Streitgespräch: Wie viel wollen wir fürs Klima tun?
Zwei Menschen aus der Region, zwei Meinungen: Hermann Zink sieht beim Klimaschutz jeden Einzelnen in der Pflicht. Cornelia Thormählen wünscht sich mehr Tempo seitens der Politik. Wir haben beide zum Gespräch eingeladen.
Um die Klimaziele in Baden-Württemberg zu erreichen, muss weniger Auto gefahren werden. Betrifft Sie das, Herr Zink?
Hermann Zink: Ich bin Autofahrer. Mir bleibt auch nichts anderes übrig: Zu meiner Arbeit sind es 75 Kilometer einfache Strecke. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln würde das Stunden dauern. Ich konnte zum Glück schon vor der Pandemie im Homeoffice arbeiten. Aber ich bin mir bewusst, dass das reichlich CO2 produziert.
So geht es vielen. Diskutieren wir darüber ehrlich genug?
Cornelia Thormählen: Wenn man stundenlang braucht, ist der ÖPNV keine Option. Ich finde aber, man sollte nicht schwarz-weiß denken. Die Hälfte der mit dem Auto zurückgelegten Wege liegen im Umkreis von fünf Kilometern. Das geht mit dem Fahrrad. Je mehr Radwege es gibt, desto mehr Menschen steigen aufs Fahrrad um.
Was müsste passieren, damit Sie Bus und Bahn nehmen, Herr Zink?
Zink: Da müsste der Dieselpreis enorm steigen. Noch kann ich mir den Sprit leisten, weil ich finanziell in einer halbwegs kommoden Situation bin.
Wäre ein E-Auto eine Alternative?
Zink: Ich habe darüber nachgedacht, momentan passt es aber nicht. Wenn ich Mitstreiter für einen Fahrzeugpool hätte, ginge das. Aber ich fahre zu weite Strecken. Meine Frau stammt aus Innsbruck, dort sind wir oft. Das sind 360 Kilometer, für die meisten E-Autos ist das grenzwertig.
Wie kommen Sie in den Urlaub, Frau Thormählen?
Thormählen: Wir haben ein Familienauto, das von fünf Leuten genutzt wird. Ansonsten fahren wir Zug und Fahrrad. Im nächsten Urlaub würde ich gerne nach Wien fahren und zurückradeln.
Welche Anreize braucht es für mehr Klimaschutz?
Thormählen: Es muss politisch mehr gemacht werden. Das Umweltbundesamt sagt, der CO2-Preis muss 150 Euro pro Tonne betragen, damit er eine Lenkwirkung hat. Mit dem Geld kann man den ÖPNV ausbauen und Gebäude sanieren. Über ein Energiegeld in gleicher Höhe muss man es allen zurückgeben, je nach CO2-Verbrauch. Die unteren Einkommen können dann mit dem Energiegeld die höheren Preise bezahlen, wer viel CO2 verbraucht, kann es sich leisten. Das ist sozial gerecht, denn momentan finanzieren die unteren Einkommen SUVs und Dienstwagenprivileg mit.
Wissen Sie, wie viel CO2 Sie im Jahr erzeugen?
Thormählen: Wir verbrauchen ungefähr vier bis fünf Tonnen CO2 - statt 8,5 Tonnen, die in Deutschland im Schnitt gerade verbraucht werden.
Wissen Sie das auch, Herr Zink?
Zink: Nein. Aber mein Hauptballast ist der Pkw. Wir müssen zu dritt rund 1200 Kilowattstunden Strom im Jahr zukaufen, der Rest kommt vom Dach. Ich habe das Glück, dass ich meine Solaranlage ans Netz gebracht habe, als man für jede selbst verbrauchte Kilowattstunde eine Gutschrift bekam. Das macht es für mich wirtschaftlicher. Aber wirklich gerechnet hat es sich noch nicht. Mein Stromspeicher hat 15 000 Euro gekostet.
Dennoch erzeugen Sie 75 Prozent ihres Stroms selbst. Wieso soll das für Deutschland nicht funktionieren?
Zink: Ohne Speicher hätte ich einen Versorgungsgrad von 25 Prozent. Sie haben bei Photovoltaik-Anlagen eine Verfügbarkeit von zwölf Prozent. Bei Windanlagen sind es 20, bei einer guten Offshore-Anlage 50 Prozent. Es gibt einfach Zeiten, in denen keine Sonne scheint und kein Wind weht. Sie werden große Mühen haben, diese Lücke zu schließen. Diese Energien sind zu volatil.
Thormählen: Es kommt auf Speichertechnologien an. Greenpeace macht Wasserstoff aus überschüssigem Windstrom, also grünen Wasserstoff. Aber Sie haben Recht: Im Winter erzeugen Solaranlagen wenig Strom, deshalb muss man ihn speichern. Dafür können wir das Erdgasnetz nutzen.
Speicher wird es erst in einigen Jahren in der Breite geben. Was hilft jetzt?
Thormählen: Wir müssen schnell zubauen. Die Politik darf das nicht auf die lange Bank schieben. Wir brauchen sowohl Windkraft als auch Solarzellen auf den Dächern.
Zink: Genau, auf den Dächern. Ich beobachte aber mit Sorge, dass man Solaranlagen in die freie Landschaft stellt, auch bei uns im Zabergäu.
Thormählen: Man weiß inzwischen, dass das Schutzräume für Insekten sind.
Zink: Das klingt nach einem Alibi-Argument.
Thormählen: Es gibt Anlagen, unter denen ein Traktor durchfahren kann und die im Sommer das Gemüse beschatten. Das hilft der Landwirtschaft, denn die Hitze wird kommen. Es wird jedes Jahrzehnt wärmer werden. Der IPCC-Bericht sagt, wir werden das 1,5-Grad-Ziel 2030 erreichen. Das ist in acht Jahren.
Zink: Ich spüre das selbst auch. Ich habe mir daheim eine Klimaanlage eingebaut, da werden Sie sich wahrscheinlich die Haare raufen.
Thormählen: Nein! 2018 hatten wir 33 Hitzetage und 2000 Hitzetote in Baden-Württemberg. Wir müssen uns davor schützen.
Finden Sie den Klimawandel lebensbedrohlich?
Zink: Bedroht fühle ich mich nicht. Er ist eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
Thormählen: Ich selbst bin noch nicht betroffen. Aber viele Menschen sterben am Klimawandel. Schauen Sie ins Ahrtal. Dort sind 134 Menschen durch Starkregen gestorben, auch der hat mit dem Klimawandel zu tun. Schauen Sie sich Waldbrände in Kalifornien und Australien an. Auch wenn andere sterben, tut mir das weh.
Zink: Es ist nicht so, dass ich sage, die sollen sterben! Ich persönlich fühle mich aber nur sehr bedingt betroffen und ich habe die Möglichkeit, mich darauf einzustellen.
Thormählen: Aber Sie haben doch auch Kinder. Wenn wir so weitermachen wie jetzt, wird es 2030 1,5 Grad wärmer sein und 2050 bis zu zwei Grad wärmer. In einer Welt, in der die Durchschnittstemperaturen um 2 Grad gestiegen sind, wollen ihre Kinder nicht leben. Die Natur kann sich nicht mit Klimaanlagen schützen, die Ernten werden verdorren, das Artensterben wird immer weiter voranschreiten.
Zink: Das kommt darauf an, wo man lebt.
Thormählen: Starkregen kann Sie überall treffen. Warme Luft kann viel mehr Wasser aufnehmen. Das Wasser steigt über den Meeren auf, der Wind trägt es irgendwo hin und dort, wo es stehen bleibt, regnet es dann eine Woche lang. Das haben wir gerade in Sydney gesehen. Wir haben dauernd Jahrhundert-Wetterereignisse!
Darauf weist die "Fridays for Future"-Bewegung nun seit mehreren Jahren hin. Würden Sie auch zu einer Freitagsdemo gehen?
Thormählen: Ich bin Mitglied von Parents for Future und German Zero. Ich gehe jeden ersten Freitag im Monat mit zur Demo.
Zink: Ich würde nicht hingehen. Höchstens, um mal Gespräche zu führen. Ich finde es in Ordnung, dass die jungen Leute sich Gedanken machen. Manchmal habe ich aber den Eindruck, sie haben sich in Teilen etwas aufwiegeln lassen.
Von wem?
Zink: Es gibt einfach Menschen mit Interessen, die jetzt die Möglichkeit sehen, bei den jungen Leuten auf offene Ohren zu stoßen. Das trifft sicherlich nicht auf die Mehrheit zu, ich sehe dort aber Leute, die in eine sehr radikale Richtung gehen.
Thormählen: Ich finde das Anliegen der jungen Leute sehr berechtigt. Es gibt natürlich Gruppen wie Extinction Rebellion, die sich auf die Straße kleben. Ich denke, die tun das aus Verzweiflung. Weil die Regierung viel zu langsam handelt. Sie wollen nicht in einer Welt leben, in der es zwei Grad wärmer ist. Deshalb ist es legitim, dass sie für ihre Interessen kämpfen.
Zink: An der Legitimität habe ich keine Zweifel. Andere Leute sollten dadurch aber nicht zu sehr eingeschränkt werden. So wie derzeit von manchen protestiert wird, da hört mein Verständnis langsam auf. Straßen, Flughäfen und Kraftwerke blockieren, das geht mir zu weit. Ich gestehe jedem zu, seinen Protest auszudrücken. Irgendwo gibt es aber Grenzen.
Thormählen: Das einfachste wäre es, wenn die Politik einfach mal reagiert.
Zink: Die Politik hat doch auch Zwänge! So einfach ist das nicht, wir können nicht einfach allein irgendetwas machen. Man muss den Klimaschutz auch im globalen Kontext sehen. Wenn wir nur in Deutschland den Vorreiter spielen, werden viele sagen: Schön, dass ihr das macht. Aber für uns ist das nichts.
Wie sollte Deutschland den Klimaschutz angehen?
Zink: Für mich wäre es wichtig, dass jeder bei sich anfängt. Meinen Kindern muss ich immer sagen: Der Lichtschalter ist auch zum Ausschalten da. Diese vielen Geräte im Haus sind keine großen Stromfresser, aber es läppert sich. Viele haben das ganze Jahr lang die Klimaanlage im Auto an. Da kann jeder dran arbeiten.
Thormählen: Ich finde es wichtiger, dass die Politik Leitlinien vorgibt, als dass man mit erhobenem Zeigefinger auf den SUV-Fahrer zeigt. Die Windkraft ist die wirtschaftlichste Energiequelle. Wir brauchen keine Angst haben, dass wir die Energiewende nicht bezahlen können. Und wir finanzieren Russlands Krieg damit nicht.
Zink: Die Windkraft ist nur billig, wenn Sie den Strom auch nutzen. Wenn wir die Zahl der Windräder verdreifachen, wird es Situationen geben, in denen wir deutlich über Bedarf produzieren. Wir haben heute schon an sonnigen und windreichen Tagen das Problem, dass wir eine Abdeckung durch erneuerbare Energien von 100 Prozent haben.
Thormählen: Es muss natürlich Zug um Zug gehen: Wir brauchen die Kraftwerke und die Speicher. Da braucht man auch Fachkräfte für. Das ist ein Riesenmarkt für uns, wenn Deutschland mit neuen Technologien vorprescht.
Zink: Wir haben allerdings Glück, dass unsere Nachbarn nicht so in Photovoltaik und Windkraft investieren wie wir. Dadurch sind sie in der Lage, uns einen Teil des Überschusses abzunehmen. Wenn der Strompreis negativ ist, weil durch den Überschuss die Nachfrage gering ist, zahlen wir dabei aber noch Geld drauf.
Auf was könnten Sie niemals für den Klimaschutz verzichten?
Zink: Wir müssen uns alle fragen, ob wir ein Stück weit verzichten wollen oder müssen. Wie oft und wie weit fahre ich in Urlaub? Das kann sich jeder fragen.
Thormählen: Diese Verzichtsdiskussion nervt mich. Ich bin 63 Jahre alt und mein Leben lang mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Ich nehme keine Medikamente, habe keinen Alterszucker. Das ist kein Verzicht.
Cornelia Thormählen ist 63 Jahre alt und kommt aus Hamburg. Sie ist Diplom-Ingenieurin für Energie- und Wärmetechnik und Mitglied der Parents for Future und German Zero, einer Bewegung, die sich für Klimaneutralität bis 2035 einsetzt. Sie sagt: "Ich habe mein Leben damit verbracht, wenig CO2 zu erzeugen, weil ich um die Folgen weiß."
Hermann Zink ist 58 Jahre alt und kommt aus Cleebronn. Er ist Maschinenbauingenieur und Abteilungsleiter eines Hohenloher Unternehmens. Er ist Mitglied der Energeno Heilbronn-Franken. Er sagt: "Wenn wir Deutschen Vorreiter spielen, werden viele sagen: Schön, dass ihr das macht. Aber für uns ist das nichts."

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