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Ist es bald vorbei mit der Bier- und Brauereienvielfalt in Deutschland?

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In Deutschland rühmt man sich gerne ob der ausgeprägten Bierkultur, die Platz für hunderte handwerkliche Brauereien gelassen hat - und das nicht nur am heutigen Tag des Bieres. Doch die Corona-Pandemie könnte manches verändern. Eine Analyse aus dem Jahr 2021.

Heilbronn-Franken hat bald eine Brauerei weniger. Engel Bräu aus Crailsheim kommt dem Kreis der rund einem Dutzend Kleinst- bis mittelständischen Brauereien abhanden. „Wenn man seit 280 Jahren in einer Stadt ansässig ist, dann ist dieser Schritt emotional schwierig“, sagt Inhaber Alexander Fach. Doch der Betrieb wird keineswegs aufgelöst. Engel Bräu will umziehen: Von Hohenlohe-Franken über die Landesgrenze nach Feuchtwangen in Mittelfranken.

Es ist ein ungewöhnlicher Schritt für eine Brauerei, aber keiner, der mit der Pandemie zusammenhängt. Eher mit der in Crailsheim gescheiterten Suche nach einem Grundstück, das sich für eine Erlebnisbrauerei mit eigenem Rohstoffanbau und damit einhergehender Kapazitätserweiterung eignet. Ein Umzug als Chance zum Wachsen also. Andernorts ist die Lage bedrohlicher. 

Gegenläufige Entwicklungen bei wichtigen Kennzahlen

Eigentlich steigt die Zahl der Brauereien in Deutschland seit Mitte der 2000er-Jahre - und das trotz des hierzulande seit Jahrzehnten sinkenden Pro-Kopf-Konsums. Von 1281 aktiven Braustätten im Jahr 2005 ging es hoch auf 1552 im Jahr 2019. Grund für die Entwicklung sind vorrangig die Haus- und Craftbier-Brauereien, die gerade in großstädtischen Milieus entstanden sind. Doch laut einer Branchenumfrage des Deutschen Brauer-Bundes sieht nun jede vierte Brauerei ihre Existenz gefährdet. 

"Je nachdem wie lange die Pandemie und die Einschränkungen anhalten, wird es sich auch auf die Bierkultur auswirken", sagt Marc-Oliver Huhnholz, Pressesprecher beim Deutschen Brauer-Bund. Wobei er sich optimistisch zeigt, dass es sich bei der Gesamtzahl nur "um eine kurzzeitige Unterbrechung vom Trend der vergangenen Jahre handelt". Von 2019 auf 2020 gab es nämlich schon einen leichten Rückgang auf 1528 aktive Braustätten. Bei dieser Delle könnte es sich allerdings auch um kurzzeitige Unterbrechungen des Braubetriebs handeln.

Ankündigung der Betriebsaufgabe

Brauereien, die wegen der Pandemie den Betrieb komplett einstellten, sind Huhnholz keine Handvoll bekannt. Eine ist die unterfränkische Wernecker Brauerei nahe Schweinfurt, deren Inhaberfamilie Lang sich mit emotionalen Worten ("Die Branche ist unheimlich hart", "Wir sind so unfassbar müde von den vielen Kämpfen der letzten Jahre") aus dem Geschäft verabschiedet hat. Spätestens ab dem zweiten Halbjahr 2021 könnte es weitere Ankündigungen geben, fürchtet Huhnholz.


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Betrifft die Sorge alle Regionen? Oberfranken ist hierzulande das Mekka für Biertrinker. "Land der Brauereien" ist wegen der angeblich größten Dichte an Brauereien der Werbespruch. 167 Braustätten gibt es in der Gegend zwischen Bamberg, Bayreuth, Coburg und Hof auf etwas mehr als 7000 Quadratkilometern - im rund fünfmal so großen Nordrhein-Westfalen sind es etwa gleich viel. Überhaupt gibt es nur zwei Bundesländer, die mehr Brauereien haben: Baden-Württemberg und, klar, Bayern.

Nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ sticht die Region mit Spezialitäten wie Rauchbier heraus. "Bei 120 von unseren Brauereien handelt es sich um Brauereigasthöfe", berichtet Bernd Sauer vom Verein Bierland Oberfranken. "Bei denen ist ein großer Umsatzbrocken komplett weggebrochen." Die Gastronomie ist in der Corona-Pandemie bekanntlich weitgehend geschlossen, Feste und Veranstaltungen finden nicht statt.

Veränderungen in der Branche

"Ich kenne einige Brauereien, die schon ihre Altersversorgung versilbert haben, die gewaltig an der Situation zu knabbern haben", sagt Sauer. Betriebsaufgaben aus Oberfranken sind Sauer keine bekannt, "noch nicht", wie er betont. Doch Sauer sieht Veränderungen auf die Branche zukommen. "Die Vielfalt, gerade die an handwerklich gebrauten Bieren, ist jetzt schon in Gefahr. Auf den Biermarkt kommt Bewegung. Größere Brauereien versuchen ein Stück vom Kuchen zu ergattern."

Bemerkbar mache sich dies "in einem aggressiven Preiswettkampf" im Handel. Kleinere Brauer, sagt Sauer, müssten die Preise für ihre Erzeugnisse eigentlich erhöhen - auf die Gefahr hin, im Getränkemarkt als zu teuer zu erscheinen. 


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"Noch nicht", das sagt auch Denni Föll über bekanntgewordene Schließungen von Brauereien in Baden-Württemberg. Doch der Pressesprecher des hiesigen Brauer-Bunds betont: "Es gibt Brauereien, die kurz vor dem Aus stehen." Das hänge weniger von der Größe des Betriebs ab, wohl aber vom Verhältnis zwischen Fass- und Flaschenbier: "Je größer der Fassbieranteil, desto größer die Abhängigkeit von der Gastronomie, desto größer die Gefahr, in Schieflage zu geraten." 

Im Lockdown in eine Brauerei investieren

Doch es gibt auch Beispiele wie dieses: In Bamberg fährt gerade die Ahörnla Brauerei ihren Betrieb hoch - mit ausgeklügeltem Konzept. Es geht nicht um Kunden, es geht um Mitglieder. Und die unterstützen mit ihren Geldbeträgen Anschaffungen wie die eines Biertanks oder Arbeiten wie den Bau eines Brunnens. Es gab sogar eine Abstimmung, welche Bierstile es zunächst geben soll. Freilich entstanden die ersten Ideen für die Wiederbelebung der Ahörnla Brauerei Jahre vor der Pandemie, die Umsetzung verhindert sie aber nicht. "Antizyklisches Handeln muss nicht verkehrt sein, weil wir den Lockdown nutzen können, um die Umbaumaßnahmen zu vollziehen", sagt Florian Müller. Und die haben es in sich.

Aufgrund der engen Platzverhältnisse in der Bamberg Altstadt entsteht Ahörnla Bräu als Turmbrauerei. Foto: privat
Aufgrund der engen Platzverhältnisse in der Bamberg Altstadt entsteht Ahörnla Bräu als Turmbrauerei. Foto: privat

Die Brauerei entsteht nicht dort, wo viel Platz wäre - sondern an historischer Stelle in der engen Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern, wo einst der historische Vorgänger ab 1406 jahrhundertelang Bier produzierte und wo Studenten und Touristen normalerweise die Szenerie bestimmen. "Ein paar Sudkessel auf die grüne Wiese stellen, das kann jeder", sagt Geschäftsführer Müller. "Hier herrscht ein ganz anderes Ambiente."

Überhaupt ist Bamberg sehr bierlastig - die fast 80.000-Einwohner-Stadt hat, je nach Zählweise, bis zu 15 Braustätten. Und nicht nur das. "Wir haben hier den Vorteil, mit Kaspar Schulz den ältesten Brauanlagenbauer Deutschlands und mit der Firma Weyermann den internationalen Marktführer für Spezialmalze in der Stadt zu haben", sagt Müller. Auch die Konkurrenz sei kein Nachteil. "Von der Großbrauerei bis zur kleinen Hinterhofbrauerei ist alles da. Gäste können sich die unterschiedlichen Philosophien der Brauereien anschauen und dann entscheiden, wo sie sich wohlfühlen." 

Negative Aspekte am Konsum

Tag des Bieres, Bier- und Brauereienvielfalt - das sind allesamt positiv besetzte Begriffe. Doch in Bier steckt auch eines: Alkohol, und jener ist bekanntlich ein Gift. Ulrike Reeg sieht die Sache deshalb ambivalent. "Ich halte viel von der Handwerkskunst, viel von der Kunst des Brauens", sagt die Sozialpädagogin, die bei der Psychosozialen Beratungsstelle der Heilbronner Diakonie arbeitet.

"Ich bin nicht gegen Brauereien, nicht gegen Weinkeltereien." Aber es gelte, den Stellenwert zu beachten, den das Ganze hat - gerade in der Pandemie. "In der Corona-Zeit erleben wir enorm viele Rückfälle bei unseren Klienten. Abstinenzler werden rückfällig, weil sie sich nicht mehr zum Sport, zur Musik oder in Selbsthilfegruppen treffen können. Alkohol, aber auch andere Suchtmittel können da schnell viele Bedürfnisse befriedigen." 

Reeg nennt eine Möglichkeit, den Zwiespalt aufzulösen: alkoholfreies Bier. "Es freut mich sehr, dass gerade bei Menschen im mittleren Alter alkoholfreies Bier mehr und mehr angenommen wird." Auch der Brauer-Bund geht davon aus, "dass der Markt für Alkoholfreie weiter wachsen wird". Jene hatten auch im Krisenjahr 2020 ihren Marktanteil erhöht, sie machen 7,3 Prozent (3,8 Prozent in 2010) der Gesamtproduktion hierzulande aus. 


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Alexander Fach hält es für wichtig, dass die Bierlandschaft abwechslungsreich bleibt. Die Craftbier-Welle, die sich seiner Erfahrung nach schon wieder abgeschwächt hat, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. "In Deutschland ist das Thema nicht so hochgekommen, weil wir schon immer eine Biervielfalt und Bierkultur haben – während Brauereien in den USA oft nur eine oder maximal zwei Sorten hatten. Ein Stout oder ein Porter, das trifft nicht den Geschmack der Deutschen. Wir trinken zur Erfrischung und um den Durst zu löschen, da passt ein Helles, ein Weizen oder ein Kellerbier besser."

Ehe die im Neubau von Engel Bräu in Feuchtwangen entstehen, dauert es übrigens noch eine Weile. "Mit der Planung sind wir fertig, aber in diesen Zeiten ist es schwierig in einer Branche zu investieren, die sehr leidet. Deshalb haben wir das Vorhaben auf nächstes Jahr geschoben." 

 

 

 

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