Wohnen am Limit: Das steckt hinter dem Streit um Hartz-IV-Mieten
Für Hartz-IV-Empfänger übernimmt das Jobcenter die Miete - vorausgesetzt, sie ist angemessen. Hier legen die Stadt Heilbronn und der Hohenlohekreis andere Maßstäbe an als der Landkreis Heilbronn, wo die Zuschüsse meist höher ausfallen. Der Unterschied für die Betroffenen ist beträchtlich.
Wer Hartz IV oder Grundsicherung bezieht und alleinstehend ist, für den gilt in Heilbronn und im umgebenden Landkreis eine 45-Quadratmeter-Wohnung als angemessen. So weit, so gleich. Doch der Wohnort macht den Unterschied. Und dabei ist nicht etwa begünstigt, wer im vermeintlich hochpreisigen Mietmarkt des Oberzentrums zurechtkommen muss. In Heilbronn gilt in diesem Fall 412 Euro als angemessene Miete - inklusive sogenannter kalter Nebenkosten wie Umlagen für Gebäudereinigung oder Gartenpflege, aber ohne Heizung und Warmwasser, die separat erstattet werden.
Dieselbe Person hätte in Lauffen Anspruch auf Erstattung der Miete in Höhe von 526 Euro, das sind 27 Prozent mehr als in Heilbronn. Auch in allen anderen Landkreisgemeinden fällt der Zuschuss höher aus als in der Großstadt - ein Umstand, der von Sozialverbänden, Betroffenen und mit der Materie betrauten Anwälten immer wieder kritisiert wird.
Gericht erklärt Heilbronns Weg für "schlüssig"
Für Anja Gockenbach sind die Differenzen schlicht "Irrsinn". Die Heilbronner Rechtsanwältin vertritt nach eigenen Angaben eine dreistellige Zahl von Leistungsbeziehern, die gegen Zuschussbescheide der Stadt vorgehen. "Gerade in Heilbronn sind die Mieten exorbitant gestiegen." Zuletzt gab es für Gockenbach und ihre Mandantinnen aber eine Niederlage. Das Landessozialgericht hat das System, nach dem die Stadt die Mietzuschüsse berechnet, in einem aufsehenerregenden Urteil für "schlüssig" erklärt und damit anders entschieden als das Heilbronner Sozialgericht in erster Instanz.
So wurden die Sätze berechnet
Bei dem Urteil geht es um das Konzept, das ein Fachbüro für die Stadt entwickelt hat, das mittlerweile geändert wurde, aber laut Anwältin Gockenbach immer noch derselben Systematik folgt. Das Gericht hatte indes nichts zu beanstanden. Laut Urteilsbegründung führte die beauftragte Firma eine Befragung von 15.000 zufällig ausgewählten Mietern durch.
Herausgefiltert wurden Werkswohnungen, Ferienwohnungen, Apartments, die zum "Freundschaftspreis" vermietet wurden und einige andere. Letztlich blieb ein Datensatz von rund 1200 Bestandsmieten, mit dem das Preisniveau der Stadt abgebildet wurde. Erfasst wurden nicht nur Bestandsmieten, sondern auch Angebote, etwa durch eine Analyse von Annoncen in der Heilbronner Stimme. Auch das "Nachfragevolumen nach preiswertem Wohnraum" wurde ermittelt. Das Verhältnis von Wohnungsangebot und Nachfrage ist also ein wichtiger Punkt. Hier setzt eine Kritik der Anwältin Gockenbach an: Studenten spielten bei der Betrachtung in Heilbronn etwa gar keine Rolle, so als träten sie im unteren Preissegment gar nicht in Konkurrenz zu Hartz-IV-Empfängern.
Landkreis nimmt Wohngeldsätze als Maßstab
Die Stadt sieht sich hingegen bestätigt vom jüngsten Urteil. "Die Richtwerte für die angemessenen Kosten der Unterkunft in Heilbronn wurden nach den Vorgaben des Bundessozialgerichts von einem der führenden Beratungsunternehmen in den Bereichen Wohnen, Immobilien und Stadtentwicklung ermittelt", teilt das Rathaus mit.
Auch der Hohenlohekreis ermittelt die Zuschüsse nach einem eigenen Konzept, während der Landkreis Heilbronn einen anderen Weg geht: Hier sind die Werte der Wohngeldtabelle nach Wohngeldgesetz maßgeblich, ein "Sicherheitszuschlag" von zehn Prozent kommt oben drauf, was zu den höheren Zahlungen führt. Wohngeld ist eine Sozialleistung, die Menschen mit geringem Einkommen zusteht, nicht aber Hartz-IV-Empfängern, die eine angemessene Miete komplett erstattet bekommen.
Jeden Monat im Schnitt fast 18 Euro draufgelegt
Ob die Heilbronner Obergrenzen der Realität angemessen sind, bleibt trotz des Urteils umstritten. Hannes Finkbeiner, Geschäftsführer der Aufbaugilde Heilbronn, sagte zuletzt gegenüber unserer Zeitung, das viele Betroffene höhere Mieten zahlen müssten. Das sei bei etwa 20 bis 30 Prozent der Mieter in der Stadt und im Landkreis Heilbronn der Fall. Die Aufbaugilde hat mit Zahlen des Heilbronner Jobcenters eine Beispielrechnung angestellt. Demnach klaffte in der Stadt bei den fast 2400 "Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften" zwischen Zuschussanspruch und tatsächlichen Wohnkosten eine Lücke von mehr als 42.000 Euro im Beispielmonat März. Rechnerisch muss jeder Hartz-IV- oder Grundsicherungsempfänger 17,86 Euro pro Monat drauflegen - aus einem Budget, das etwa für Gesundheitspflege monatlich 17 Euro vorsieht, für Bildung 1,61 Euro. Egal ob zwei, vier oder sechs Personen - immer sind die tatsächlichen Kosten in Summe höher als die Zuschüsse.
Anwältin will gegen Urteil vorgehen
Nach Erfahrung der Juristin Gockenbach ist die Lücke für manche Betroffene wesentlich größer. Im jetzt entschiedenen Fall ging es um die Klage zweier Hartz-IV-Empfängerinnen. Für ihre Miete zahlten sie im Jahr 2017 monatlich 587 Euro. Das Jobcenter der Stadt übernahm nur 470 Euro - 117 Euro mussten die Leistungsempfängerinnen zuzahlen. Der Stuttgarter Senat des Landessozialgerichts hat nach seinem jüngsten Urteil ausdrücklich keine Revision beim Bundessozialgericht zugelassen. Gegen das Urteil ist aber eine sogenannte Nicht-Zulassungsbeschwerde möglich, um doch eine Revision freizumachen. "Das werde ich tun", kündigt Anwältin Gockenbach an.