Kein Science Fiction: Neutronen helfen in Gundelsheim bei der Rebenbewässerung
Nicht nur Spaziergänger wundern sich: In einem Gundelsheimer Wengert steht ein ungewöhnliches Gerät der Uni Heidelberg, das die Bodenfeuchtigkeit misst – mithilfe kosmischer Strahlung aus dem Weltall.
Markus Köhli und Jannis Weimar stehen am Gundelsheimer Kuhberg und lassen sich von Andreas Politschek die traumhafte Aussicht ins Neckartal erklären: von Bad Wimpfen über Heinsheim und Burg Guttenberg bis zur Top-Weinlage Himmelreich. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, alles strahlt. Plötzlich Kontrastprogramm. Es fühlt und hört sich an wie eine Mischung aus Science Fiction und Esoterik: „Wir stehen hier in einem Neutronennebel, in dem die Teilchen Ping Pong spielen,“ sagt Köhli.
Der 40-jährige Wissenschaftler arbeitet am Physikalischen Institut der Universität Heidelberg und versucht einem Außenstehenden bildhaft zu erklären, was es mit einem gut zwei Meter hohen, mit allerhand Teilen bestückten Gerät auf sich hat, das seit wenigen Tagen zwischen Lemberger und Muskattrollinger in den Rebanlagen oberhalb von Gundelsheim steht: eine kleine Wetterstation, die einen außergewöhnlichen Sensor birgt, der in einem Umkreis von einem Hektar die Bodenfeuchtigkeit misst – mithilfe kosmischer Strahlung aus dem Weltall.
Wissenschaftler erklärt Messverfahren in Gundelsheim: Neutronen spielen Ping Pong
Experten wie Köhli und sein Kollege Weimar sprechen von der Cosmic-Ray Neutron Sensing (CRNS)-Methode und holen weit aus. Man müsse wissen: Auf der Erde kämen ständig kosmische Teilchen an, die bei der Interaktion mit der Atmosphäre und dem Boden sogenannte schnelle Neutronen produzierten. Doch Wasser im Boden bremse sie ab: Je feuchter also der Boden, desto weniger Neutronen schwirrten durch die Luft – und kämen in der Messstation an. Aus den dort über Detektoren erfasste Daten lasse sich am Ende der Wassergehalt im Boden errechnen. Freilich gebe auch andere Messungen, etwa über Drohnen oder gar Satelliten, die allerdings nicht so genau seien.
Rebanlagen im Raum Heilbronn: Winzer kann Messwerte mit dem Handy abrufen
Dank Solaranlage und Batterie arbeiten die neuen Geräte völlig autark und senden ihre Daten übers normale Mobilfunknetz an einen Server, wo alles visualisiert wird und ganz einfach per Handy abgerufen werden kann. Zum Beispiel von Winzer Andreas Politschek, der mit seiner Familie ein acht Hektar großes Weingut mit Rebanlagen in Bad Wimpfen, Untereisesheim, Duttenberg, Neckarzimmern und Gundelsheim betreibt.

Die promovierten Physiker aus Heidelberg habe er durch Zufall über gemeinsame Freunde kennengelernt. „Bisher musste ich immer rumtelefonieren, wie’s mit dem Wetter aussieht, gerade die Niederschläge im Sommer können zwischen Jagstfeld und hier enorm variieren“, berichtet der 31-Jährige. Feuchtigkeit und Wind spielten etwa bei Pflanzenschutzmaßnahmen eine wichtige Rolle. Vor allem aber könne er in trockenen Sommern – und das sei zuletzt in acht von zehn Jahren der Fall gewesen – die Reben noch bevor die Blätter schlapp machen je nach Bedarf dosiert bewässern. Das spare nicht nur Stress bei Menschen und Reben, sondern auch Kosten und Ressourcen.
Projekt in Gundelsheim: Heidelberger Forscher haben das Messgerät selbst entwickelt
Das Verfahren wird laut Köhli und Weimar seit einigen Jahren über das Projekt „Cosmic Sense“ unter Federführung der Universität Potsdam erforscht. Mit ihrer Expertise für Kern- und Teilchenphysik hätten die Heidelberger Physiker hierzu maßgeblich die Theorie ausgearbeitet und zudem die Messgeräte entwickelt, die sie über ihre Start-up-Firma auch vermarkten wollen.
Eingesetzt würden die Messungen etwa bei Klimamodellierung, Wettervorhersage, Hochwasserschutz, beim Ermitteln von Schneehöhen in den Alpen, Trockenstress in Wäldern, Bodenfeuchte auf Äckern und nun auch erstmals in einem Weinberg, wo durch Kleinteiligkeit, Topografie, Bodenart oder etwa Rebstöcke und Metallstickel spezielle Rahmenbedingungen zu beachten seien. Es gebe auch andere Bodenfeuchtigkeitsmessungen, etwa über Drohnen oder gar Satelliten, die allerdings nicht so genau seien.
Ziel des Projektes ist es, in der Landwirtschaft wertvolles Wasser zu sparen
Eine Arbeitsgruppe des Physikalischen Instituts der Universität Heidelberg erforscht mit dem Bad Friedrichshaller Weingut Politschek in einem Modellversuch in Gundelsheim eine neuartige Technologie namens Cosmic-Ray Neutron Sensing (CRNS). Dabei nutzen die Wissenschaftler die natürliche kosmische Neutronenstrahlung, um den Wassergehalt im Boden großflächig und präzise zu messen. Ziel ist es, durch optimierte Bewässerung Wasser zu sparen – ein Thema von großer Bedeutung angesichts des Klimawandels und zunehmender Trockenperioden.
Das neue Messsystem wurde unter anderem in Projekten in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Bayern installiert, auch in Italien, Tschechien, Finnland, Rumänien, der Schweiz und Österreich, nun aber erstmals im Weinbau.