Expertenaustausch in Heilbronn: Was sind uns unsere Kinder wert?
Eine Pädagogin, eine Ärztin und ein Kindermedizin-Mäzen sprechen beim Stimme-Forum über die Misere in Bildung und Gesundheitswesen. Die Corona-Pandemie hat die Defizite in beiden Bereichen offenbar noch verschärft.

Die Teilnehmer des Expertenforums zum Thema "Was ist Deutschland sein Nachwuchs wert?" kommen aus verschiedenen Bereichen, aber sie alle kümmern sich um Kinder. Und sie sind sich einig: Die Jugend ist eine bedeutende Ressource für die Gesellschaft. In die muss man aber erst einmal investieren.

Am Montag (6.2.) diskutierten die geschäftsführende Schulleiterin und Rektorin der Heinrich-von-Kleist-Realschule Heilbronn, Melanie Haußmann, die SLK-Oberärztin im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. Birgit Stock und Ralf Klenk, Unternehmer und Gründer der Stiftung "Große Hilfe für kleine Helden", moderiert von Stimme-Redakteurin Valerie Blass, über Kinderrechte.
Kinder haben Recht auf Bildung und Gesundheit
Ob Recht auf gute Schulbildung oder auf die bestmögliche Gesundheit: Die 1990 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete Unicef-Kinderrechtskonvention sichert dem Nachwuchs beides zu. Aber wenn Schlagzeilen von Bildungskrise, Lehrermangel und "Kindermedizin in Not" künden, schrillen in Familien die Alarmglocken.
Und die Fachleute im Stimme-Forum geben keine Entwarnung. Im Gegenteil: Die Corona-Pandemie hat die Defizite sowohl im Bildungsbereich als auch in den Kliniken, insbesondere den psychiatrischen, offenbar noch verschärft. Während die Fallzahlen seit Jahren dramatisch steigen, seien die Bettenzahlen zwischen 1991 und 2020 um 43 Prozent gesunken, nennt Birgit Stock Fakten. Kindermedizin sei nicht erst seit Dezember in Not. "Das ist kein neues Thema", weiß die Ärztin.
Durch die hohen Infektionszahlen habe es sie nur vor Weihnachten extrem getroffen: "Wenn Sie mich fragen: 'Haben wir da etwas versäumt?', dann würde ich sagen: ja!" Das liege auch daran: "Kindermedizin kann sich nicht so rechnen wie Erwachsenenmedizin."

Schule muss mehr als Mathe vermitteln
Auch an den Schulen fehlt es an allen Ecken und Enden. "Wir brauchen mehr Lehrkräfte, mehr Räume, Bücher, warmes Mittagessen, aber auch Psychologen, Lernbegleiter ...", fordert Melanie Haußmann: "Wir müssen Ressourcen zur Verfügung stellen, damit jedes Kind gute Bildungschancen bekommt." Und zur Bildung zähle nicht nur, am Ende der Schullaufbahn fit in Mathe zu sein. "Ernährung, Bewegung und Lernen gehören für mich einfach zusammen." Die erfahrene Pädagogin wünscht sich ein ganzheitliches Bildungskonzept, damit Kinder sich "gesellschaftsadäquat entwickeln" könnten.
"Egal ob in der Schule oder Klinik: Bei Kindern ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig", findet auch der Mäzen im Bereich Kindermedizin, Ralf Klenk. Die Erfahrung, dass nicht nur das einzelne Kind Opfer dieser Mangellage sowohl im Bildungssektor als auch im Gesundheitswesen ist, hat der Unternehmer am eigenen Leib gemacht, als bei seinem Sohn Leukämie diagnostiziert wurde: "Wenn ein Kind erkrankt, ist die ganze Familie betroffen", unterstreicht er.

Stiftung finanziert inzwischen mehr Geräte als Soziales
Als er vor 13 Jahren "Große Hilfe für kleine Helden" gründete, war Klenks "Anspruch, Dinge zu finanzieren, die vom Kostengeber nicht finanziert werden". Geschwisterbetreuung, nennt er als Beispiel. Nachdenklich sagt der Mäzen heute: "Inzwischen setzen wir von den Stiftungsmitteln weit über die Hälfte für Gerätemedizin ein."
Als Beispiel nennt er einen Apparat, mit dem man alle drei Virusarten - Corona, RSV und Influenza - gleichzeitig testen kann. So kann bei hohen Fallzahlen Personal und Wartezeit bei den Kindern und ihren Eltern gespart werden. 18.000 Euro habe das Teil gekostet: "Das rechnet sich nach einem halben Jahr, da es den Verwaltungsaufwand enorm reduziert."
Pandemie schlägt jetzt erst in Psychiatrie durch
"Wir sind unglaublich dankbar, dass wir Herrn Klenk haben", sagt Birgit Stock, auch wenn Geräte sind nicht das sind, was sie in der Psychiatrie vornehmlich benötigt. Bei Kindern sei "Corona als Krankheit nie ein Riesenthema gewesen". Aber in ihrem Bereich ist "die Pandemie nicht vorbei, im Gegenteil". Angst- und Essstörungen sowie Depressionen schlagen jetzt erst richtig durch.
Doch was braucht es, um die Situation zu verbessern?, hakt Moderatorin Blass nach. Haußmann plädiert für frühe Begleitung durch Sozialpädagogen und Psychologen. Eltern bräuchten ein "open mind set" und müssten lernen, in ihre Kinder zu vertrauen. Stock will weg von dem massiven Druck, den Eltern und auch Schulen jetzt machten. Der sei so "defizitorientiert. Wir brauchen jetzt eine positive Strategie", fordert sie neben ausreichend und gut ausgebildetem Personal. Und: "Man muss in Kinder Geld investieren."
Haußmann weist auf ein Positivbeispiele hin, die das wichtige Miteinander der Kinder fördern, etwa "Lernen mit Rückenwind". Neben Geld und flexiblem politischen Handeln, auch zur Behebung der misslichen Personallage, wünschen sich die Experten eine positive Grundstimmung. Melanie Haußmann ist schon "glücklich, dass wir jetzt in den Diskurs einsteigen".


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