Millionen-Sanierung: Spektakuläre Weinberg-Rettung im Gundelsheimer Himmelreich
Diese Württemberger Weinlage hat es in sich: In die Sanierung der bis zu zwölf Meter hohen Natursteinmauern am Gundelsheimer Michaelsberg flossen 2,1 Millionen Euro.
Die Aussicht ist traumhaft. Schloss Horneck mit Gundelsheim scheint zum Greifen nah. Unten fließt der Neckar, jenseits davon kreisen im nahen Baden Adler über Burg Guttenberg. Dieter Blankenhorn muss erstmal durchschnaufen.
Der Chef der Staatsweingutes Weinsberg hat gerade mit seinem Außenbetriebsleiter Jochen Springer, dem Chef des Staatlichen Hochbauamtes Heilbronn, Frank Berkenhoff, und dessen Projektleiter Bernd Uhlenbrock das Himmelreich erklommen. Genauer: Die vier haben ihre gemeinsame Gundelsheimer Großbaustelle in Augenschein genommen. Plötzlich zaubert Blankenhorn ein Fläschchen Spätburgunder Großes Gewächs hervor, inklusive Gläsern. Das hat Stil. Man stößt auf das vollendete Werk an.
Weinberg-Rettung im Gundelsheimer Himmelreich: 100 Meter Höhenunterschied mit elf Terrassen überbrückt
Der vielfach preisgekrönte Spätburgunder ist eine gute Antwort auf die Frage, warum das Land Baden-Württemberg 2,1 Millionen Euro in Natursteinmauern steckt, genauer: in den Erhalt des Gundelsheimer Himmelreichs, einer im Kern zwei Hektar umfassenden Terrassenlage, die mit bis zu zwölf Meter hohen Mauern auf elf Ebenen über unzählige Treppenstufen einen Höhenunterschied von 100 Metern überbrückt, zwischen 140 Metern am Neckarufer und 240 Metern auf dem Michaelsberg.
"Bedrohlicher Bauch" wenn der Berg im Gundelsheimer Himmelreich drückt
Der Zahn der Zeit nagt seit Jahrhunderten an den Mauern. Muschelkalk neigt von Natur aus zum Bröseln, wissen die Experten. Manche Mauern entwickeln im Laufe der Jahre einen "bedrohlichen Bauch". Der Berg drückt. Steinschlag droht. Mit Flickwerk ist es irgendwann nicht mehr getan. Kurzum: In den Jahren 2017/18 steht zunächst eine aufwändige Schadensdokumentation an. 2019/20 folgen "Notsicherungsmaßnahmen" und weitere Gutachten, 2021/22 die Bauunterlage sowie Abstimmungen mit Denkmal- und Naturschutz. Eidechsen werden in Ausgleichsflächen vergrämt, also vertrieben, ehe von Februar 2023 bis Sommer 2024 die Bauarbeiten laufen können.
Nicht nur diese, auch die Logistik ist eine Meisterleistung, weshalb sich Berkenhoff ausdrücklich bei den beteiligten Firmen bedankt: Menzel Ingenieure aus Tübingen, Jähnchen Umweltbegleitung (Zaisenhausen), August Wolfsholz Ingenieursbau (Leonberg), Dengel Trockenmauerbau (Schöntal), Lokalmatador Holzbau Schad (Gundelsheim). Und: Hubschrauberpiloten der Oedheimer Firma Meravo. Sie fliegen in 500 Hin- und Rückflügen, genauer in 2550 Heliminuten, das Material ein: für die Baustelleneinrichtung, für 135 Quadratmeter neue Trockenmauern, für 325 Quadratmeter, die in einem aufwändigen Spezialverfahren mit Betoninjektionen und Stahlankern im Bestand gesichert werden mussten.
Steinschlag in privatem Grundstück, um das sich keiner kümmert
Doch nach der Baustelle ist vor der Baustelle. Berkenhoff spricht von einer "Generationenaufgabe", die über Jahre hinweg noch viel Geld verschlingen dürfte. Es gebe aber viele Gründe, das Himmelreich zu erhalten: Weinbau, Historie, Denkmalschutz, Flora und Fauna und nicht zuletzt Arbeitsschutz, Verkehrsicherheit, Landschaftsbild und Tourismus. Würde man hier nichts tun, sähe es wohl bald ähnlich aus, wie in einem privaten Nachbargrundstück, wo die Mauern vor 30 Jahren einstürzten und seitdem alles zurück zur Natur findet. Der Besitzer aus dem Raum Ludwigsburg wolle partout nicht verkaufen. Gut in Schuss zu sein scheint indes die von einem anno 1830 bebauten Pavillon gekrönte Südostflanke des Himmelreichs, die in den 1990er Jahren der Wengerter Norbert Greiß rekultiviert und mit Rampen erschlossen hat.
Zehntausende von Fahrrad-, Bahn- und Autofahrern passieren die spektakuläre Terrassenlage täglich, auch immer mehr Touristen. Alle sind hellauf begeistert, manchen stockt der Atmen, nicht nur während der Sanierungszeit, nicht nur bei der Vorstellung, dass hier Weinbau betrieben wird, sondern auch, wenn sie mit einem Weinerlebnisführer unterwegs sind.
Eine spannende Geschichte, die bis ins Mittelalter zurückreicht
Die Terrassen wurden bereits im Mittelalter angelegt. Blankenhorn: "Das war wie beim Pyramidenbau ein sehr buckeliges Geschäft", das man aus zweierlei Gründen auf sich nahm. Die Ebenen sind im Mittelalter zur Nahrungssicherung für Feldfrüchte reserviert. Und an den Steilhängen herrscht ein Kleinklima, das Reben gut gedeihen lässt, inklusive Frostschutz durch die von der Sonne aufgewärmten Mauern.
Die erste urkundliche Erwähnung für den Weinbau in Gundelsheim datiert auf das Jahr 1283, als Konrad von Weinsberg den Verkauf von Weinbergen dokumentiert. Johann Philipp Bronner (1792-1864), der bekannteste deutsche Weinbaufachmann des 19. Jahrhunderts, erkennt in seiner "Abhandlung über den Weinbau im Königreich Württemberg" anno 1837: "Diese herrliche südsüdwestliche Weinlage umfasst alle Erfordernisse zu einem vorzüglichen Weinbauverhältnis. Abdachung, Exposition und Boden vereinigen sich hier unter den günstigsten Verhältnissen". Abgesehen von einer Humusschicht wurzeln die heutigen, bis zu 60 Jahre alten Reben, im Muschelkalk, was besonders feine und mineralische Weine hervorbringt, weiß Oenologe Blankenhorn. "Burgundersorten passen hier perfekt, wir werden aber manche Beete auch mit Cabernet Franc bestocken", eine internationale Rotweinsorte, die sich gut mit Lemberger vertrage. Mit der entsprechenden Cuvée könnte man ja in ein paar Jahren dann auf den nächsten Bauabschnitt im Himmelreich anstoßen.


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