"Keine Perspektive" – Psychisch Kranke findet mit Assistenzhund neuen Lebensmut
Luna ist ein unverzichtbarer Helfer auf vier Pfoten für Ragna Zorn. Der Assistenzhund ermöglicht der Fleinerin einen Alltag und warnt sie vor drohenden Krampfanfällen.

"Wir haben ein schwarzes Mädchen für dich." Diese Nachricht hat Ragna Zorns Leben verändert. Mit "Mädchen" ist die Flat Coated Retriever-Hündin gemeint, die ihr seit vier Jahren fast nicht mehr von der Seite weicht.
Luna ist ein Assistenzhund und hilft der Fleinerin, die unter mehreren psychischen Behinderungen leidet, den Alltag besser zu meistern. "Mein Hund hat mir das Leben gerettet", beschreibt die junge Frau die Bedeutung ihrer speziell ausgebildeten Gefährtin mit dem schwarz-glänzenden Fell und dem wachsamen Blick.
Dissoziativen Störung: Assistenzhund Luna hilft Ragna Zorn aus Flein im Alltag
Ragna Zorn leidet an einer dissoziativen Störung, ausgelöst durch ein Kindheitstrauma, wie sie erzählt. Sie hat viele Klinikaufenthalte und Therapien hinter sich. Nur bis zur siebten Klasse konnte sie die Schule regelmäßig besuchen. Zeitweise sei sie suspendiert worden. Der Schule sei das Risiko ihrer Krampfanfälle zu groß gewesen. Deshalb kamen zwei Lehrer zum Unterricht in ihr Elternhaus. "Eigentlich wollte ich Abitur machen", sagt Zorn.
Um wenigstens einen Abschluss zu haben, hat die 23-Jährige 2018 die Schulfremdenprüfung für die Hauptschule abgelegt. Der Versuch des Abendgymnasiums scheitert jedoch nach zwei Monaten. "Nun stand ich wieder ohne Schule da. Ich wusste überhaupt nicht, wie mein Leben weitergehen sollte. Ich hatte keine Perspektive", beschreibt sie ihre Verzweiflung.
Assistenzhund Luna war ein Lichtblick für Ragna Zorn
Dass Assistenzhunde bei Posttraumatischer Belastungsstörung Stabilität verleihen können, hatte sie schon gehört. Viele Symptome würden sich mit ihrer Krankheit überschneiden wie Antriebslosigkeit oder Überforderung.
Bestärkt durch ihre Therapeutin, stieß Ragna Zorn auf die "Retriever vom Eichelberg" in Gaggenau. Die Familie züchtet Tiere und bildet sie aus, etwa zu Assistenzhunden. Dort gab es gerade einen Wurf mit zehn Flat Coated Retriever. "Endlich wieder ein Lichtblick", schildert die Fleinerin ihre Erleichterung, als sie einige Wochen später den Welpen im Arm hält. Nun hatte sie eine Aufgabe.
Der Trainer kommt ins Haus und schult Hund und Mensch
Luna bekommt in einer Hundeschule die Grundausbildung. Zorn entscheidet sich, dass die Hündin während der Ausbildung zum Assistenzhund bei ihr lebt. Die Trainer kommen nach Flein, schulen Mensch und Tier. Vor knapp drei Jahren hat Luna ihre Prüfung abgelegt, die ihr Trainer entwickelt hatte. Diese wurde nach Erlass der Assistenz-Hunde-Verordnung im März 2023 anerkannt. Ragna Zorn hat einen Ausweis, der das unzertrennliche Duo als Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft anerkennt. Das erlaubt ihr, ihren Helfer auf vier Pfoten mitzunehmen, wo er sonst keinen Zutritt hat, in den Supermarkt, zum Arzt oder ins Kino.
Zorn wird mit Luna aber oft abgewiesen. "Ich glaube, das ist Unwissenheit", meint sie. Wenn sich ihr Gegenüber nicht offen zeigt, fühlt sie sich diskriminiert. "Einen Rollstuhlfahrer fordert ja auch keiner auf, den Rollstuhl zu verlassen." Dass man ihr die Behinderung nicht ansehe, sei in diesen Situationen hinderlich. Ragna Zorn ist zu 70 Prozent schwerbehindert.
Tagesstruktur ist wichtig – und wird durch Assistenzhund Luna ermöglicht
"Luna gibt mir Tagesstruktur", sagt die 23-Jährige. Ganz wichtig für psychisch Kranke. Zwei bis drei Stunden täglich ist Zorn, die bei ihren Eltern lebt, mit Luna an der frischen Luft. Das tut auch ihr gut. Mit Luna traut sie sich wieder aus dem Haus, übt das Einkaufen, kann sich leichter im öffentlichen Raum bewegen. Die Angst vor der Angst ist geringer geworfen.
Der Assistenzhund erkennt die Vorzeichen eines psychogenen Krampfanfalls, der durch seelische Belastung ausgelöst wird. Luna erkennt das am Geruch oder wenn Zorn abwesend wirkt, sich anders bewegt. "Luna fängt an, mich zu stupsen, so dass ich einen Reiz habe. Und wenn alles nichts hilft, bellt sie. Das ist die höchste Alarmstufe." Die Fleinerin setzt oder legt sich hin, der Hund auf sie drauf, das nennt sich Kontaktliegen. Zorn versucht, Luna zu streicheln, sich damit auf etwas Positives zu fokussieren. Wenn sie doch einen Anfall bekommt, schleckt Luna ihr Gesicht ab, steckt die Nase zwischen die Hände, damit diese nicht verkrampfen.
"Es ist ein Lernprozess, dass man sich auf den Hund verlässt." Mit Luna dauerten die Anfälle nicht lange, schildert Zorn die Verbesserung. Drei bis fünf Minuten statt eine Stunde wie früher. Zudem habe sich die Verletzungsgefahr bei einem Sturz minimiert. Luna weckt Zorn, die Pflegestufe 2 hat, aus ihren Alpträumen, hilft ihr beim Einschlafen, so dass sie hofft, dauerhaft auf Schlafmedikamente verzichten zu können.
Schulabschluss war ein Riesenschritt
"Das war vorher nicht möglich." Diesen Satz sagt die Fleinerin ganz oft, während sie Luna immer wieder mit einem Leckerli belohnt. Ohne die Hündin hätte sie nicht die Stabilität gewonnen, per Fernschule 2023 den Realschulabschluss zu machen und schon gar nicht die viertägige Präsenzeinheit in Darmstadt mit sechs Stunden Unterricht pro Tag gemeistert. "Das war ein Riesenschritt für mich." Nicht nur auf sich, sondern auch auf ihre unverzichtbare Helferin, die bei der Prüfung dabei war, ist sie stolz.
"Das gibt mir Zuversicht für die Zukunft, dass ich stabiler werden kann", sagt Zorn zum bisher Erreichten. "Ich möchte lernen, allein zu leben, ohne Betreuung." Ein erster Anfang zeichnet sich mit Unterstützung der Agentur für Arbeit und des Sozialamts ab: eine Wohngruppe, in der auch Luna sein darf, und Arbeit in einer Behindertenwerkstätte an der Nordseeküste, in Norddeich. Im März soll Probewohnen sein. "Ich bin gespannt, welche neuen Erfahrungen wir machen werden, weit weg von der Familie, neue Menschen kennenlernen und entdecken, was wir alles schaffen können. "Weit weg von den retraumatisierenden Faktoren", sagt die Fleinerin, die derzeit in Traumatherapie ist und Medikamente einnehmen muss.