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Wein-Destillation
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Überflüssiger Württemberger Trollinger wird in großem Stil entsorgt

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Hohe Kosten, große Konkurrenz, weniger Weintrinker: Die Wengerter stehen mächtig unter Druck. Nun werden sogar acht Millionen Liter Württemberger Wein zu Industriealkohol destilliert. Was ist da nur los?

In manchen Kellern quellen die Tanks über, auch in Württemberg. Vor allem Trollinger und Schwarzriesling sind nicht mehr so gefragt wie früher. Sie werden nun teilweise destilliert.
In manchen Kellern quellen die Tanks über, auch in Württemberg. Vor allem Trollinger und Schwarzriesling sind nicht mehr so gefragt wie früher. Sie werden nun teilweise destilliert.

Viertelesschlotzer mögen den Kopf schütteln, Feinschmecker die Nase rümpfen: Wein, also der edle Saft der Reben und ein Kulturgut sondergleichen, soll destilliert werden. Nicht etwa in kleinen Dosen für feinen Weinbrand. Vielmehr wird er zu Industriealkohol verarbeitet und fließt in Putzmittel, Desinfektionsmittel, Lacke oder Kosmetika ein. Aktuell will die EU dadurch Wein-Übermengen vom Markt nehmen, die im Lebensmittelhandel zu einem teils ruinösen Wettbewerb führen.

In Europas großen Weinländern Italien, Spanien oder Frankreich ist die Destillation nichts Neues. Sie gehört je nach Größe des Jahrgangs zum Geschäft. Auch in Deutschland ist sie nicht völlig tabu. Selbst in Württemberg nicht. Hier wurde etwa in den 1990er Jahren Weißwein entsorgt, weil Rotwein "in" wurde und Riesling mit sogenanntem untypischen Alterungston kaum zu verkaufen war.


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Nun macht in Wengerterkreisen – hinter vorgehaltener Hand – wieder das Wort vom "Verspriten" die Runde. Nach aktuellen Angaben des Regierungspräsidiums Stuttgart sollen gut acht Millionen Württemberger Qualitätswein der Destillation zugeführt werden, die zum Großteil schon seit längerer Zeit fix und fertig zur Flaschenabfüllung in Fässern und Tanks lagern. Das entspricht in etwa zehn Prozent der jährlich verkauften Gesamtmenge an Württemberger.

Nach Angaben des Regierungspräsidiums Stuttgart (RP) stammen die überflüssigen Tropfen von 49 Betrieben, sowohl von Gütern als auch von Privatkellereien und Genossenschaften, die mit 70 Prozent den Großteil an heimischem Wein produzieren. Namen nennt die Behörde wegen des Datenschutzes nicht.

Trollinger und Schwarzriesling werden entsorgt: So viel bekommen Wengerter pro Liter

Auch in Reihen der heimischen Wengerter will sich keiner outen oder gar als Nestbeschmutzer dastehen. Doch nach Informationen der Heilbronner Stimme machen selbst große und stabile Branchenflaggschiffe von der Möglichkeit zu destillieren Gebrauch, ganz zu schweigen von kleineren Betrieben, "denen das Wasser schon lange bis zum Hals steht", wie ein Insider weiß. Abgeführt würden vor allem regionaltypische Rotweinsorten wie Trollinger und Schwarzriesling.

Von früheren Generationen wurde sie noch in rauen Mengen getrunken. Im Zuge des Trends zu Weißwein und zu dichteren Rotweintypen bleiben viele Wengertern ausgerechnet auf diesen alten Brot- und Butterweinen sitzen. Über ein Hilfsprogramm dürfen solche Betriebe nun statt mit den handelsüblichen plusminus fünf Euro mit schlappen 65 Cent pro Liter rechnen – abzüglich der Kosten für Transport und Destillation. Bis Ende Oktober mussten die Förderanträge beim RP eingegangen sein. Nach Prüfung durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) sei mit der Auszahlung im Januar zu rechnen, heißt es.

Wein-Produzenten aus Württemberg erhalten vermutlich 5,4 Millionen Euro für Wein-Entsorgung

Das Geld kommt über Berlin aus Brüssel, genauer aus sogenannten Krisenreserven, mit denen die EU der Agrarwirtschaft in bestimmten Bereichen "zur Abmilderung von Härten", so heißt es in einem Papier, unter die Arme greift. Deutschland darf dieses Jahr mit insgesamt 36 Millionen Euro rechnen, die Weinbranche bekommt davon 6,5 Millionen Euro, wovon voraussichtlich 5,4 Millionen Euro nach Württemberg fließen.

Auch andere Länder zapfen den EU-Hilfstopf an, vor allem wegen ihrer großen Ernten in den Vorjahren. Grundsätzlich ist Wein kein Selbstläufer mehr, vor allem weil weniger getrunken wird. Viele sagen sich: weniger ist mehr, gesünder, sicherer. So ist der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland auf unter 20 Liter pro Jahr gesunken. Aktuell zeigt die Kurve weiter nach unten, weil die Verbraucher wegen der Wirtschaftskrise, Kriegen und allgemeiner Verunsicherung sparen, vor allem bei Genussmitteln.

Deutschlandweit wurden im Lebensmittelhandel 2023 zehn Prozent weniger Wein verkauft als 2022. Württemberger hat sogar 15 Prozent verloren. Schuld daran könnten auch Preiserhöhungen von zehn Prozent sein. Preisbewusste Verbraucher greifen derzeit mehr denn je zu billiger Importware. Ein Trend, der vom Handel zum Ärger der Winzer mit Dumping-Angeboten befeuert wird.

 

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