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Gewitter als Adrenalinkick: Wenn der Sturmjäger in Gefahr gerät

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Sturmjäger Maximilian Ziegler fotografiert extreme Wetterereignisse wie Gewitter aus nächster Nähe. Auch Schneestürme und Regenbögen faszinieren ihn. Er will wissen, wie sich diese Naturgewalten entwickeln, welches Ausmaß sie haben – und gerät teilweise selbst hinein.

Sturmjäger Maximilian Ziegler fotografiert extreme Wetterereignisse wie Gewitter aus nächster Nähe.
Sturmjäger Maximilian Ziegler fotografiert extreme Wetterereignisse wie Gewitter aus nächster Nähe.  Foto: Max Ziegler (links), Ralf Seidel (rechts)

Die warme Luft steht, selbst auf dem Heilbronner Wartberg. Maximilian Ziegler deutet in die Ferne. "Das da vorne", erklärt er, "ist eine ausgereifte Gewitterwolke. Und dort hinten befindet sich eine in der Entstehung. Da könnte noch etwas passieren." Für das ungeschulte Auge mögen die Wolkengebilde unscheinbar, geradezu selbstverständlich wirken. Für Maximilian Ziegler genügt ein kurzer Blick in den Himmel, um zu erkennen, welche meteorologischen Entwicklungen dort gerade stattfinden.

Dass der 34-Jährige Wolkenbilder und -arten so oft beobachtet, ist seinem Hobby geschuldet: Maximilian Ziegler ist Sturmjäger. Wo andere Unwetter meiden, fährt er ihnen entgegen, um sie zu fotografieren und sie aus nächster Nähe zu erleben. Ziegler jagt Gewitter, gebraucht dafür das englische Wort to chase. Er will wissen, wie sich die Gewitter entwickeln, welches Ausmaß sie haben − und gerät teilweise selbst hinein. Dabei hat er viel erlebt und in den vergangenen Jahren festgestellt, wie sich das Wetter durch den Klimawandel verändert.

Maximilian Ziegler fotografiert Gewitter aus nächster Nähe

Der Ludwigsburger kann anhand von Wettermodellen und Regenradaren inzwischen mit ziemlicher Gewissheit voraussagen, wann und wo sich ein Gewitter bildet. Dann sucht er ein Streckennetz und einen Standort aus, schnappt sich seine beiden Kameras − eine davon für Zeitrafferaufnahmen − und seine Drohne, steigt ins Auto und fährt dem Schauspiel entgegen. Immer mit dem Ziel, vor die Gewitterzelle zu kommen. Eine gute Viertelstunde hat Maximilian Ziegler im Durchschnitt Zeit, bevor ihm das Gewitter so nahe kommt, dass er seinen vorher ausgekundschafteten Fluchtweg in Richtung Autobahn antreten muss − oder er gewinnt noch etwas Distanz, um das Schauspiel von einem anderen Standpunkt zu fotografieren.


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Für Ziegler ist der Gesamtprozess spannend: Wie die Luftmassen zusammenströmen, wie sie sich auftürmen und sich energiereich entladen. Dass er sich einer Gefahr aussetzt, ist ihm bewusst, er will sie so gut es geht vermeiden. Selbst als erfahrener Sturmjäger muss Maximilian Ziegler immer wieder erfahren, dass das, was er vor die Linse bringen will, gewaltiger und größer ist als er selbst. Statt abzustumpfen, bleibt er ehrfürchtig. "Man steht direkt davor und spürt die Naturgewalt", sagt Ziegler, der neben Waldwirtschaft Meteorologie studiert hat.

Sturmjäger hat bei Gewittern auch manchmal Angst 

Diese Superzelle im Abendlicht jagte Maximilian Ziegler bei Winnenden.
Diese Superzelle im Abendlicht jagte Maximilian Ziegler bei Winnenden.  Foto: Max Ziegler

Trotz aller Voraussicht und Planung reizt ihn gerade das Unvorhersehbare. Zwar lassen Blitze eine Urangst bei ihm aufkommen, doch die größte Gefahr sind die urplötzlich auftretenden starken Winde, die Bäume zu Fall bringen können, sagt Ziegler. So wie im vergangenen Jahr, als er unterwegs war in Slowenien. Schon am Morgen erkennt Ziegler, dass eine kräftige Gewitterzelle über die Adria heranzieht. "Wir hatten nicht viel Zeit zum Reagieren und haben uns an einer Tankstelle untergestellt." Kurz darauf seien die Abenteurer wie von der Außenwelt abgeschnitten gewesen, der Empfang der Smartphones durch das Unwetter gestört. Dann fällt zentimetergroßer Hagel. "Man konnte gerade noch den Boden vor dem Auto erkennen." Durch die starken Winde stürzen Bäume um. "Das war kritisch. Da hatte ich schon Angst", gibt Ziegler zu.

Im Nachhinein habe er sich auch über sich selbst geärgert, gesteht er. "Ich war vielleicht zu nachlässig oder habe die falsche Entscheidung getroffen." Daraus ziehe er seine Lehren. Seit frühester Kindheit beobachtet Maximilian Ziegler gebannt Wetterphänomene, ist schon immer viel in der Natur unterwegs. Als Jugendlicher macht er Praktika bei diversen Wetterstationen. Durch das Internet und den Film "Twister" kommt er auf die Sturmjagd. Als er mit 18 Jahren seinen Führerschein bekommt, kann er seiner Leidenschaft selbstständig nachgehen.

Regenbogen, Gewitter, Schneestürme – alle Wetterphänomene sind faszinierend

Nach dem Sturm folgt Sonnenschein: ein Regenbogen über dem Neckartal.
Nach dem Sturm folgt Sonnenschein: ein Regenbogen über dem Neckartal.  Foto: Max Ziegler

Fasziniert ist der Ludwigsburger aber nicht nur von Gewittern, sondern von allen wetterbedingten Phänomenen. Das reicht vom Regenbogen über Schneestürme bis zu den Wasserfällen, die er bei der Schneeschmelze in Norwegen erlebte. "Der ganze Boden hat gebebt." Aber: "Das Gewitter ist eine Königsklasse", sagt Maximilian Ziegler, denn es veranschaulicht das Wetter in seiner extremsten Form. "Da kommt alles zusammen: Erscheinungen wie Blitze, Starkregen, Hagel und kräftige Winde. Das zu erleben, ist spannend und gibt einen Adrenalinkick."

Für seine Wetterfotografien und -videos, die Maximilian Ziegler auf Social Media, seinem Blog und als Kalender veröffentlicht, konzentriert er sich vor allem auf Süddeutschland und besonders Baden-Württemberg. Der gewitterträchtige Schwarzwald und die Schwäbische Alb sowie die Region Heilbronn gehören zu seinen Gebieten. Unwetterbilder und Naturschauspiele fotografiert er aber auch bundes- oder europaweit. 2024 plant er, wieder zusammen mit anderen Sturmjägern durch die Great Planes in den USA zu fahren. Die Gewitterjäger sind organisiert in Netzwerken, Gruppen und Vereinen, die Gemeinschaft wächst.

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Selbst Ortsansässige staunen über die Naturspektakel

Für Maximilian Ziegler ist es ein Glücksfall, wenn seine Aufnahmen gelingen und dazu noch eine bestimmte Stimmung einfangen. "Ich versuche immer, den Bezug zur Landschaft, zu der Kultur herzustellen." Denn in diesem Verhältnis werden die Wucht des Wetters erst deutlich. Da staunen selbst Ortsansässige über die Naturspektakel, die sich direkt vor ihrer Haustür ereignet haben und die sie dort nicht für möglich gehalten hätten.

Eine Böenwalze über dem Berg Ipf hat Ziegler bei Bopfingen festgehalten.
Eine Böenwalze über dem Berg Ipf hat Ziegler bei Bopfingen festgehalten.  Foto: Max Ziegler

"Ich will darstellen, wie sich das Wetter optisch und praktisch entfaltet und das künstlerisch rüberbringen. Ich möchte den Leuten zeigen: Es ist etwas Gefährliches, aber es sieht schön aus und es lohnt sich, ab und zu einen Blick gen Himmel zu werfen. Man muss nicht immer weit wegfahren", sagt Ziegler, der von Berufs wegen viel herumkommt. Als Vermessungstechniker im Landesamt für Geoinformation in Karlsruhe sieht er viele Landschaften. Das dient ihm zum einen als Inspiration für Motive, zum anderen ist es für ihn von Vorteil, wenn er die regionalen Gegebenheiten schon kennt und sie im Vorfeld zur Gewitterjagd in seine Planungen einbauen kann.

Sturmjäger stellt Auswirkungen des Klimawandels fest

Eine weitere Erfahrung, die ihm in Erinnerung bleibt: Bei einer Superzelle hat er keine Zeit mehr zum Davonfahren. Als der Hagel einsetzt, sucht Ziegler mit Freunden Schutz bei einer Tankstelle. "Wir ließen uns unter der sicheren Abdeckung vom Gewitter überrollen und haben es einfach genossen."

Nach Jahren der Sturmjagd hat sich Ziegler genau das vorgenommen: Er will die Momente noch mehr auf sich wirken lassen. Und noch etwas hat sich verändert: Die Erderhitzung wirkt sich teilweise auf die Intensität der Unwetter aus, stellt Maximilian Ziegler fest. "Man kann feststellen, dass es den menschgemachten Klimawandel gibt. Und es ist beängstigend. Weil man nichts tun kann."


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