Wie sich Kliniken auf eine mögliche zweite Corona-Welle vorbereiten
SLK-Chef Thomas Weber fordert neue Konzepte für künftige Katastrophenfälle. Der Plattenwald und die Klinik Löwenstein arbeiten spätestens ab Anfang Juli wieder im Normalbetrieb, der Gesundbrunnen bleibt vorläufig das Covid-Haus innerhalb des Verbunds.

Das Coronavirus kann jederzeit wieder zuschlagen: Das zeigen die zwei großen Ausbrüche der vergangenen Tage im Kreis Gütersloh und in Göttingen. Die Erfahrungen bei SLK zeigen, dass etwa ein Drittel der stationären Patienten so schwer erkrankt, dass eine intensivmedizinische Behandlung nötig wird.
Auch wenn die Situation in der Region aktuell entspannt ist, bleibt der Auftrag für SLK bestehen: Der Klinikverbund muss in der Lage sein, ad hoc eine größere Zahl von Corona-Positiven zu versorgen. Gleichzeitig soll der normale Krankenhausbetrieb weiterlaufen – und die Finanzlage möglichst stabil bleiben. SLK-Geschäftsführer Thomas Weber erklärt, welche strukturellen und organisatorischen Konsequenzen er jetzt für nötig hält.
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Aufgaben von Krankenhäusern: Zu Anfang der Pandemie im März haben die SLK-Kliniken Aufgaben wahrgenommen, die eigentlich nicht zu ihrem Spektrum gehören: Etwa die Öffentlichkeit gemeinsam mit dem Gesundheitsamt über eine Hotline zu informieren oder Corona-Tests vorzunehmen. Das sei in der Anlaufphase in Ordnung gewesen, auch weil die Kliniken über entsprechende Expertise und Schutzausrüstung verfügten, sagt Weber. Aber: "Das sind keine primären Aufgaben von Krankenhäusern." Für ihn ist eine Lehre der Krise: "Das Kommunikationsnetzwerk zwischen den Sektoren – also Kliniken, niedergelassenen Ärzten, Gesundheitsämtern und Pflegeeinrichtungen muss besser werden." Die Aufgabe der Krankenhäuser sieht er künftig darin, "schnell handlungsfähig zu sein und die Patientenversorgung übernehmen zu können" – womöglich auch in der ambulanten Notfallmedizin. Ein neues Konzept des Bundesgesundheitsministeriums für integrierte Notfallzentren an Kliniken hält er grundsätzlich für richtig. Es sieht vor, dass Krankenhauspersonal und niedergelassene Ärzte gemeinsam die Erstversorgung übernehmen.
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Sektorentrennung: Das deutsche Gesundheitswesen ist in Sektoren unterteilt. Die Kliniken sind ein Sektor, davon unabhängig ist der Sektor der niedergelassenen Ärzte. Durch die vielen kleinen Praxen, die überall im Land verteilt sind, ist eine engmaschige Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen möglich – "eine Stärke", findet Weber. Was SLK große Probleme bereitet, ist die Schnittstelle zum Pflegesektor. Durch "erhöhte Vorsichtsmaßnahmen und Ängste" in Pflegeeinrichtungen sei es extrem schwierig geworden, Patienten nach der Behandlung im Krankenhaus in Einrichtungen, zum Beispiel für Kurzzeitpflege, weiterzuleiten. "Das hat bei uns Engpässe geschaffen." Weber sagt: "Es würde uns viel an Entspannung bringen, wenn auch Krankenhäuser Kurzzeitpflegeeinrichtungen betreiben dürften." Darüber müsse nun geredet werden.
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Schwerpunktbildung: SLK hat von seinen drei Häusern eines – den Plattenwald – zum Corona-freien Haus erklärt und dort nicht-infektiöse Patienten behandelt. Am Gesundbrunnen und in Löwenstein wurden räumlich getrennte Corona-Stationen eingerichtet. "Ein System, das sich absolut bewährt hat", sagt Weber. Zum einen habe so sichergestellt werden können, dass die normale Patientenversorgung bei geringem Infektionsrisiko weiterläuft. Zum anderen sei das Thema Lernen auch für Ärzte und Pflegekräfte ein bedeutsames gewesen, sagt Weber: "Corona war eine neue Krankheit, die niemand richtig kannte. Auch die Ärzte und Pflegekräfte haben lernen müssen, damit umzugehen. Um eine schnelle, steile Lernkurve zu bekommen, muss man eine Vielzahl von Patienten behandeln und Erfahrungen sammeln." Auch deshalb sei es genau richtig gewesen, Schwerpunkte zu bilden.
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Personal: Schon vor der Corona-Pandemie war das Personal in Pflege und ärztlichem Dienst ein Engpassfaktor im Krankenhaus. Die Lehre für Weber: "Wir müssen noch stärker in Weiterbildung investieren." So könnten Mitarbeiter, die eigentlich auf Normalstation arbeiteten, regelmäßig in einer Art rollierendem System auf Spezialstationen eingesetzt werden, um dort Erfahrungen zu sammeln. "Sie könnten dann in Krisensituationen ad hoc zur Verfügung stehen." Aber solche neuen Personalkonzepte kosteten natürlich Geld.
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Finanzierung: Prognosen, wie SLK Ende des Jahres 2020 wirtschaftlich dastehen wird, will Weber nicht wagen: "Das hängt im Wesentlichen davon ab, ob und wann es eine zweite Welle gibt." Was feststeht: Zwischen März und Ende Mai war der Verbund nur bei rund 50 Prozent seiner normalen Auslastung, das bedeutet etwa 10.000 Patienten weniger. Zum Teil werde die dadurch entstandene finanzielle Lücke durch eine Pauschale des Bundes geschlossen, sagt Weber. Aufs Jahr verteilt rechnet er mit einem Minus von zehn bis 15 Prozent. Der Gesundbrunnen wird auch weiter nicht in voller Auslastung laufen, sondern bei 85 Prozent – Betten für Corona-Patienten werden freigehalten. Aktuell werden dort noch drei Corona-Patienten behandelt. Für die Klinik Löwenstein und den Plattenwald sieht das SLK-Konzept spätestens ab 1. Juli eine vollständige Rückkehr zum Regelbetrieb vor. Der Vorteil dieser Bündelung in einem Haus: "Man muss nur noch dort Intensivteams vorhalten."
Kommentar: Kalt erwischt
Katastrophenmedizin in der Nachkriegszeit war in Deutschland bislang ein eher theoretisches Konstrukt. Man hatte Pläne in der Schublade und war, so glaubte man, damit gut gewappnet gegen große Schadensereignisse. Vor allem Terrorattacken waren das Szenario, mit dem gerechnet wurde.
Dass niemand wirklich auf dem Schirm hatte, wie sich eine anhaltende Gesundheitskatastrophe auswirkt, hat sich nun in aller Deutlichkeit gezeigt. In unserem auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit getrimmten Gesundheitssystem war vor allem das Personal eine Ressource, die drohte, knapp zu werden.
Doch auch strukturell muss sich Einiges tun, um künftig nicht mehr kalt erwischt zu werden von Ereignissen wie dem Coronavirus. Zwei- und Dreibettzimmer waren in den vergangenen Jahrzehnten der Standard in der Krankenhausplanung. In einer Krise wie der aktuellen ist das fatal – bedeutet es doch rein rechnerisch, dass der Krankenhausbetrieb mindestens um die Hälfte zu reduzieren ist, damit Infektionen gebremst werden können. Auch über die Tatsache, dass Kliniken in Deutschland öffentliche Orte sind, wird zu reden sein. In anderen Ländern waren Besuche bei Angehörigen zu jeder beliebigen Tageszeit schon vor Corona tabu – auch aus Infektionsschutzgründen.
Die Schnittstelle zwischen Krankenhaus und Pflegeeinrichtungen muss ebenfalls besser funktionieren. Es kann nicht sein, dass Ärzte in einer Krisensituation auch noch darum kämpfen müssen, nicht mehr akut behandlungsbedürftige Patienten an eine Anschlusseinrichtung abgeben zu dürfen.



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