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Schieflage im Weinbau: Winzer hören auf, Flächen liegen brach

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Immer mehr Württemberger Wengerter hören auf. Die Pachtpreise gehen teilweise gegen Null. 2000 Hektar Rebflächen droht bis in zwei, drei Jahren die Stilllegung.

Die Reblandschaft ist im Umbruch, hier am Sattel bei Heilbronn und in Erlenbach.
Die Reblandschaft ist im Umbruch, hier am Sattel bei Heilbronn und in Erlenbach.  Foto: Seidel, Ralf

Die Zahl der Württemberger Wengerter hat sich innnerhalb von 20 Jahren halbiert. Bisher übernahmen Kollegen frei werdende Rebflächen. Doch nun drohen erstmals Brachen im großen Stil: weil sich der Weinbau durch akute Kostensteigerungen und Dumping-Preise für viele Winzer kaum mehr rentiert - oder gar nicht mehr.

Der Strukturwandel nimmt an Fahrt auf. Ein Gradmesser dafür ist die Pacht: "Das Thema beschäftigt derzeit viele", weiß Thomas Zeeh von der in Neckarwestheim ansässigen Firma Winzer-Service. Über seine Homepage betreibt er eine Rebflächenbörse, neben manchen Fachmedien nicht die einzige. Sie zeigt also nur die Spitze des Eisbergs.


Immer mehr Weinbergen droht die Brache: Eigentümer bleiben auf freien Flächen sitzen

Die Zahl der Angebote für Verkäufe (62) und Verpachtungen (34) hat zuletzt stark zugenommen und liegt bei Zeeh inzwischen weit über der der Kaufgesuche (10) und Pachtgesuche (19). "Der Markt hat sich hier innerhalb kurzer Zeit ins Gegenteil verwandelt", berichtet der Brancheninsider.

"Noch vor wenigen Jahren lief vieles Mund zu Mund und viele Wengerter haben händeringend Flächen gesucht", weil sie in einer Betriebsausweitung ihr Heil wähnten. Über Kleinbetriebe, die meist im Zuge des Generationenenwechsels aufhörten, seien sie auch fündig geworden. "Heute bleiben viele Eigentümer auf ihren frei gewordenen Flächen sitzen." So seien die Preise für die Pacht oder den Ankauf eingebrochen.

Pachtpreise fallen in den Keller

Dies bestätigt ein Heilbronner Wengerter-Urgestein. Vor 20 Jahren seien in guten Lagen Pachtpreise von 20 Euro pro Ar im Jahr bezahlt worden, heute kaum noch fünf Euro. Wobei der Wert stark vom Alter der Stöcke, von der Traubensorte, vom Renommée und zunehmend von der Art der Rebanlage abhängt. Immer wichtiger werde es, dass der Wengert mit Maschinen rationell und wirtschaftlich zu bearbeiten ist.

So liegt der Arbeitsaufwand in terrassierten Steillagen mit Handarbeit bei bis zu 1500 Stunden im Jahr, in Flachlagen bei 150 bis 400. Eine Rebanlage mit allem drum und dran neu anzulegen, kostet inzwischen gut 50 000 Euro pro Hektar. Gleichzeitig hat sich das Traubengeld bei den meisten Genossenschaften von einst 12 500 Euro pro Hektar teils nahezu halbiert.

Mancher Wengert ist schon umsonst zu pachten

"Derzeit gehen viele Winzer auf die Grundstückseigentümer zu, um einen Pachtnachlass zu erwirken", berichtet Justin Kircher als Vorsitzender der Genossenschaftskellerei Heilbronn. Es gebe in manchen Orten inzwischen sogar Parzellen, die umsonst angeboten werden. "Aus Baden habe ich gehört, dass ein Besitzer dem Pächter sogar etwas zahlen würde, damit sein Weinberg nicht verwildert", hat Thomas Zeeh gehört.

Agrarfachanwalt Martin Peterle berichtet, er bekomme jeden Tag Anrufe von Landwirten, insbesondere von Wengertern, die fragen, wie sie ihren Pachtvertrag auflösen könnten. Aber auch "grundsätzlichere existenzielle Fragen, wie der Verkauf und die Aufgabe von Betrieben, beschäftigen uns derzeit sehr".


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Harte Zahlen aus der Weinbaukartei

"Uns fällt auf, dass ein deutlicher Strukturwandel stattfindet und gerade viele Pachtflächen frei werden", erklärt auch Magdalena Dreisiebner von der an der Weinbauschule Weinsberg angesiedelten Weinbaukartei. Allerdings könne sie noch nicht abschätzen in welchem Umfang, weil die Pacht nicht zentral erfasst sei. Fest stehe: Die Zahl der Württemberger Weinbaubetriebe sei stark rückläufig. 2023 sei sie um 290 zurückgegangen und habe mit 6876 einen Tiefpunkt erreicht, vor 20 Jahren war sie doppelt so hoch.

Die bestockte Rebfläche ist derzeit mit 11.151 Hektar noch relativ konstant, wobei sie vor drei Jahren noch bei 11.300 Hektar lag. In Sachen endgültiger Stilllegung steht der Einbruch also erst noch bevor. Auch die Politik hat das Problem erkannt. Bis 2023 sind die Pflanzrechte für einen gerodeten Wengert nach drei Jahren erloschen, seit 2024 erst nach sechs Jahren, teilte vor wenigen Tagen Landesagrarminister Peter Hauk mit.

Präsident spricht von "geordnetem Rückzug"

Weinbaupräsident Hermann Hohl prognostizierte 2023 "innerhalb von zehn Jahren" einen Verlust von 2000 Hektar. Dies korrigierte er inzwischen auf "innerhalb von zwei, drei Jahren". "Es geht jetzt rasend schnell." In der Folge werde sich die Kulturlandschaft stark verändern. "Damit verwilderte Brachen in Kerngebieten keine Krankheitsherde werden, müssen wir sie in Randbereiche bringen und dort begrünen." Hohl spricht bereits von einem "geordneten Rückzug".

Wie im Kocher-, Jagst-, Taubertal an teilweise verbuschten Hängen und zerfallenen Natursteinmauern zu sehen ist, fielen in der Vergangenheit vor allem Steil-, Terrassen- oder klimatisch schlechtere Lagen durchs Raster. "Doch inzwischen sind alle Rebanlagen betroffen, die maschinell schwer zu bewirtschaften sind, auch im Kerngebiet rund um Heilbronn, im Zabergäu, im Weinsberger Tal", erklärt Verbands-Vizepräsident Peter Albrecht.

Vize-Präsident sieht auch positive Aspekte

Albrecht will nicht schwarzmalen. Er kann dieser Entwicklung auch Positives abgewinnen. "In Heilbronn gab es früher zu wenig Flächen, wir mussten alle ins Umfeld fahren." Nun könnten sich junge, ambitionierte Winzer - und davon gebe es viele - Rebanlagen in Betriebsnähe sichern und sich so zukunftsfähig aufstellen. "Das ist rationeller, spart Zeit, Sprit und schont auch die Umwelt." Grundsätzlich habe es im Weinbau über Jahrhunderte hinweg schon immer ein Auf und Ab gegeben. "Nun stecken wir mitten drin. Und das ist natürlich für viele schmerzhaft."

"Aber jede Krise birgt Chancen und geht vorbei", sagt Albrecht. Mit dem im Übrigen europaweiten Flächenschwund dürften sich auf dem Weinmarkt Angebot und Nachfrage einpendeln - und damit die Preise auf ein Niveau steigen, von dem die Wengerter leben können.

 
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