Klinik-Chef fordert Lockdown
Die medizinische Versorgung im Land ist bereits deutlich eingeschränkt, so die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft. Aus ihrer Sicht müssen jetzt schnell weitere Entscheidungen her - besonders eine unpopuläre.

Eigentlich war die Online-Pressekonferenz angesetzt worden, weil die BWKG, Vertretung von 201 Krankenhäusern im Land, über die "Unterfinanzierung der Krankenhäuser in der Pandemie" sprechen wollte. 65 Prozent rechnen für 2021 mit einem Defizit, "eine derart hohe Quote gab es noch nie", sagte Heiner Scheffold, der Vorstandsvorsitzende.
Gründe sind die überdurchschnittlich hohen Kosten für die Behandlung von Covid-Patienten sowie wegbrechende Erlöse, etwa durch einen Rückgang der Patientenzahlen in den Ambulanzen sowie fehlende Einnahmen durch Parkhäuser, Physiotherapie oder den Cafeteria-Betrieb.
Forderungen nach Impfpflicht für medizinisches Personal
Doch traten die finanziellen Sorgen schnell in den Hintergrund, angesichts der dramatischen Botschaften, die Jörg Martin, Geschäftsführer der RKH-Kliniken Ludwigsburg und ausgebildeter Intensivmediziner, für die Journalisten hatte. "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand", sagte Martin. "Es müssen von der Bundespolitik endlich Entscheidungen getroffen werden, um diese vierte Welle zu brechen."
Die aktuell gültigen Maßnahmen seien "viel zu wenig, es müssen schnell weitere Entscheidungen her, auch wenn sie unpopulär sind", sagte Martin, und meinte damit einen Lockdown: "Anders wird es nicht gehen." Martin zeigte auch wenig Verständnis dafür, dass immer noch über die Impfpflicht für medizinisches Personal diskutiert wird: "Die fordern wir schon lange. Die Politik muss jetzt endlich mal damit aufhören, jeder Minderheit hinterherzulaufen."
Von Triage an den sieben Kliniken der RKH will Martin nicht sprechen, wohl aber von "Priorisierung". Ärzte müssten bereits entscheiden, wer von Normalstation auf Intensivstation verlegt werde und wer nicht. Die medizinische Versorgung sei von einem optimalen auf ein suboptimales Niveau gefallen. Seit Anfang dieser Woche werden an den RKH-Kliniken Verwaltungsmitarbeiter geschult, um bei der medizinischen Versorgung, auch auf den Covid-Stationen, auszuhelfen. 50 Prozent der Intensivbetten sind nach Auskunft von Martin mit Covid-Patienten belegt. "Die Situation ist extrem dramatisch."
An anderen Kliniken im Land sieht das nicht anders aus, wie BWKG-Geschäftsführer Matthias Einwag anhand von Zahlen verdeutlichte. Es seien bereits knapp 50 Prozent der planbaren Operationen verschoben worden, um mehr Betten für Covid-Fälle zur Verfügung zu haben. Die Reserve schrumpfe aber immer weiter - und Notfälle, derzeit sind das 940, ließen sich eben nicht verschieben. Scheffold sprach von "schwierigen ärztlichen Entscheidungen: Wenn eine OP unterbleibt, hat das für den Betroffenen Konsequenzen."
Viele Mitarbeiter halten die psychische Belastung nicht aus
Martin prognostizierte noch größere personelle Probleme nach der Pandemie. Beschäftigte stiegen wegen der hohen, auch psychischen Belastung, aus dem Beruf aus: "Normalerweise liegt die Sterblichkeit auf der Intensivstation bei 20 Prozent, aktuell liegt sie bei 40 bis 60 Prozent. Das halten viele nicht aus."
SLK-Chef Thomas Weber, der parallel im SLK-Aufsichtsrat über die Situation beim regionalen Klinikverbund informierte, schloss sich den Warnungen seiner Kollegen an. "Nur noch Kontaktbeschränkungen können helfen, die Lage einigermaßen in den Griff zu bekommen", so Weber. Impfungen und Testen seien nach wie vor wichtig, "werden aber auf die vierte Welle keine Auswirkungen mehr haben, sondern uns hoffentlich vor einer heftigen fünften Welle verschonen".
Finanziell steht der SLK-Verbund noch recht gut da
Bei SLK sieht die finanzielle Situation noch nicht so düster aus wie andernorts. Weber rechnet mit einem "leicht positiven Ergebnis: Zwischen den bisherigen Pandemiewellen konnten wir viele Operationen nachholen und wirtschaftlich einiges aufholen." Die Klinik Löwenstein werde jedoch voraussichtlich ein millionenschweres Defizit haben, das Gesundbrunnen und Plattenwald ausgleichen. "Gleichzeitig werden wir etwa vier Millionen Euro aufgrund der politischen Rahmenbedingungen zurückzahlen müssen, also Geld verlieren, das wir für erbrachte Leistungen bekommen müssten", so Weber weiter.