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Therapie statt Knast: Für und Wider des Maßregelvollzugs

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Nach dem Ausbruch von vier Männern aus dem Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg stellt sich die Frage nach der angemessenen Unterbringung von Straftätern. Lutz Hils, Richter am Landgericht Heilbronn, und Dr. Matthias Michel, ärztlicher Direktor in Weinsberg, erläutern ihre Argumente.

Wie ist der richtige Umgang mit einem Straftäter, der darüber hinaus alkohol- oder drogenabhängig ist? Zwei Experten erörtern Vor- und Nachteile.
Foto: dpa
Wie ist der richtige Umgang mit einem Straftäter, der darüber hinaus alkohol- oder drogenabhängig ist? Zwei Experten erörtern Vor- und Nachteile. Foto: dpa  Foto: Hendrik Schmidt

Vier verurteilte Männer, die eigentlich im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Weinsberg ihre Therapie absolvieren sollten, sind ausgebrochen. Dass sie überhaupt im ZfP statt in einem Gefängnis saßen, ist aufgrund des Paragrafen 64 des Strafgesetzbuches möglich. Der Straftäter wechselt vom Gefängnis in eine Entzugseinrichtung (Maßregelvollzug). Der Paragraf ist bei Experten umstritten. Doch wann wird er angewendet?

Lutz Hils (41) ist Richter und Pressesprecher am Landgericht Heilbronn. Der Paragraf 64 regle die Unterbringung in einer Entzugseinrichtung und werde angewendet, wenn der Angeklagte abhängig von Suchtstoffen ist oder "nah dran" ist, abhängig zu sein. Man spreche von einem "Hang" zu übermäßigem Konsum.

Wenn die Taten, die zur Verurteilung führten, etwas mit diesem "Hang" zu tun haben, in Zukunft die Gefahr besteht, dass der Täter deshalb weitere Straftaten begeht, und die Aussicht auf eine erfolgreiche Therapie begründet ist, dann könne der Paragraf 64 angewendet werden.

 



Juristischer, kein medizinischer Begriff

An dem Begriff "Hang" stößt sich Dr. Matthias Michel (61), ärztlicher Direktor des ZfP. Er sei ein juristischer und kein medizinischer Ausdruck. Bei einer medizinisch nachgewiesenen Abhängigkeit verfügen Ärzte und Therapeuten über entsprechendes Handwerkszeug. Er spricht sich dafür aus, den Begriff "Hang" zu schärfen. "Wir bekommen zunehmend Patienten, auf die die Kriterien einer Abhängigkeit nicht zutreffen."

Hils hingegen erklärt in einer E-Mail, dass die Aussicht auf eine Therapie es den Angeklagten, die hohe Strafen zu erwarten haben, erleichtere, aufrichtig bezüglich ihres Drogenkonsums zu sein und ihre Taten in der Gerichtsverhandlung zugeben. Der Richter sieht aber auch einen Nachteil des Paragrafen. Nämlich dann, wenn die Haftstrafe kürzer ausfällt als die Therapiezeit.

 


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Bewusst scheitern lassen

Werde die Behandlung wegen eines Rückfalls oder mangelnder Mitwirkung abgebrochen, habe der Verurteilte nur noch die verbleibende Haftzeit vor sich. "Das ist ein Anreiz für ihn, die Unterbringung im Maßregelvollzug mutwillig scheitern zu lassen", schreibt Hils. Ein Reformansatz ist es aus Hils" Sicht, bei einer Unterbringung in einer Entzugseinrichtung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren vorzuschreiben.

Michel macht auf einen anderen Punkt aufmerksam. Im Regelvollzug haben Straftäter frühestens nach zwei Dritteln der verhängten Strafe Chancen auf eine Entlassung auf Bewährung. Treten sie eine Therapie an, bestehe die Möglichkeit, die Haftzeit zu halbieren.

Nicht auf Therapie einlassen

Bei der Hälfte der behandelten Straftäter stelle man fest, dass es keine Erfolgsaussichten gibt, erklärt Michel. "Denen können wir nicht helfen." Entweder seien die Insassen so schwer abhängig, dass sie immer wieder rückfällig werden, oder sie ließen sich erst gar nicht auf die Therapie ein.

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