SLK-Mediziner berichtet von seiner Arbeit auf der Covid-Intensivstation
Über 350 Patienten mit Covid-19 wurden bislang im SLK-Verbund behandelt, der Gesundbrunnen war um Ostern das Krankenhaus mit den meisten Coronapatienten im Land. SLK-Intensivmediziner Dominik Scharpf spricht über seine Erfahrungen.

Der Intensivmediziner Dominik Scharpf (37) betreut seit März schwerkranke Corona-Patienten auf der eigens dafür eingerichteten Isolierstation am SLK-Klinikum am Gesundbrunnen. "Es war phasenweise eins vor zwölf", sagt der Oberarzt über die zurückliegenden Wochen. Als Arzt habe er die Situation als sehr kritisch erlebt – für einzelne Erkrankte und das Gesundheitssystem als Ganzes. Deshalb kann er auch Vergleiche wie den von Covid-19 mit der Virusgrippe nicht nachvollziehen.
Stimme-Redakteurin Valerie Blass hat sich mit dem Oedheimer über seine Erfahrungen und Thesen zur Corona-Pandemie unterhalten.
Wie haben Sie die letzten acht Wochen erlebt?
Es klinge vielleicht blöd, aber eigentlich habe sich die Situation im März, bevor die erste Welle von Kranken kam, wie die Vorbereitung auf einen Krieg angefühlt, sagt Scharpf. "Wir wussten, dass wir an Ostern mit einer massiven Belastung rechnen müssen. Also haben wir in kürzester Zeit unsere intensivmedizinischen Kapazitäten verdoppelt, Personal rekrutiert, kartonweise Material eingekauft, Medizintechnik und IT haben neue Geräte angeschlossen, die Hygieneabteilung war fast täglich zur Schulung da." Er habe in dieser Phase zwischen zwölf und 14 Stunden pro Tag gearbeitet, sagt Scharpf. "Wir haben mit dem Schlimmsten gerechnet." Nur wegen der guten Vorbereitung habe man dann die Patienten so gut betreuen können: "Es gab Phasen um Ostern, da waren wir das Krankenhaus mit den meisten Covid-Intensivpatienten in Land." Ein Grund dafür seien unter anderem die Ausbrüche in Hohenlohe und Bad Rappenau, später dann in Bad Wimpfen gewesen.
Eine massive Überlastung des Gesundheitssystems hat es in Deutschland nicht gegeben. Haben wir es mit unserer deutschen Gründlichkeit übertrieben?
Mit politischen Wertungen wolle er sich zurückhalten, sagt Scharpf. "Es gibt genügend kluge Menschen, die wissenschaftliche Erkenntnisse bewerten und die richtigen Schlüsse daraus ziehen." Aus Sicht eines Intensivmediziners könne er jedoch sagen: "Ein weiterer massiver Anstieg der Corona-Erkrankten wie im März und April hätte sich massiv aufs gesamte Gesundheitssystem ausgewirkt. Auch andere Patienten hätten dann nur noch schwer versorgt werden können." Die gute Prävention in Deutschland habe dafür gesorgt, dass das System nicht an seine Grenzen gestoßen sei. "Als Arzt habe ich die Situation dennoch als sehr kritisch erlebt, das hätte sich nicht noch weiter zuspitzen dürfen." Deshalb schaut er auch besorgt auf die neuen Ausbrüche in Leer und Frankfurt: "Daran sieht man, wie schnell das gehen kann."
Das Argument, eine Covid-Erkrankung sei nicht schlimmer als eine Virusgrippe wird oft bemüht.
"Das ist medizinisch überhaupt nicht vergleichbar", sagt Dominik Scharpf. Sie selbst hätten das Virus zu Anfang aufgrund fehlender Erfahrung falsch eingeschätzt. Zunächst sei man davon ausgegangen, dass im Wesentlichen die Lunge betroffen sei. "Inzwischen wissen wir, Covid-19 ist eine Multi-Systemerkrankung, die in den kompletten Körper eingreift." Sie löse bei schweren Verläufen häufig Durchblutungsstörungen in fast allen Organen aus. Mögliche Folgen: Embolien, Nierenversagen, Schlaganfälle, Schäden im Gehirn. Manche Menschen entwickelten auch extreme Überschuss-Reaktionen des Immunsystems – der Körper greife sich quasi selbst an. Und: Gegen die Influenza gebe es einen Impfstoff, der zumindest Risikogruppen schütze. Wann und ob das für Corona der Fall sei, sei völlig unklar.
Wie sind die langfristigen Perspektiven für Menschen, die schwer an dem Virus erkrankt waren?
"Auch das weiß man noch nicht", sagt Scharpf. Man könne davon ausgehen, dass einige Patienten nach langer intensivmedizinischer Behandlung eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelten – das wisse man von anderen Erkrankungen. "Außerdem kann man beobachten, dass die Lunge außergewöhnlich lange braucht, um zu heilen." Viele Patienten seien auch Wochen nach überstandener Erkrankung noch kurzatmig, einige bräuchten Dialyse. Die langfristigen Perspektiven seien ungewiss.
Gibt es auch positive Effekte durch die Krise?
Scharpf lobt die fokussierte Arbeit in teils neu zusammengestellten, interdisziplinären Teams. "Es war sehr emotional zu sehen, wie wir zusammenwachsen und alle Berufsgruppen gemeinsam hochkonzentriert gegen einen gemeinsamen Feind arbeiten." Auch bürokratische Hürden seien plötzlich weg gewesen. "Bei der Vorbereitung hing ich ständig am Telefon. Egal, wen ich dran hatte, jeder hat versucht zu helfen und Dinge möglich gemacht, die vorher unmöglich schienen. Das hätte ich nicht erwartet." Scharpf hebt auch hervor, dass sich – "vermutlich in einer Mischung aus professionellem Verhalten und Glück" – lediglich eine Person im Team infiziert habe und "Gott sei Dank nicht schwer erkrankt" sei.