Hundetrainerin: "Wir sind ein Team, in dem jeder die gleichen Rechte hat"
Beim Obedience, einem Dressursport für Hunde, kommt es darauf an, dass Mensch und Tier bestmöglich zusammenarbeiten. Hundetrainerin Anne-Kathrin Weiß aus Kirchheim erklärt im Interview, wie das funktioniert und was ihre Hunde ihr zurückgeben.

Zehn Mal schnappt sich Hitch die Holz-Hantel, hüpft über die Barriere und nimmt neben Trainerin Anne-Kathrin Weiß Platz. Trotz Minusgraden gibt es kein Wenn und Aber, die beiden haben sich fest im Blick. Der Border Collie wartet, sie gibt das Kommando, jede Bewegung sitzt. Gemeinsam haben die beiden beim Obedience, einem Dressursport, schon viele Erfolge gefeiert. Als das Foto im Kasten ist, darf Hitch wieder ins warme Auto und das Gespräch beginnt.
Er hätte noch ewig so weitermachen können, oder?
Anne-Kathrin Weiß: Das ist das Problem bei Border Collies. Sie haben als Mensch die Verantwortung, zu sagen, wann es reicht. Diese Hunde würden auch beim Schafehüten so lange weitermachen, bis sie umfallen.
Wie arbeiten Sie und Hitch zusammen?
Weiß: Wir sind ein Team, in dem jeder die gleichen Rechte hat. Natürlich ist das in einer Prüfung schwierig, da diktiere ich die Kommandos und er führt sie aus. Weil wir uns diese Kommandos aber zusammen erarbeitet haben, ist er kein reiner Befehlsempfänger. Hitch gibt mir zu verstehen: Ich habe darauf Lust, bitte sag das Kommando. Wenn diese Kommunikation funktioniert, arbeitet man als Team zusammen.
Was empfinden Sie während einer Prüfung?

Weiß: Das macht mir großen Spaß. Ich genieße es, dass die Leute uns zuschauen. Natürlich bekomme ich von außen nicht viel mit. Ich weiß, was mein Hund macht, er weiß, was ich mache. Ich kann mich auf ihn verlassen und umgekehrt.
Anders lief es bei Olympia 2021 bei der Dressurreiterin Annika Schleu. Als ihr Pferd verweigerte, schlug sie mit der Gerte zu. Wie wirkte das auf Sie?
Weiß: Sie wurde vom Ehrgeiz übermannt. Wenn ich ein Team mit einem anderen Lebewesen bilde, bin ich so gut, wie der schlechteste Part dieses Teams. Wenn das Tier nicht bereit ist, etwas zu leisten, hat man Pech. Wäre sie abgestiegen, wäre sie die Königin der Herzen geworden. Genauso gibt es Tage, an denen mir der Hund verzeiht, wenn ich das falsche Kommando gebe.
Das passiert?
Weiß: Klar! Ich habe Hitch schon öfter ein Kommando gegeben und mich gefragt: Warum verstehst du mich nicht? Später ist mir eingefallen, dass es gar nicht das richtige Kommando war.
Wie fängt das Leben eines Sporthundes an?
Weiß: Der Welpe bekommt Zeit, sich einzugewöhnen. Dann arbeitet man an der Koordination des Hundes. Ich komme selbst aus der Leichtathletik, da lernt man Kniehebelauf und Anfersen. Das lernen die Hunde ähnlich. Sie entwickeln ihr Körperbewusstsein. Spielerisch erlernen sie erste Kommandos oder Verhaltensweisen wie Sitz und Platz. Bei Border Collies ist es wichtig, dass sie Ruhe lernen. Arbeiten können sie. Aber sie müssen lernen, sich ruhig hinzulegen und nicht jedem Schatten hinterherzujagen.
Sie wollen das Selbstbewusstsein und den Selbstwert Ihrer Hunde steigern. Warum?
Weiß: Gerade Hitch musste erst lernen, dass er überhaupt einen Selbstwert hat. Jetzt weiß er: Wenn ich das Spielzeug aus der Kiste hole, dann spielt die Chefin mit mir. Oder dass ich reagiere, wenn er mir mit der Nase ans Bein stupft. Das alles steigert das Selbstwertgefühl des Hundes und ist enorm wichtig. Wir können im Obedience-Ring keine Hunde gebrauchen, die nicht in der Lage sind, Aufgaben allein zu lösen. Dafür braucht er das Selbstbewusstsein, zu sagen: Falsches Kommando, aber ich mach's trotzdem.
Wie äußern die Hunde ihre Bedürfnisse?

Weiß: Das geht zu Hause los. Wenn ich in mein Handy schaue, fliegt schon mal die Pfote aufs Telefon. Damit sagt er mir: Ich bin jetzt wichtig. Das ist die Kommunikation, die wir nicht vernachlässigen dürfen. Sobald ein Hund wach ist, kann er nicht nicht kommunizieren. Er spricht mit allem, was er hat: Mit seinen Kumpels untereinander, mit mir. Man muss wirklich darauf achten, es geht nicht nur in eine Richtung. Es kann nicht sein, dass ich von meinem Hund eine Übung verlange, er aber kein Mitspracherecht hat.
Wo haben Sie Schwierigkeiten, ihn zu verstehen?
Weiß: Manchmal versteht er mich nicht, weil ich zu undeutlich bin. Wir Menschen denken sehr viel. Wenn ich diese Gedanken nicht klar kommuniziere, kann mich der Hund nicht verstehen. Es kann passieren, dass er dann in einer Übung anfängt zu bellen, um mir zu sagen: Das kann ich gerade nicht.
Im Netz kursieren viele Videos von Kindern und Hunden. Oft sieht man, dass dem Hund die Situation nicht geheuer ist. Wie sehen Sie so etwas?
Weiß: Am besten sind Babys, die einem Rottweiler um den Hals fallen. Der Hund kommuniziert mit allem, was er hat, dass er das gerade nicht möchte, aber die Eltern finden es süß. Da fehlt einfach das Verständnis. Der Hund wird da nicht als Wesen mit eigenen Bedürfnissen anerkannt. Das finde ich überhaupt nicht richtig. Das sind die Tiere, die dann verzweifelt im Tierheim sitzen, weil sie ein Kind gebissen haben, nachdem sie eine Viertelstunde lang alles über sich ergehen lassen mussten. Denn die Konsequenzen muss immer der Hund ausbaden.
Gibt es bei Ihnen überhaupt normales Gassigehen?
Weiß: Ja. Das musste ich gerade bei den Kleinen aber wieder lernen. Gassi gehen bedeutet für manche Menschen, jeden Tag die gleiche Runde zu drehen. Für die Hunde ist das kein Gassi. Es sollte mir egal sein, wie lange ich für die Runde brauche. Ich gehe ja für die Hunde Gassi, nicht für mich. Den Hunden sollte es egal sein dürfen, dass ich einen Terminplan habe. Sie sollten schnuppern können, wo sie wollen. Das kann ich den Hunden natürlich auch nur nachmittags und abends bieten, morgens nicht.
Das klingt nach einem hohen Anspruch!
Weiß: Es ist aber nur fair. Die Hunde sind stundenlang alleine zu Hause, da ist es nicht gerecht, wenn ich gestresst nach Hause komme und "nur mal schnell" Gassi gehen will. Ich erwarte im Training ja auch die volle Aufmerksamkeit von ihnen. Das geht so nicht. Daher lautet mein Appell an die ganzen Corona-Hundebesitzer: Ihr hättet euch vorher Gedanken machen sollen.
Welchen Stellenwert haben die Hunde für Sie?
Weiß: Hunde sind Familie. Ich finde es nicht kitschig, mich als Mama dieser Hunde zu bezeichnen. Ich habe sie als Babys bekommen, sie sehen mich wahrscheinlich auch so. Ich bin diejenige, die dafür sorgt, dass sie genug zu Essen haben. Mir ist bewusst, dass ich eine immense Verantwortung habe und wir niemals völlig gleichberechtigt sind. Aber beim Training möchte ich versuchen, das zu erreichen.
Wann waren die Hunde für Sie da?
Weiß: Immer. Ich hatte vergangenes Jahr eine schwere Grippe, das war nicht schön. Das merken die Hunde sofort. Sie schrauben ihre Erwartungshaltung zurück und kuscheln sich auf die Couch. Ich habe meine Schwester an Krebs verloren. Sie haben mir Halt gegeben. Ich kann ihnen alles erzählen. Sie verstehen natürlich meine Worte nicht, aber die Gefühle dahinter.
Können Sie sich ein Leben ohne Hunde vorstellen?
Weiß: Theoretisch ist das möglich. Aber nein. Wenn Sie einmal gespürt haben, was Hunde Ihnen geben können, wollen Sie nicht mehr ohne leben.
Zur Person
Anne-Kathrin Weiß kommt aus Kirchheim und wohnt in Ludwigsburg. Die gelernte Kassenprogrammiererin arbeitet heute in der Buchhaltung, als selbstständige Hundetrainerin und als Übungsleiterin beim VDH Benningen. Zu ihr gehören die drei Border Collies Deeks (4), Hitch (8) und Luke (11), mit denen sie fast jeden zweiten Tag trainiert. Bei der Obedience-WM in Dänemark belegte sie den 24. Platz. In diesem Jahr wollen Weiß und Hitch wieder zur WM fahren, diesmal nach Spanien. In den Qualifikationen liegt das Duo bisher auf Platz eins.


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