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Kinder leiden schwer unter den Lockdown-Folgen der Corona-Pandemie

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Der Heilbronner Kinderarzt Hans Stechele beobachtet nach zwei Jahren Corona gravierende Verschlechterungen in allen Altersstufen. Hilfsangebote sind viel zu knapp.

Als "besorgniserregend" bezeichnet der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) die Folgen der Corona-Pandemie und insbesondere der Lockdowns für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. "Sie wirkten und wirken immer noch als Verstärker bereits zuvor bestehender Ungleichheiten und Entwicklungsrisiken", sagte Thomas Fischbach, Präsident des BVKJ, kürzlich beim 51. Kinder- und Jugendärztetag in Berlin.

 


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Bewegungsmangel, soziale Isolation und Corona-Kilos

Ob Entwicklungsverzögerungen, Spracherwerb, Übergewicht oder psychische Auffälligkeiten: Defizite sind überall zu beobachten. "Es gibt im Moment nur wenige Lichtblicke", bestätigt der Heilbronner Kinderarzt Dr. Hans Stechele: "Die Nachteile sind auch bei uns gravierend in allen Altersstufen zu beobachten." Das betrifft zum einen die körperliche Gesundheit: So ist nach Angaben der Deutschen Adipositas-Gesellschaft jedes sechste Kind in Deutschland seit Beginn der Corona-Pandemie dicker geworden, fast die Hälfte bewegt sich weniger als zuvor. "Die Corona-Kilos werden zu einer schweren Hypothek für eine ganze Generation", kommentiert Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Auch psychische Auffälligkeiten haben deutlich zugenommen

"Die Pandemie hat viele Erfolge zunichte gemacht", sagt Stechele. Fehlende Bewegungsangebote vor allem in der Gruppe, soziale Isolation, unregelmäßige Mahlzeiten durch fehlende Tagesstrukturen und exzessiver Medienkonsum trügen zur Übergewichts-Problematik bei. Mit einer Diät allein sei da wenig auszurichten: "Es braucht eine Lebensstilveränderung oft der ganzen Familie." Ambulante Schulungsprogramme über sechs bis zwölf Monate seien am ehesten erfolgversprechend. "Ohne eine hohe Eigenmotivation von Kind und Familie geht es nicht. Dafür müssen Sie aber den Kopf frei haben."

 


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Genau das gelingt vielen Kindern - und Eltern - nicht mehr: Die Psyche leidet mit. Kinder- und Jugendpsychiater Martin Holtmann vom LWL-Universitätsklinikums Hamm sprach beim Deutschen Ärztetag im Mai von einem Anstieg bei Essstörungen von 30 bis 40 Prozent, auch Angst- und Zwangserkrankungen hätten zugenommen.

"Psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen gibt es deutlich vermehrt", bestätigt Hans Stechele aus seiner Heilbronner Praxis. "Suizidversuche bei Kindern und Jugendlichen sind ja nur die dramatische Spitze des Eisberges." Gleiches gelte für Essstörungen wie Anorexie und Bulimie. "Dramatisch auch hier: viel zu wenig therapeutische Angebote", klagt er. "Psychologen und Psychiater für Kinder und Jugendliche sind völlig überlastet, es bestehen Wartezeiten bis zu einem Jahr." Auch stationäre Plätze in der Kinderklinik sind knapp, wie SLK-Oberärztin Birgit Stock unserer Redaktion bereits im April sagte.

Die Pandemie wird lange nachwirken, weil gewisse Erfahrungen nicht einfach aufzuholen sind

Einschränkungen aus der Pandemie könnten das ganze Leben prägen. "Bei jüngeren Kindern fehlen wesentliche Sozialisationserfahrungen in 15 bis 20 Prozent der Lebenszeit. Das ist gravierend. Das kann auch nicht aufgeholt werden", erklärt Stechele. "Entwicklungserfahrungen des fünften Lebensjahres können Sie nicht einfach im sechsten Lebensjahr nachholen." Auch Jugendliche konnten in den vergangenen zwei Jahren wichtige Erfahrungen nicht machen. "Man ist eben nur einmal 15 oder 16. Gemeinschaftserlebnisse wie Schullandheim, erste Partys, Tanzkurse, Ausfahrten mit Vereinen - das fehlt in diesen Biografien. Das ist unwiederbringlich."


Lese- und Mathekompetenz ist deutlich schlechter geworden

Besonders problematisch ist die Situation für Kinder und Jugendliche nach zwei Corona-Jahren im Bereich Bildung. Durch den ausgefallenen Unterricht sei die Lese- und Mathematikkompetenz der Schüler deutlich zurückgegangen, sagt Annic Weyersberg, Sprecherin von COVerChild (Kinder und Jugendliche in der Pandemie).

Viele Kinder wiederholen ein Schuljahr, weil sie den Fernunterricht nicht gut bewältigen konnten, hat der Heilbronner Kinderarzt Hans Stechele beobachtet. "Besonders deutlich sehen wir die Defizite bei jüngeren Kindern, die in einem nicht deutschsprachigen Haushalt aufwachsen", sagt er: "Deutschkenntnisse gehen komplett verloren oder können erst weit verspätet erworben werden. Das wird möglicherweise noch Jahre später auf die Schulabschlüsse durchschlagen."

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Kommentare

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Sabine Görmez am 21.06.2022 18:42 Uhr

Schade, dass in den Medien fast ausschließlich die sicher teilweise unschönen Auswirkungen der Pandemie thematisiert werden. Eine repräsentative Studie des Rheingold-Instituts hat durchaus auch spannende positive Ergebnisse erbracht. 70 % der befragten Jugendlichen haben das Gefühl durch die Pandemie stärker geworden zu sein; 60% gaben an in einzelnen Lebensbereichen Neues für ihr zukünftiges Leben gelernt zu haben (z.B. Zeit für Musikinstrument oder neue Fremdprache). "Rund zwei Drittel der Jugendlichen bewältigen die Krise sehr gut", zieht Kinder- und Jugendpsychiatrie Prof. Schulter-Markwort aus Hamburg Bilanz. Die Sorge vor einer vermeintlich verlorenen Generation sei laut dem Experten maßlos übertrieben und spiegele mehr die Ängste der Erwachsenen als die Gefühle der Jugendlichen. Als Mutter kann ich diesen Eindruck nur bestätigen. Selbstverständlich sind und waren Hilfsangebote und Unterstützungsmaßnahmen im sozialen Bereich und Bildungssektor schon immer zu knapp. Diese zu stärken und gleichzeitig mehr zur Förderung der Eigenverantwortung in Familien zu tun macht sicher ebenso viel Sinn wie von positiven Beispielen zu lernen.

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