Corona-Folgen: Kinder bekommen Angst vor Nähe
Der Kinderpsychotherapeut Hans Hopf sorgt sich in der Corona-Pandemie um Kinder und Jugendliche. Er beobachtet gesellschaftliche Tendenzen hin zu einer "wahnhaften Fantasie".

Der Psychotherapeut Hans Hopf aus Mundelsheim macht sich Sorgen um die Psyche von Kindern und Jugendlichen. Die Corona-Pandemie und der Umgang der Gesellschaft mit ihr hat Folgen, die Therapeuten in ihren Sitzungen beobachten können. "In der Supervision habe ich von einem dreijährigen Mädchen gehört, das voller Angst schreit, wenn Menschen die Wohnung betreten", sagt er.
"Wenn die Menschen näherkommen, bekommt es Angst, sich anzustecken", so Hans Hopf. Das kleine Mädchen lerne, dass Nähe und Berührung gefährlich seien. Hopf fragt kritisch: "Sind das die neuen Erziehungsziele?" Soll das unsere Zukunft werden, Unsicherheit, Angst, Abstand - in allen Sparten des Lebens? Der Therapeut stellt außerdem die Frage: "Wie können wir dagegen arbeiten?"
Am Ende des Lebens sehe es derzeit ähnlich aus. "Wir hatten kürzlich eine würdevolle Beerdigung einer Verwandten", erzählt Hans Hopf. "Die Pfarrerin hat eine sehr persönliche Ansprache gehalten. Aber es war merkwürdig gespenstisch. Kaum jemand sprach miteinander, keine Umarmungen, Masken."
Was Corona mit der Gesellschaft macht
In der Überarbeitung seines Buches "Die Psychoanalyse des Jungen" (Klett-Cotta) hat Hans Hopf nun ein Kapitel über die Gesellschaft und ihre unbewusste Reaktion auf Corona geschrieben. Wenn eine Gesellschaftlich außergewöhnlich belastet werde, heißt es darin, dann werde "das Gleichgewicht zwischen den Forderungen der Gesellschaft und der Zufriedenheit des Ichs extrem aus den Fugen geraten". Während der Corona-Krise sei zu beobachten, dass Teile der Gesellschaft wie ein Individuum agierten und reagierten. Denn die Gesellschaft bestehe aus vielen Einzelwesen, die auf die Bedrohungen mit Ängsten und Abwehrstrategien ähnlich reagierten. "Ein kollektives Muster wurde erkennbar", so Hopf.
Ein Fallbeispiel: In Hopfs Praxis stellte sich eine Mutter vor. Sie suchte die Meinung eines Dritten. Sie hatte ihre sechsjährige Tochter belehrt, sich regelmäßig die Hände zu waschen, damit sie sich nicht mit den gefährlichen Viren infizieren würde. Inzwischen hat die Mutter jedoch festgestellt, dass das Händewaschen immer länger dauert. Die Abstände zwischen den Waschungen sind immer kleiner geworden. "Ein Waschzwang hat sich entwickelt."
"Aus realen Ängsten sind irrationale geworden", erklärt Hopf. Das Kind will seine Ängste vor dem Virus beherrschen, indem es das Geschehen kontrolliert. "Angst ist ein angeborener Anpassungsmechanismus. Sowohl bei den Tieren als auch beim Menschen warnt Angst vor Gefahren und ruft zu Gegenmaßnahmen auf, zum Flüchten, zum Standhalten oder zur Erstarrung." Das sei eigentlich unproblematisch, sollte man meinen. Nur, sagt der Psychotherapeut: "Das Tier reagiert auf äußere Reize selbstverständlich, instinkthaft. Der Mensch hat kaum mehr Instinkte. Und das Wertvollste, was Menschen besitzen, kann auch störend werden. Es ist seine Fantasie."