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Quereinsteiger an Schulen: Was das für Kollegen bedeutet und was Schulleiter davon halten

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Wie kann dem Lehrermangel begegnet werden? Warum ist es besonders an Grundschulen dramatisch? Bei der Veranstaltungsreihe "Bildung auf den Punkt" ist die Meinung von Eltern gefragt.

In den vergangenen 30 Jahren hat es immer wieder einen Mangel an akademisch und schulpraktisch voll ausgebildeten Lehrkräften gegeben. Foto: Sensay/stock.adobe.com
In den vergangenen 30 Jahren hat es immer wieder einen Mangel an akademisch und schulpraktisch voll ausgebildeten Lehrkräften gegeben. Foto: Sensay/stock.adobe.com  Foto: Sensay

Es fehlen Lehrer. Überall. In nahezu jedem Fach, in jeder Schulart. Das ist für einen Schulleiter wie Frank Eber, der vor über 30 Jahren seine erste und zweite Dienstprüfung abgelegt hat, ein vielschichtiges Thema. In den vergangenen 30 Jahren habe es immer wieder einen Mangel an akademisch und schulpraktisch voll ausgebildeten Lehrkräften gegeben. Das habe man aber bewusst in Kauf genommen, um nicht irgendwann zu viele Lehrkräfte zu beschäftigen. Dabei ging man aber von sinkenden Schülerzahlen aus.

Neue Aufgaben und gestrichene Stellen

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) forderte vor über einem Jahrzehnt sogar den Abbau von 12.000 Lehrerstellen und verhinderte die Neueinstellung neuer Lehrkräfte. Dafür wurden die Arbeitszeiten erhöht. Und was Eber gar nicht versteht: Man habe das Aufgabenspektrum der Schulen erheblich erweitert. Er zählt Inklusion, Ganztagesbetrieb und die Vorbereitung von zugewanderten Kindern auf den Regelunterrichtsbetrieb auf. In der Folge seien gut ausgebildete junge Pädagogen in die Wirtschaft oder andere Länder abgewandert.

Zu viel Bürokratie und wenig Erfahrung mit Vorbereitungsklassen

Eine Entbürokratisierung des Schulalltags wünschen sich viele Lehrer, mit denen Harald Schröder von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) redet. Kollegen berichten beispielsweise davon, dass schriftlich festgehalten werden müsse, wenn ein Schüler auffällig sei. Auch Vorbereitungsklassen machten Lehrern zu schaffen, sagt Harald Schröder. Geflüchtete Kinder und Jugendliche würden in diesen Gruppen gezielt auf den Unterrichtet vorbereitet, und sie lernen Deutsch, manchmal erst das Alphabet. Beziehungsweise: Darum soll es eigentlich gehen. Mittlerweile gebe es aber sogar Vorbereitungsklassen an Schulen, die überhaupt keine Erfahrung hätten, sagt Harald Schröder.


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Eltern können mitdiskutieren

Dass es im System krankt, verdeutlichen Studien. Erst in diesem Schuljahr schockte eine Analyse: Grundschüler könnten immer weniger leisten. Um die Situation an Grundschulen geht es bei "Bildung auf den Punkt", einer neuen Veranstaltungsreihe der Heilbronner Stimme und der Akademie für Innovative Bildung und Management Heilbronn-Franken. Eltern können mitdiskutieren bei "Mathe, Deutsch - ungenügend! Was fehlt in der Grundschule?", Donnerstag, 23. März, ab 17 Uhr auf dem Bildungscampus Heilbronn. Auf dem Podium stehen Daniel Hager-Mann vom Kultusministerium, Christian Mair, Rektor der Grund- und Gemeinschaftsschule Gemmingen, und Viviane Kalisch, Vorsitzende des Heilbronner Gesamtelternbeirats. Hier können Sie sich anmelden


Das sagen Betroffene:

Jürgen Kolb, 59 Jahre, Dammgrundschule

Jürgen Kolb bezeichnet sich selbst als "Quer-Quer-Einsteiger" in den Schuldienst. Nach einer Zeit als Koch in der Gastronomie und Stationen bei Unilever ist er jetzt an der Dammgrundschule in Heilbronn tätig, unterrichtet Sachunterricht. "Ich mache es unglaublich gern", sagt er. "Ich war schon immer bildungsaffin." Deutsch und Mathe kommt für ihn selbst nicht infrage. Dazu fehlt ihm die pädagogische Ausbildung. "Das sollen die Profis machen", sagt er. Klassenlehrer ist er nicht. Die Arbeit als Lehrer sei von Anfang an "sehr fordernd", er fühlt sich aber von seinen Kollegen gut ausgebildet und vorbereitet für die Stunden, in denen er allein in den Klassen ist. Er hospitierte im Unterricht und lernte dabei viel im Umgang mit den Klassen. Derzeit geht er ans Seminar für Lehrerausbildung, um sich für seinen Sachunterricht weiterzubilden. "Das war eine gute Kombination."


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Von den Kollegen an der Schule fühlt sich Jürgen Kolb schon immer gut aufgenommen. "Ich habe selten so eine gute Kollegialität erlebt", erzählt er. Unglaublich hilfsbereit seien die anderen Lehrer gewesen, sie erleichterten ihm den Einstieg. Vorwissen im Umgang mit Grundschülern hatte er nicht. "Man kommt ja blank rein." Den Umgang mit Jugendlichen kannte er, bildete sie schließlich aus. Nur: Mit Erst- bis Viertklässlern müsse man ganz anders umgehen. Er rede langsamer, setze viel weniger voraus und erkläre neue Wörter. "Dinge zu verlangsamen, das war ein Lernprozess."

Jürgen Kolb lässt an passender Stelle einfließen, dass er keine klassische Lehrerausbildung gemacht hat. Die Koch-AG an der Dammgrundschule leitet der 59-Jährige. Zudem sieht er seinen Lebenslauf als Ansporn für die Kleinen an. Er erzählt ihnen dabei, welche Entwicklungsmöglichkeiten jeder einzelne habe. "Die Kinder sind sehr interessiert."

Frank Eber, Schulleiter, Bretzfeld

Frank Eber sagt: "Wir beschäftigen auch Quereinsteiger beziehungsweise Lehrkräfte mit Fachqualifikation in der Sekundarstufe und haben damit auch überwiegend gute Erfahrungen gemacht." In den Kernunterrichtsprozessen der Grundschule wäre dies jedoch aufgrund des hohen pädagogischen Anspruchs nicht denkbar. Gerade hier werde höchste pädagogische und didaktische Qualifikation gefragt und bei höchster Arbeitsbelastung am schlechtesten bezahlt.

Für Eber kommt erschwerend hinzu, dass die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studium an den pädagogischen Hochschulen nicht sachgerecht erfolgte. Denn angehende Lehrkräfte müssen in Baden-Württemberg im Anschluss an das neue Doppelstudium auch noch in den Vorbereitungsdienst. Eber fordert: Der Master-Studiengang sollte mit dem Vorbereitungsdienst verbunden werden. Er kritisiert, dass das Lehramtsstudium um mehrere Semester verlängert wurde. Dass nun also pädagogisch und didaktisch geringer qualifizierte Menschen als Quereinsteiger in die Schulen geschickt werden sollen, ist für ihn die Folge vieler Jahre politischer Fehleinschätzungen durch Landtag und die Landesregierung.


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Eine didaktische und pädagogische "Schnellbleiche" könne keine Lehramtsausbildung ersetzen, die derzeit auf mindestens sieben Studienjahre ausgelegt ist. Die Studieninhalte seien so vielfältig und wichtig, um den Anforderungen modernen Unterrichts gerecht zu werden. Eber vergleicht es mit einem Medizinstudium: "Dann ist es so, als würde man hier einen Ersthelfer Herzoperationen durchführen lassen." Er fordert, die Aufgaben der Lehrer zu entrümpeln. Quereinsteiger könnten gut nicht didaktische Aufgaben an Schulen übernehmen, dazu zählt er die Ganztagsbetreuung, Inklusionsbegleitung und beispielsweise systematischen Fernunterricht.

Tina Klenk, Sonderpädagogische Schule

Tina Klenk (40) hat als GEW-Mitglied vor allem die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren im Blick. Sie weiß: Gerade dort ist es besonders wichtig, dass pädagogisch sehr gut geschultes Personal die Kinder aus oft schwierigen Ausgangspositionen abholt.

An sonderpädagogischen Einrichtungen sei die Klassengröße nicht das Problem. Hier können die Gruppen beispielsweise auch aus nur acht Schülern bestehen. Aber dann habe man acht Kinder mit acht Geschichten und acht unterschiedlichen Lernniveaus. Die Schüler hätten durchaus ein Gespür, dass etwas nicht so funktioniert, sie an einer anderen Schule sind. Für die Lehrkräfte bedeute das, den ganzen Koffer an Methodenkompetenz einsetzen zu müssen. Beziehungsarbeit sei in sonderpädagogischen Einrichtungen ganz extrem wichtig. Aber es sei auch eine Herausforderung.


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Sie liebt ihren Beruf nach wie vor. Sie freut sich, wenn es gelingt, eine funktionierende Beziehung zu dem einzelnen Kind aufzubauen, herauszufinden, wie der Zugang zu ihm gelingt. "Wenn wir kommunizieren können, dann ist das schon ein kleiner Erfolg." Sie bedauert die geringe Personalausstattung. Fortbildungen traue man sich schon nicht mehr anzumelden, weil die ohnehin überlasteten Kollegen dann zusätzliche Aufgaben und Vertretungen übernehmen müssten. Langfristige Erkrankungen, hat sie erfahren, spalten das Kollegium. Wer zurückkäme, dem schlage schon mal schlechte Stimmung entgegen. Wegen eines kranken Kindes daheim zu bleiben, das traue man sich schon kaum. Das Problem sei, dass die Perspektive fehle, das Wissen, dass es in naher Zukunft besser werde. Das treibe viele Kollegen in den Burn-out, fürchtet sie. Sonderpädagogen, weiß sie, sind überall gefragt, können sich ihre Arbeitsstellen aussuchen. Auch Privatschulen seien Alternativen.

Stefan Bax, Grundschule

Fehlende Lehrer, Überlastung in Schulen : Stefan Bax von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kennt die Situation im Unterricht aus Gewerkschaftssicht. Und natürlich bekommt er als Lehrer mit, wo es gerade im System hakt. Dennoch ist bei ihm die Motivation als Pädagoge hoch. Die Schüler zu begleiten, ihre Lernfortschritte gerade in den Klassenstufen drei und vier zu erleben, das bedeutet ihm viel. Dem 41-Jährigen ist es zudem wichtig, den Kindern und Jugendlichen Demokratie zu vermitteln.

Außerdem will er seinen Teil dazu beizutragen, dass es mit der Bildungsgerechtigkeit klappt. "Das ist mein Antrieb." Stefan Bax will allen Kindern gerecht werden. Von ihnen bekomme man so viel zurück. Als Klassenlehrer hat Stefan Bax einen besonderen Draht zu den Kindern. Nach ein paar Monaten mit der Klasse verstehe man die Mädchen und Jungen, und die Kinder verstünden ihn.

Unterdessen lobt er ein Förderprogramm des Landes, Rückenwind, mit dem coronabedingte Rückstände im Fachlichen sowie im sozialen und emotionalen Bereich aufgeholt werden sollen. "Das ist ein guter Ansatz." Bei ihm komme drei bis vier Stunden pro Woche eine zusätzliche Person in den Unterricht. Dann können die guten sowie die schwächeren Schüler besser gefördert werden. "Das ist eine gute Möglichkeit, Bildungsgerechtigkeit herzustellen." Der Lehrermangel schlage an anderer Stelle auf die Stimmung in den Kollegien durch. "Man getraut sich gar nicht mehr, krank zu sein." Den Schulen fehlten Reservelehrer, um in solchen Fällen die Lücken zu schließen. Konkret heiße das: Kranke Lehrer müssten von denen ersetzt werden, die noch vor Ort seien und ohnehin schon überlastet seien. Als er das erste Mal Elternzeit nahm, bereitete er vor der Auszeit Unterricht vor. Und in der Auszeit hat er Zeugnisse geschrieben - für die Kinder und deren Familien hat er es gemacht.

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