Das erste Wochenende mit Sperrstunde in Heilbronner Kneipen
Auch wenn es nicht so voll ist wie sonst: Viele Gäste bleiben ihren Stammkneipen treu. Auch wenn sie bereits um 23 Uhr wieder gehen müssen.

Freitagabend in der Superbude, es ist genau 22.20 Uhr: "Denkt daran, jetzt ist die letzte Runde!", ruft Franziska Schulz den Gästen zu und nimmt noch einzelne Bestellungen auf. In 40 Minuten beginnt die Sperrstunde, dann müssen alle Nachtschwärmer die Heilbronner Kneipe verlassen. Rund die Hälfte der Tische sind belegt an diesem Abend. "Letzten Freitag war ich hier ganz alleine", sagt die 22-Jährige. In normalen Zeiten sei um diese Uhrzeit gar kein Durchkommen, jetzt könne man sich immerhin mit den Gästen unterhalten. Allerdings muss Schulz dabei den ganzen Abend eine Maske tragen, das sei manchmal schon anstrengend, sagt sie. "Aber die Einschränkungen kann ich verstehen."
Statt 1 Uhr ist bereits um 23 Uhr Schluss
Verständnis hat auch Irena Prokop, die im vergangenen Jahr die Craftbeer-Bar Craftelicious eröffnet hat. Das Timing für sie persönlich sei jedoch sehr schlecht. "Wir hatten gehofft, im Sommer bekannter zu werden, dann kam Corona dazwischen", erzählt sie. Immerhin drei Tische sind an diesem Abend belegt, alle Gäste gehören zur gleichen Firma und sind gekommen, um den Geburtstag eines Kollegen zu feiern. "Wir finden es für die Gastronomen, die sich an alle Regeln halten, mega schade", sagt Lukas und nippt an seinem Bier. Der Plan sei gewesen, bis zur regulären Schließung um 1 Uhr zu bleiben. "Jetzt müssen wir eben schon zwei Stunden früher gehen", erzählt er.

Seit Mittwoch sind die Heilbronner Gastronomen per Allgemeinverfügung angewiesen, um 23 Uhr zu schließen. Bereits eine Stunde vorher dürfen sei keine Alkohol mehr "To Go" verkaufen. Trinken dürfte man den sowieso nicht, denn auch das ist in der Öffentlichkeit ab 22 Uhr verboten. Wie genau die Regeln sind, darüber haben sich Toni und Stefan im Vorfeld auf der Website der Stadt erkundigt. Die beiden sitzen im Hartmans, vorher waren sie in einer anderen Kneipe. "Da war es echt ein Trauerspiel. Aber hier ist für einen Freitagabend auch sehr wenig los", sagen sie. Seit einer halben Stunde sind sie da. Laut der neuen Regeln müssen sie in 60 Minuten wieder gehen. "Wir werden die Zeit definitiv noch ausnutzen bis zum Ende", sagt Stefan. "Wir gehen auf jeden Fall auch freiwillig", fügt Toni augenzwinkernd hinzu.
Vor dem Hartmans stehen Gökhan, Sedat und Fatih. "Wir trinken keinen Alkohol, uns beeinträchtigt die Sperrstunde also nicht so stark", sagt Gökhan. Auch wenn sie Verständnis für die strengen Regeln haben, die Uhrzeit, ab der kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden darf und die Gastronomie schließen muss, wirkt auf sie willkürlich. "Corona ist ja danach trotzdem noch da, die Leute gehen dann eben woanders hin", sagen sie.
Unterstützung auch dank des guten Hygienekonzepts

Ihrer Kneipe treu geblieben sind Ines, Chris und Daniel. "Die Superbude ist meine Stammkneipe, die möchte ich unterstützen in dieser Zeit", sagt die junge Frau. Die Gruppe sitzt zu dritt direkt gegenüber der Theke und bestellt in der letzten Runde noch drei Shots. Der Besitzer habe sehr auf die richtigen Abstände geachtet, am Eingang steht Desinfektionsmittel, sagen sie. "Das ist nicht überall so", erzählt Ines. Hier wisse sie, dass ihr wegen des Hygienekonzepts wenig passieren kann. Länger als bis 23 Uhr würden die Freunde natürlich schon gerne bleiben. "Aber besser bis elf als gar nicht", sagt Daniel.
Die Hoffnung, dass Regeln wie die Sperrstunde einen Lockdown herauszögern oder ganz vermeiden kann, haben sie nicht aufgegeben, "Es ist einfach wichtig, dass Corona eingedämmt wird."
Kurz vor 23 Uhr leert sich die Superbude nach und nach. "Die letzte Runde durchzuziehen, was vorher, als wir bis 1 Uhr offen hatten, viel schwerer", sagt Franziska Schulz lachend. Die neue Normalität hat also nicht nur Nachteile.
Kommentar von Elfi Hofmann
Nichts zu feiern
Der Zauber der Nacht – er ist erstmal vorbei. Von einer Kneipe in die nächste ziehen, mit einem Bier in der Hand mit anderen bis in die Morgenstunden über Gott und die Welt diskutieren, das geht seit einigen Tagen nicht mehr. Um 23 Uhr muss man nach Hause. Und dabei fing um diese Uhrzeit am Wochenende für viele der Abend ja erst so richtig an. Denn das Leben endet nicht nach dem Heute-Journal. Und Corona hört nicht um 23 Uhr auf, sich zu verbreiten, das muss man realistisch sehen.
Denn auch wenn jetzt alle schon vor Mitternacht die Zelte abbrechen müssen: Die Treffen verlagern sich so wahrscheinlich in die eigenen oder fremden vier Wände. Dort hat niemand ein Auge darauf, ob die maximale Zahl an Besuchern eingehalten oder ob ausreichend Abstand gewahrt wird. Eine Sperrstunde wird nicht ausreichen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Sie ist ein Alarmzeichen, dass sich alle weiterhin zusammenreißen müssen, auch wenn es immer schwerer fällt. Denn liebgewonnene Gewohnheiten, sei es das Feierabendbier oder das ungezwungene Treffen mit Freunden inklusive anschließendem Kater, möchte niemand gerne einfach aufgeben.
Doch die großen Verlierer der Regelung sind nicht unbedingt die Nachtschwärmer, sondern vor allem die Gastronomen. Viele haben Hygienekonzepte erstellt, achten auf deren Einhaltung und tragen selbst stundenlang einen Mund-Nasen-Schutz. Nach der wochenlangen Schließung im Frühjahr bedeutet die Sperrstunde auch für sie einen Rückschritt. Keiner weiß, wie viele von ihnen die Maßnahmen finanziell überleben werden. Bei ihnen geht es um die nackte Existenz.
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