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Klinikum am Weissenhof behandelt Depression jetzt mit Magnetimpulsen

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Die Ursachen einer Depression sind noch nicht vollständig erforscht. Klar ist aber, dass die Erkrankung Funktions- und Strukturänderungen im Gehirn zur Folge hat. Das Klinikum am Weissenhof in Weinsberg setzt zur Behandlung Magnetimpulse ein, die Nervenzellen im Gehirn stimulieren. Diese Methode wird 2021 in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen.

Depressionen werden mit Medikamenten, psychotherapeutischen Gesprächen, Beschäftigungs-, Ergo- und Bewegungstherapie behandelt. Foto: dpa
Depressionen werden mit Medikamenten, psychotherapeutischen Gesprächen, Beschäftigungs-, Ergo- und Bewegungstherapie behandelt. Foto: dpa  Foto: Felix Kästle (dpa)

Grau - das ist die Farbe, die gemeinhin mit einer Depression assoziiert wird. "An Depression leidet etwa ein Fünftel der Bevölkerung mindestens einmal im Leben. Sie ist gekennzeichnet durch gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit und weitere Symptome", erklärt Dr. Daniel Schüpbach, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie West im Klinikum am Weissenhof. Die oft langwierige Behandlung setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen: Medikamente, psychotherapeutische Gespräche, Beschäftigungs-, Ergo- und Bewegungstherapie gehören dazu.

Neue Therapie kommt bei den Patienten gut an

Jetzt ergänzt ein neuer Baustein das Spektrum im Klinikum in Weinsberg: Magnetimpulse sollen Nervenzellen in Bereichen des Gehirns stimulieren, die die Stimmung regulieren. Mit Erfolg: "Wir sind selbst ein bisschen überrascht, wie gern Patienten diese Therapie machen", sagt Schüpbach. Denn sie hilft in den meisten Fällen sehr schnell wieder aus dem Tief heraus, muss aber oftmals wiederholt werden.

"Große Studien belegen den zusätzlichen Effekt", betont Oberarzt Dr. Wolfgang Schöps, der das Verfahren unter Leitung von Dr. Schüpbach im vergangenen Jahr in der Klinik eingeführt hat. Ab dem kommenden Jahr werden die gesetzlichen Krankenkassen die sogenannte repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) in ihren Leistungskatalog aufnehmen.

Kommunikation zwischen neuronalen Netzwerken wird wieder ins Gleichgewicht gebracht

Die Ursachen der Depression sind noch nicht vollständig erforscht. Klar ist, dass damit Funktions- und Strukturänderungen im Gehirn verbunden sind: "Die Erkrankung geht einher mit dysfunktionalen Durchblutungsmustern", erklärt der Klinikchef. Die Kommunikation zwischen verschiedenen neuronalen Netzwerken gerät aus dem Gleichgewicht, "dabei spielen gewisse Neurotransmitter, also Botenstoffe, eine Rolle". Das Gleichgewicht wieder herzustellen, ist Ziel der Therapie.

Durchschnittliche Liegedauer beträgt sechs bis acht Wochen

Der erste Arzt, der die Diagnose stellt, ist häufig der Hausarzt. "Er kennt den Patienten, die Familie, die Umstände", sagt Schüpbach. "Das ist wichtig für die erste Beurteilung." Hausärzte dürfen auch die nötigen Medikamente verordnen: "Sie verschreiben deutschlandweit etwa gleich viel Psychopharmaka wie Fachärzte." Doch diese Medikamente wirken nicht bei jedem Patienten gleich gut, nicht jeder Patient verträgt sie, und manchmal stellen sich Nebenwirkungen ein. Mit dem Patienten gemeinsam versucht der Arzt herauszufinden, welches Mittel am besten passt. Grundsätzliche Vorbehalte gegen Antidepressiva kann Schüpbach nicht nachvollziehen: "Als es noch keine Medikamente gab, waren die Patienten teilweise Jahre in der Psychiatrie", erinnert er an vergangene Zeiten. "Jetzt haben wir Liegezeiten von sechs bis acht Wochen. Medikamente können den Krankheitsverlauf deutlich verkürzen."

Behandlung erfolgt mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen

Hinzu kommt ein ganzes Bündel an weiteren Maßnahmen, betont der Facharzt. Ein wichtiger Baustein ist die Gesprächstherapie. "Psychotherapeutische Gespräche können auch Veränderungen im Gehirn bewirken", ergänzt Schöps - "funktionell und strukturell. Man weiß, dass sogar das Abrufen der Gene verändert wird. Das greift ganz tief in die Gehirnfunktion ein." Doch im Akutfall, wenn das Leben in Gefahr ist, etwa durch drohenden Suizid oder Nahrungsverweigerung, tut schnellere Hilfe Not: Krisenintervention, Überwachung, Kurzzeitpsychotherapie sowie die Gabe von beruhigenden und stimmungsaufhellenden Medikamenten.

In sehr schweren Fällen kann Elektrokrampftherapie helfen

Für sehr schwer an Depression erkrankte Menschen hat sich zusätzlich die Elektrokrampftherapie bewährt. Immer setzt diese Behandlung die Zustimmung des Patienten voraus. "Das ist ein invasives Verfahren", erklärt Schöps. Dabei versetzt ein Anästhesist den Patienten in Narkose, ehe ein elektrischer Impuls gezielt einen Krampfanfall auslöst. "Dieser läuft im Gehirn ab", sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Medikamente verhindern, dass auch der Körper krampft. Der Patient selbst bekommt davon nichts mit.

"Dieses Verfahren ist nur für ganz bestimmte Krankheitsbilder zugelassen", betont der Oberarzt - etwa schwere schizophrene Psychosen. "Man weiß, dass es auch bei schwersten Zuständen hilft. Es kommt häufig zu einer raschen Besserung. Das hat einen klaren Benefit."

Therapie mit Magnetimpulsen ist minimal invasiv

In diesem Sessel erfolgt die Magnetstimulation, betreut vom Team mit Carola Micillo (v.l.), Dr. Wolfgang Schöps, Dr. Florin Ardeleanu und Yildiz Baltas. Foto: privat
In diesem Sessel erfolgt die Magnetstimulation, betreut vom Team mit Carola Micillo (v.l.), Dr. Wolfgang Schöps, Dr. Florin Ardeleanu und Yildiz Baltas. Foto: privat  Foto: privat

Auch die relativ neue repetitive transkranielle Magnetstimulation zählt zu den Stimulationstherapien, funktioniert aber gänzlich anders. "Wir stimulieren bestimmte Hirnnetzwerke, von denen wir wissen, dass die für die Depression verantwortlich sind", erklärt Schöps. Statt mit Strom wird mit Magnetimpulsen gearbeitet, und die Therapie ist minimal invasiv.

Der Arzt bestimmt nach einer ausführlichen Voruntersuchung die benötigte Energiemenge. Während der Behandlung, die zwischen drei und 37 Minuten dauert, kann sich der Patient in einem bequemen Stuhl zurücklehnen. Er bleibt bei vollem Bewusstsein. Ein Klickgeräusch ist zu hören und auf dem Kopf ein leichtes Klopfen zu spüren. Eine Behandlungsserie umfasst 20 bis 40 Sitzungen, die Energiemenge wird jeweils angepasst. Der Patient sollte viel trinken, Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder kurzzeitige Übelkeit können auftreten, sind aber harmlos.

Weitere Option für stationäre Patienten im Klinikum am Weissenhof

"Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, wie sie unter Elektrokonvulsionstherapie bekannt sind, traten bei rTMS nicht auf", berichtet Schöps über die Ergebnisse verschiedener Studien. Die Magnetstimulation eignet sich für erwachsene Patienten, die mit antidepressiver Medikation keine wirkliche Besserung erreichen oder die Medikamente nicht vertragen. Nicht infrage kommt sie für diejenigen, die eine Neigung zu Krampfanfällen haben oder Metallteile im Körper wie Cochleaimplantate, Herz- oder Hirnschrittmacher sowie aus Sicherheitsgründen bei Schwangeren. "Das ist eine weitere Option, die wir für stationäre Patienten anbieten können", freut sich Schüpbach über die Ergänzung des therapeutischen Spektrums. "Die Magnetstimulation ist eine gute Möglichkeit, schonend eine antidepressive Wirkung zu erreichen."

 

Selbsttest

Eine Depression im medizinischen Sinne ist eine ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen beeinflusst, mit Störungen von Körperfunktionen einhergeht und erhebliches Leiden verursacht. Ausführliche Informationen und einen Schnelltest gibt es im Internet unter www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe.

Notfall-Nummern

Betroffene wenden sich in Notfällen, etwa bei drängenden und konkreten Suizidgedanken, an den Notarzt unter der Telefonnummer 112 oder direkt an das Klinikum am Weissenhof (Telefon zwischen 8.30 und 16.30 Uhr: 07134 751111, außerhalb dieser Sprechzeiten 07134  750 (zentrale Pforte)). Fragen zur Erkrankung und zu Anlaufstellen beantworten Experten am bundesweiten Info-Telefon Depression: 0800 3344533.

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