SLK hilft nach Vergewaltigungen
Das medizinisches Personal am Gesundbrunnen in Heilbronn ist in der Lage, Spuren zu sichern, auch wenn Opfer keine Polizei einschalten möchten. Wie die Hilfe seit zweieinhalb Jahren abläuft.

Wer vergewaltigt wurde, erfährt im Heilbronner Krankenhaus am Gesundbrunnen medizinische Fürsorge. "Derjenige soll - soweit dies in solchen Fällen überhaupt möglich ist -, versorgt, behütet und geborgen nach Hause gehen", sagt Dr. Julia Seipel, Oberärztin in der SLK-Frauenklinik. Seit November 2019 werden Betroffene dort medizinisch behandelt. Wenn sie es wünschen, werden ihre Verletzungen sorgfältig dokumentiert, fotografiert und etwa Abstriche so in Beweistüten verpackt, dass sie ein Jahr in der Rechtsmedizin in Heidelberg aufbewahrt werden können.
Spuren der Gewalt: Hämätome, Verletzungen im Genitalbereich
29 Frauen und ein Mann haben die medizinische Soforthilfe bisher in Anspruch genommen, sagt Seipel. Die meisten von ihnen hätten sich vorab über das Angebot des Krankenhauses informiert. Meistens kämen die Betroffenen direkt nach der Tat. Es sei nicht ungewöhnlich, dass sie zuvor noch geduscht haben. Spuren der Gewalt findet Seipel dennoch. Abwehrspuren zum Beispiel. Einblutungen in den Augen, wenn die Frau gewürgt wurde. Spuren hinter den Ohren, wenn der Kopf gewaltsam festgehalten wurde. Hämatome, Aufschürfungen, Verletzungen im Genitalbereich.
Kühlketten einhalten
Für die Beweissicherung sind Abstriche in einer bestimmten Reihenfolge vorzunehmen. Kühlketten, etwa beim Nachweis von K.-o.-Tropfen, sind einzuhalten. Sonst geht der Beweis verloren. Viele Schritte sind zu beachten. "Forensik ist ja nicht unser tägliches Geschäft", sagt Seipel. Entschließt sich ein Opfer zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Anzeige und kommt es gar zu einem Prozess, halten diese Beweise vor Gericht stand.
Oberärztin: Opfer sind gebrochen
Das Projekt ist der 43-jährigen Oberärztin eine Herzensangelegenheit. "Fürsorge ist ein wichtiger Wert, nicht nur die Apparatemedizin." Die Betroffenen brauchten mehr Zeit, mehr Ruhe. Da ist die Frau, die vom eigenen Ehemann brutal vergewaltigt und heftig verletzt wird; die Jugendliche auf einer Party, wo die Gewalt eskaliert. Eine Frau, die über die Dating-App Tinder Kontakt zu einem möglichen Partner knüpft und sich beim ersten Treffen plötzlich mehreren Männern ausgeliefert sieht. "Was nach außen hin sichtbar wird, ist unterschiedlich", sagt Seipel. "Aber sie sind alle gebrochen. Sie sind in ihrer Selbstwirksamkeit verletzt."
Viele Mitarbeiter sind sensibilisiert
Die Fürsorge, auf die Seipel Wert legt, entsteht durch die Mitarbeit aller im Krankenhaus. Schon an der Pforte sind die Kolleginnen und Kollegen geschult. Meldet sich dort ein Vergewaltigungsopfer, werde ihm zunächst vermittelt: "Sie sind hier sicher." Betroffene müssen nicht in der Notaufnahme warten, wo es mitunter turbulent zugeht. Sie werden abgeholt und in einen ruhigen Raum gebracht. Eine interne Telefonnummer ist geschaltet, über die in solchen Fällen das geschulte Personal informiert wird. "Großes Lob an die Notaufnahme", freut sich Seipel. Dort werde auf die besondere Situation von vergewaltigten Menschen geachtet.
Als Projektverantwortliche absolviert Julia Seipel jedes Jahr eine Weiterbildung. Sie organisiert in den SLK-Kliniken die Schulungen von Pflegekräften. Hunderte Kollegen und Kolleginnen seien inzwischen geschult. Dabei geht es auch um Themen wie Gesprächsführung.
Seelischer Beistand und juristische Beratung
Die medizinische Versorgung ist wichtig, betont Seipel. Betroffene Frauen erhalten beispielsweise die Pille danach. Es gilt, Infektionen wie HIV oder Hepatitis zu vermeiden. Auch Minderjährige ab 14 Jahren können sich vertrauensvoll ans SLK wenden. Das medizinische Personal sorgt außerdem dafür, dass die Betroffenen hinterher nicht alleine da stehen. Es vermittelt an die Beratungsstelle Pro Familia und an eine Rechtsanwältin für eine juristische Beratung. Angebote, die Betroffene nutzen können, wenn sie möchten.
Kosten für die Soforthilfe übernimmt Klinik
Seipels Einsatz für die Soforthilfe wurzelt in ihrer Überzeugung, dass Menschen, die Gewalt ausgesetzt sind, medizinisch versorgt gehören. "Das halte ich für absolut notwendig." Es sei an der Zeit, dass die Politik in Baden-Württemberg dem Rechnung trage. Bisher ist es so, dass Betroffene Behandlungskosten nach sexueller Gewalt normalerweise selbst tragen, wenn es keinen Täter gibt, der dafür belangt wird. Im Krankenhaus am Gesundbrunnen ist das anders. Dort übernimmt die Klinik diese Ausgaben. Vergewaltigungsopfer sollen die medizinische Hilfe und seelische Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Die Soforthilfe ist kostenlos und wird ihnen nicht in Rechnung gestellt.
Wo Betroffene Hilfe finden
Wer Opfer einer Sexualstraftat geworden ist und keine Anzeige erstatten möchte, wendet sich zeitnah ans SLK-Klinikum am Gesundbrunnen, Telefon 07131 4922111. Es gilt die ärztliche Schweigepflicht. Infos zur Akutversorgung gibt es unter www.soforthilfe-nach-vergewaltigung.de. Wer Anzeige erstatten möchte, wendet sich an die Kripo in Heilbronn, 07131 1044444.
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