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Wie Long Covid auf Dauer den Alltag beeinflusst

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Frauen einer Selbsthilfegruppe berichten, wie das Corona-Virus ihr Leben seit Monaten auf extremer Sparflamme hält. Erschöpfung erleben alle. Doch sie haben Hoffnung auf Besserung. Nur wann?

von Carsten Friese

Seit rund eineinhalb Jahren erleben sie Langzeitfolgen von Corona hautnah, fühlen sich "wie gelähmt", total schwach und teilweise "wie nach einem Crash". 30 Menschen, die unter Long-Covid leiden, haben sich zu einer Selbsthilfegruppe "Corona im Ländle" zusammengeschlossen. Um sich auszutauschen, sich Mut zu machen - weil man sich sonst "von Politik und Gesellschaft allein gelassen fühlt", sagt Mitinitiatorin Hanne H. (61).

Achselzucken und Unverständnis haben sie bei Ärzten öfter erlebt

Die Schwäbisch Hallerin organisiert gemeinsam mit der Heilbronnerin Anni C. (42) die regelmäßigen Online-Treffen per Videokonferenz. Von Ärzten sind sie oft enttäuscht worden, weil sie wenig Verständnis für ihre Situation aufbringen oder mit den Achseln zucken. Long Covid? Es ist Neuland, kaum erforscht, wie soll man da konkret helfen? Die beiden sprechen auch die andere Seite der multisystemischen Krankheit an, wenn Menschen mit dem Krankheitsbild nicht mehr arbeiten können, erst Krankengeld, dann Arbeitslosengeld erhalten, im Extremfall auf Hartz-IV abrutschen und ihr Haus verkaufen müssen. "Das Leben wird zu einer extremen Herausforderung", sagt Gruppen-Teilnehmerin Nicole D. (48). Und dabei gehe es nur darum, "für das Nötigste zu sorgen".


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Ihre Berichte ähneln sich in den Grundzügen. Jede hat die Krankheit Long Covid im Detail aber mit anderen Symptomen erlebt. Ein Grundschema ist die extreme Erschöpfung, die sich nach kurzen Anstrengungen einstellt. Immer wiederkehrende Momente, wo der Körper streikt, schlapp macht, man nicht mehr kann und nur noch schlafen will. Hanne H. beschreibt es drastisch: "Nach zwei Kilometern E-Bike muss ich vier Stunden schlafen." Geht sie 300 Meter, muss sie eine Pause machen. Vor ihrer Corona-Infektion sei sie "richtig fit" gewesen, ging drei Mal die Woche bis zu 14 Kilometer walken, trainierte im Fitnessstudio. Jetzt begleiten sie Muskelschmerzen, Taubheitsgefühle, Durchfall, Husten und Übelkeit. Eine Reha durchlief sie, aber es kam ein heftiger Rückschlag. Sie weiß noch nicht, ob sie eine zweite Reha beantragen will.

Hanne H., Nicole D. und Anni C. (v. li.) von der Selbsthilfegruppe "Corona im Ländle" beim Videogespräch mit der Stimme. Auf 30 Betroffene ist ihre Gruppe angewachsen.
Foto: Carsten Friese
Hanne H., Nicole D. und Anni C. (v. li.) von der Selbsthilfegruppe "Corona im Ländle" beim Videogespräch mit der Stimme. Auf 30 Betroffene ist ihre Gruppe angewachsen. Foto: Carsten Friese  Foto: Friese, Carsten

Frusterlebnis: Ein schneller Rückfall nach einer Reha

Von "unfassbaren Dauerkopfschmerzen" berichtet Anni C., von Crashs, die sie oft zurückwarfen und über Tage ans Bett fesseln. An extremen Tagen könne es sogar sein, "dass man es nicht mal schafft, Kaffee zu kochen". Sie hat 38 Stufen im Haus zu ihrer Wohnungstür. Diese geht sie schon extrem langsam. Am Ende aber "muss ich beide Hände nehmen, damit ich das Schlüsselloch treffe". Auch sie hat eine Reha hinter sich, beschreibt die Zeit als "super". Drei Wochen später: der nächste Crash. "Dann war ich auf dem Level wie vor der Reha."

Hohes Fieber, Geschmacks- und Geruchsverlust hat Nicole D. erlebt, die dauerhafte Erschöpfung und ein extremer Schwindel begleiten sie bis heute. Seit Juni 2020 ist sie krankgeschrieben, geht nur noch mit Hilfe von Walking-Stöcken aus dem Haus. Einkaufen und Staubsaugen an einem Tag? "Es geht nur eines", sagt sie. Weil sie danach keine Kraft mehr hat. Ihr Akku sei nur noch mit bis zu 30 Prozent geladen.

Nach einem Sturz wegen starker Schwindelgefühle wurde ihr eine Reha für einen Bandscheibenvorfall und eine Halswirbelprellung verschrieben - keine spezialisierte Behandlung auf Long Covid. "Es hat nichts gebracht", sagt die 48-Jährige. "Es wurde schlimmer - und ich hatte keine Erklärung dafür."


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Eine Hoffnung ist, dass es vielleicht bald ein Medikament gibt

Für alle drei ist es ein langer Kampf um die Anerkennung ihrer Erkrankung. Ihre Selbsthilfegruppe, im Juni gegründet, hat auf der Homepage viele Informationen zusammengestellt, informiert auch mit Vorträgen über Physiotherapie, Arbeits- und Sozialrecht. "In der Gruppe müssen wir uns nicht erklären, alle wissen, wovon man redet", sagt Hanne H. Was für Long-Covid-Betroffene im Alltag hilfreich wäre? "Dass man nicht drei Monate oder länger auf Facharzt-Termine warten muss", nennt die 61-Jährige ein Beispiel. "Da kann man ja nicht gesund werden." Ein breiteres Angebot an Long-Covid-Ambulanzen wäre für die Betroffenen eine große Erleichterung. In Karlsbad bei Karlsruhe oder Freiburg haben zwei Hilfe erhalten. Ludwigsburg ist in einer Liste im Internet diejenige Anlaufstelle, die am nächsten an der Region Heilbronn liegt.

Was den Frauen Hoffnung macht in einem Leben mit extremen Einschränkungen und Rückschlägen? "Ich mache mir jeden Tag selbst Mut", sagt Hanne H. Für die Politik seien Betroffene in ihren Augen "nur Randfiguren". Anni C. hofft, dass der Forschung ein Durchbruch gelingt, ein Medikament oder eine Behandlungsmethode helfen kann. "Sie sind dran. Aber es müsste besser koordiniert werden." Nicole D. erlebt Hoffnung, wenn sie Berichte über Betroffene hört, die in der Lage sind, "wieder arbeiten zu können". Das möchte sie auch wieder. Unbedingt.

Fakten

Long Covid ist eine Krankheit mit mehr als 200 beschriebenen Symptomen, die über Monate anhalten. Atemnot, extreme Erschöpfung, Schwindel, Schlafstörungen, Muskelschmerzen, Depressionen, Appetitverlust sind häufig. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Covid-Patienten mit schwerem, aber auch mit leichtem Verlauf entwickeln Symptome. Über Zahlen gibt es nur Schätzungen, von etwa zehn Prozent der Erkrankten ist oft die Rede.

Selbsthilfegruppe Long Covid
E-Mail: kontakt@corona-im-laendle.de
Homepage: www.corona-im-laendle.de

 
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