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Wer Depressionen hat, leidet besonders unter dem Lockdown

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Der zweite Lockdown belastet viele Patienten von Psychotherapeuten besonders. Ängste und Depressionen lassen sich unter diesen Umständen nur schwer behandeln.

 Foto: Antonioguillem

Die Wartelisten sind sowieso schon voll. Deshalb will eine Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin aus Heilbronn lieber gar nicht namentlich genannt werden. Aber, so viel sagt sie dann: Aus beruflicher Sicht halte sie die Corona-Politik der Bundesregierung für kritisch. Der zweite Lockdown habe zur Folge, dass viele Menschen, die unter Sozialphobie oder unter anderen Ängsten leiden, zurückgeworfen würden. Wo die vergangenen Monate vielleicht Fortschritte gemacht wurden, könne sie als Psychotherapeutin nun wieder bei Null anfangen. Corona und die gesellschaftlichen Begleitumstände werden zum chronischen Leiden für viele Patienten.

Große Herausforderung für Menschen mit Sozialphobien und Angststörungen

Gerade für Menschen mit Sozialphobien und Angststörungen sei der Lockdown fatal. Der erste Lockdown im Frühjahr sei problematisch genug gewesen, berichtet die Therapeutin. Jetzt habe sie monatelang mit Patienten gut arbeiten können - und erneut komme ein solcher Rückschritt. "Unsere Therapien bestehen auch aus Experimenten, mit denen der Kontakt zu anderen Menschen geübt werden soll", sagt die Therapeutin. Zum Beispiel, indem der Patient eine Bäckerei besuche und etwas bestelle und kaufe. Für Sozialphobiker kann so etwas eine große Herausforderung sein.

Ausgerecht "das Gesundmachende" für viele Krankheitsbilder werde durch die Pandemie erschwert, sagt auch Alessandro Cavicchioli aus Schwäbisch Hall, baden-württembergischer Landesvorsitzender der Vereinigung Deutscher Psychotherapeuten. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, Lösungen zu finden. Der erfahrene Psychotherapeut hält grundsätzlich das Vorgehen der Bundesregierung für sehr gut. "Ich jammere hier wie viele Deutsche auf hohem Niveau." Viele Menschen, die aufgrund von Depressionen zu ihnen kommen, könnten sie als Psychotherapeuten aber unter den aktuellen Umständen nur schwer unterstützen. Grundsätzlich gilt bei Depressionen, vor allem bei leichten: "Was hilft, sind Ausdauersport und soziale Kontakte knüpfen und sie vor allem pflegen", so Cavicchioli. Beides ist derzeit nur eingeschränkt machbar.


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In seinen Therapiestunden trägt Alessandro Cavicchioli einen Mund-Nasen-Schutz, der Patient allerdings nicht. Es sei bei Psychotherapie wichtig, die Mimik des Patienten zu lesen, erklärt Cavicchioli. In Bezug auf Depressionen "muss man wissen, dass Frauen viel eher anfällig sind". Das gelte auch für Ängste. Die Behandlungsleitlinien sähen vor, dass man diesen Menschen Aktivität empfiehlt und eben, möglichst soziale Kontakte zu knüpfen. "Da fällt der Groschen." Die Menschen seien ja aktuell nicht dazu in der Lage, sich kennenzulernen. Der Gesetzgeber hat seiner Ansicht nach diese Problematik zu wenig auf dem Schirm. "Es wäre wichtig, die unvermeidlichen Schäden, die durch Corona entstehen, auszutarieren." Die schweren Bedingungen für psychisch belastete Menschen sollten besser wahrgenommen werden.

Das Vermeiden von bestimmten Situationen wird zum Problem

Wenn zum Beispiel jemand unter Panikanfällen leide, dann sei es falsch, die Situation zu vermeiden, in denen es zur Panik kommt. Und wenn ein Kind eine Schulphobie habe, dann sei es natürlich auch falsch, das Kind von der Schule zu befreien. Das wäre der völlig verkehrte Ansatz. "Außer die Gefahr ist real", sagt der Psychotherapeut - dann begebe man sich logischerweise nicht freiwillig in die Gefahrensituation. "Es gibt keine absolute Sicherheit im Leben", so Cavicchioli weiter. Und bei allem Ernst, mit dem er dem Coronavirus begegnet - auch weil er selbst Bekannte hat, die jemanden durch das Virus verloren haben - ist er der Ansicht: "Die Leute werden zum Vermeiden motiviert." Das sei ein richtiges Problem.


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Zum Teil machten Menschen während der Corona-Pandemie traumatische Erfahrungen. Es sei wichtig, dass die Politik ein Maximum an sozialen Kontakten ermögliche. Cavicchioli: "Da müssen wir einen Kompromiss finden. Wir sind ja Menschen, wir sind doch keine Einsiedler." Unberücksichtigt bleibe momentan, welche Spätfolgen die Maßnahmen gegen die Pandemie haben könnten. "Wir sollten da ganz genau hinsehen." Er sei aber überzeugt davon, dass die Gesellschaft auch im positiven Sinne lernen könne. Viele Menschen lernten nun gezwungenermaßen, besser mit sich selbst zurechtzukommen. Führten vielleicht bessere und intensivere Gespräche mit Freunden und Partnern.

Manche Patienten sind entspannt

Ein weiterer Psychotherapeut aus Heilbronn macht die Erfahrung, dass einige Patienten mit Ängsten und Sozialphobien derzeit auffällig "entspannt" seien, da sich nicht mehr alleine seien mit ihrer Wahrnehmung von einer gefährlichen Umwelt. "Plötzlich ist die Umwelt für alle eine Gefahr", sagt er. Den Patienten bringe das aber letztlich keinen Fortschritt, weil sie sich ihrer Problematik in dieser Zeit nicht stellen könnten.

Wichtig sei nach wie vor, dass Menschen mit psychischen Problemen schnell eine erste Sitzung beim Psychotherapeuten bekommen können, sagt Therapeut Cavicchioli - und über die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen sei dies gewährleistet. "Das geht ohne bürokratische Hindernisse", sagt er.

Psychische Entlastung an Weihnachten - so geht's:

Die Vereinigung Deutscher Psychotherapeuten hat Empfehlungen formuliert, die an Weihnachten für Entlastung sorgen können
1. Perspektiven schaffen. "Unsere Psyche will wissen, was als nächstes kommt."
2. Emotionale statt physische Nähe.
3. Zeit statt Zeug.
4. Radikale Akzeptanz, Pandemie-Bedingungen akzeptieren. Das bedeute nicht, etwas gutzuheißen, sondern die Realität anzunehmen. 5. Vorfreude durch Zukunftsprojektion: Auch diese Krise wird vorübergehen.

 
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