspräsidien im Land werden die einzelnen Standorte besprochen. Eine abschließende Aussage kann das Kreis-Landwirtschaftsamt Heilbronn noch nicht treffen: Es müssten erst Erfahrungen mit der Schilf-Glasflügelzikade beziehungsweise der Pflanzenkrankheit gesammelt werden. 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
Nach oben  Nach oben