Muezzin-Rufe für Freitagsgebet in Köln erlaubt - in Heilbronn bislang kein Thema
Muslime fühlen sich auch ohne Gebetsrufe in Stadt und Land gut aufgehoben. Evangelische und katholische Kirchen schätzen den Austausch der Religionen.

In Köln können die insgesamt 35 Moscheen künftig mit dem Ruf des Muezzins zum Freitagsgebet aufrufen. Das hat die Oberbürgermeisterin Henriette Reker Anfang Oktober bekanntgegeben und auf Twitter als "Zeichen des Respekts" bezeichnet. Das Modellprojekt soll zunächst zwei Jahre laufen. Auch in anderen Städten in Nordrhein-Westfalen ist der Gebetsruf erlaubt - im Gegensatz zu Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg.
Der Ruf des Muezzin ist in abendländisch geprägten Ländern wie Deutschland umstritten, denn er lädt die Gläubigen nicht nur zum Gebet ein, er enthält auch religiöse Botschaften. So ruft der Muezzin unter anderem "Allahu akbar" was übersetzt "Allah ist groß" heißt und "Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah". Deshalb kritisieren Islam-Experten wie Ahmad Mansour in der Bild-Zeitung den Ruf des Muezzin auch "als Machtdemonstration". Er sei daher nicht mit dem Glockengeläut der Kirchen vergleichbar, die wortlos zum Kirchgang oder Gebet einladen.
Doch während die Entscheidung von Köln heftig umstritten ist, spielt die Frage nach dem Gebetsruf in Heilbronn eine untergeordnete Rolle. "Muezzinrufe waren bislang in Heilbronn kein Thema", betont die Pressesprecherin der Stadt, Suse Bucher-Pinell.
Gute Zusammenarbeit

Das gilt auch für die meisten Muslime unter den 54,6 Prozent Heilbronner Bürgern, die keinen deutschen Pass oder einen Migrationshintergrund haben. Für viele von ihnen stellt sich die Frage derzeit nicht. "Für die Bürger in Köln ist die Entscheidung zwar ganz gut, aber so eine Absicht haben wir hier nicht", sagt Izzet Ekinci, Vorsitzender der Heilbronner Fatih-Moschee, die zur islamischen Gemeinschaft Milli Görüs gehört. Er vertritt rund 900 Mitglieder und ihre Familien, die regelmäßig in die Moschee in der Goppelstraße kommen. "Wir fühlen uns gut aufgenommen und arbeiten sehr gut mit der Stadt zusammen", stellt Ekinci klar. Auch bei größeren Feiern zum Ende des Fastenmonats Ramadan oder beim Opferfest, dem höchsten islamischen Feiertag, sei die Stadt ihnen immer entgegengekommen. "Wir haben bei besonderen Veranstaltungen nie Probleme mit dem Ordnungsamt gehabt", sagt der Vorsitzende der Fatih-Moschee. "Wir hoffen jetzt, dass wir nach Corona im Juni oder Juli 2022 auch wieder ein Fest feiern können. Das ist auch für unsere Menschen sehr wichtig", betont Izzet Ekinci.
"Natürlich wäre es schön, wenn der Ruf des Muezzin auch in Baden-Württemberg erlaubt wäre", sagt Erkan Cetinkaya. Der Vorsitzende der Mevlana-Moschee in Eppingen, die zum DITIB-Dachverband gehört, würde sich freuen, wenn der Gebetsruf zumindest am Freitagmittag möglich wäre: "Das ist für uns der wichtigste Gebetstermin in der ganzen Woche." Ansonsten fühlt sich Cetinkaya, der rund 440 Mitglieder aus Eppingen und dem Landkreis Karlsruhe vertritt, in der Stadt "super aufgenommen".
Unterschiedliche Interpretationen

Auch für die christlichen Kirchen in der Region steht der Gebetsruf derzeit nicht auf der Tagesordnung. "Für mich sind die verschiedenen Anlässe für Begegnung, Gespräch und theologischen Austausch der Religionen untereinander von viel größerem Vorrang, als die Einführung eines Muezzinrufs in der Stadt", sagt Friedrich Baisch, Dekan der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Heilbronn. Gute Ansätze seien auf diesem Weg das Forum der Religionen, der Tag der offenen Moschee und der christlich-islamische Arbeitskreis. Den Vergleich der Kirchenglocken mit dem Ruf des Muezzins, der vielfach herangezogen wird, teilt Baisch nicht. "Kirchenglocken laden mit Klang, aber ohne Wort zum Gottesdienst und zum Gebet ein. Der Ruf des Muezzins stellt dagegen zugleich ein Bekenntnis dar", macht der Dekan deutlich.
Das sieht sein Kollege Roland Rossnagel genauso. Der Dekan des Katholichern Dekanats Heilbronn-Neckarsulm spricht beim Ruf des Muezzins von einem "Glaubensbekenntnis" während "der Klang der Kirchenglocken ein rein akustisches Signal ist, dass jede und jeder auf seine Weise interpretieren kann".
Rossnagel spricht von einem "breiten Konsens der Konfessionen und Religionen mit der Stadtverwaltung und einem guten Miteinander". Die meisten Religionsvertreter würden sich persönlich kennen. "Deshalb lassen sich manche Dinge im direkten Kontakt klären", betont der Dekan. Für ihn laute der Grundsatz, dass alle ihre Religion ausüben und sich in der Stadt wohlfühlen könnten. "Um einen Muezzinruf einzuführen, wie ihn die Stadt Köln nun innerhalb eines definierten Rahmens gestattet, bräuchte es in unserer Stadt zunächst einen gesellschaftlichen Konsens, der den öffentlichen Dialog voraussetzt", ist sich Rossnagel sicher.
Für Moslems bestimmen Gebete den Tagesablauf
Das Freitagsgebet ist für Muslime eine im Koran fest verankerte religiöse Verpflichtung. Es ist für muslimische Männer und Jungen ab der Pubertät vorgeschrieben und für muslimische Frauen empfohlen. Das Gebet, das am Freitag in der Mittagszeit stattfindet, ist dabei das wichtigste in der Woche und soll nach Möglichkeit gemeinschaftlich in der Moschee verrichtet werden. Im Unterschied zum täglichen Mittagsgebet werden die Koranverse freitags von einem Vorbeter, dem Imam, rezitiert. Eine Besonderheit ist, dass vor dem eigentlichen Gebet vom Imam eine Predigt gehalten wird.
Gebete bestimmen für Moslems den gesamten Tagesablauf. Die fünf Gebetszeiten sind genau festgelegt und liegen unmittelbar vor Sonnenaufgang, zur Mittagszeit, am Nachmittag, kurz nach Sonnenuntergang und vor Einbruch der Nacht. Dabei wenden sich die Muslime Richtung Mekka. Da Frauen von Männern beim Gottesdienst nicht beobachtet werden sollen, beten sie in der Regel hinter den Männern, abgetrennt in eigenen Räumen oder auf einer Empore. Auch für Kinder gibt es häufig eigene Räume und Koranschulen. In größeren Moscheen sind auch Einkaufsmärkte, Bäckereien und Restaurants eingerichtet. In islamischen Ländern fordert der Muezzin die Gläubigen mit seinem Ruf auch fünf Mal am Tag zum rituellen Gebet auf. Dieser Ruf ist 1400 Jahre alt und geht auf die Frühzeit des Islam im 7. Jahrhundert zurück. Dazu besteigt der Muezzin das Minarett, von wo der Ruf weit zu hören ist. Heute wird der Ruf üblicherweise über Lautsprecher von den Minaretten aus übertragen. "In der Türkei ist der Ruf zum Gebet völlig normal im Alltag", sagt Izzet Ekinci. "Bei uns gibt es einen Jahreskalender in dem alle Gebetstermine verzeichnet sind", so der Vorsitzender der Fatih-Moschee in Heilbronn. Da sich die Gebete im Tagesverlauf nach dem Stand der Sonne richten, gibt es dafür keine festgesetzten Zeiten, die Termine wandern vielmehr mit dem Wechsel der Jahreszeiten.
Der Ruf ist daher heute weniger eine Erinnerung an die Gebetszeit, sondern ein Glaubensbekenntnis, während die Kirchenglocken zum Gottesdienst einladen oder den Gläubigen anzeigen, wann das Vaterunser gebetet wird. Auch in Köln gibt es Einschränkungen, wenn der Muezzin zum Gebet ruft. Der Gebetsruf darf nur freitags und auch nur in der Zeit zwischen 12 und 15 Uhr ertönen. Die Dauer darf fünf Minuten nicht überschreiten. Auch muss die Lautstärke mit der Nachbarschaft abgestimmt werden und jede Gemeinde einen Ansprechpartner benennen, der Beschwerden entgegennimmt und Fragen beantwortet .



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