Kampf um jeden Baum: Warum Streuobst ins Ladenregal gehört
Ehrenamtler kümmern sich um alte Streuobstgehölze. Ziel ist, durch Vermarktung der Säfte Geld für Nachpflanzungen und Baumschnitt zu generieren. Wie mit unterschiedlichen Aktionen Apfelbaum und Co. gerettet werden sollen:

Sie prägen das Erscheinungsbild unserer Kulturlandschaft, bieten Kleinlebewesen und Insekten Unterschlupf, spenden Schatten und liefern unverwechselbare Früchte: Streuobstwiesen. Ursprünglich waren sie die traditionelle Anbauart, um Äpfel, Birnen, Kirschen und andere Obstsorten zu gewinnen. Doch mit dem Aufkommen des Plantagenanbaus ab den 60er Jahren verloren Streuobstwiesen an Bedeutung für die Landwirtschaft.
Wer alles in den löchrigen Stämmen lebt

Alte Anlagen bleiben seither unbewirtschaftet und sind so dem Tod geweiht. "Ein Obstbaum, den man nicht schneidet, geht irgendwann ein", berichtet Jürgen Straub. Er leitet den Lobenbacher Hof in Neuenstadt-Stein im Nebenerwerb. Außerdem kümmert er sich beim Nabu Unteres Kochertal ehrenamtlich um Streuobstwiesen. Das Absterben eines ungepflegten Baums könne allerdings mehrere Jahre oder Jahrzehnte dauern, so der Streuobstexperte. Bis dahin tragen die Bäume meist immer noch jahrelang Früchte. Straub zeigt einen sichtbar in die Jahre gekommenen Apfelbaum. Der Stamm enthält tiefe Löcher. Sie dienen als Nisthöhlen für Vögel. Von einem anderen Baum steht nur noch der mächtige Stamm. Beim Annähern hört man es tief summen: Ein Hornissennest hat sich hier gebildet.
Was die Streuobstler im Unteren Kochertal leisten
"Streuobstwiesen enthalten zahlreichen Habitate und sind deshalb so wertvoll für die Artenvielfalt" erläutert Walter Koch. Er ist ebenfalls beim Nabu engagiert und Vorsitzender des Streuobstvereins Unteres Kochertal. Außerdem ist er einer der Geschäftsführer von "Steinkauz", einer Vermarktungsgemeinschaft für Säfte aus Streuobstbeständen. Die Initiative habe im vorigen Jahr 700 Tonnen Äpfel vermarktet, die von 450 Anlieferern aus dem Raum Heilbronn, Zabergäu, Beilstein, Ilsfeld, Oberstenfeld und anderen Orten beigesteuert wurden. "Wir organisieren den Transport zu den Mostereien gemeinsam, um ökologisch sinnvolle Lieferketten zu erzielen", so der pensionierte Lehrer aus Langenbrettach.
250 000 Liter Apfelsaft vermarkten die Mitglieder von Steinkauz jedes Jahr. Die Produkte sind unter anderem bei einem großen Handelsunternehmen in der Region, in Getränkefachgeschäften sowie bei den Besitzern der Streuobstwiesen in direkter Vermarktung erhältlich.
Wozu selbst Streuobstwiesen Geld benötigen
Straub und Koch sind überzeugt: Nur wenn Streuobst in die Verwertung gelangt, haben die wertvollen Bestände eine Chance, auch in Zukunft Pflege zu erfahren. Geld wird zum Beispiel benötigt, um Nachpflanzungen vorzunehmen. Gegen die modernen Obstplantagen sind die Streuobstwiesen freilich wirtschaftlich unterlegen. Dafür punkten sie mit Vielfalt. Allein auf Straubs Streuobstwiese befinden sich Dutzende von Sorten. Darunter so seltene und alte wie Öhringer Blutstreifling, Landsberger Renette, Weißer Boskop, Brettacher. Letzterer hat sich aufgrund seiner guten Eigenschaften als Tafelapfel weit über die Grenzen Brettachs hinaus etabliert.
"Groß, rotbackig, lagerfähig, ertragsstark, ein guter Backapfel", so Walter Koch. Ganz anders der Bitterfelder, der wegen seiner ausgewogenen Säure geschätzt wird. Für Familien mit Kindern sei die Goldparmähne gut geeignet: "Eher süß, ein Super-Tafelapfel", so der 67-jährige Langenbrettacher. Äpfel aus Streuobstwiesen seien auch für Apfel-Allergiker geeignet, sind sich Koch und Straub einig.
Jeder Baum wird als Individuum behandelt
Die Naturschützer schwärmen regelmäßig in Gruppenstärke oder einzeln mit Hänger, Leitern und Handsägen aus, um die Bäume zu beschneiden. Dabei betrachten Straub, Koch und deren Mitstreiter jedes Exemplar ganz individuell. Auch Bäume, die neuerdings häufiger am Schwarzen Rindenbrand erkrankt sind, werden längst nicht abgeschrieben. "Für uns ist es wie ein Kampf um jeden einzelnen Baum", so Jürgen Straub.
Auf diese Weise pflegen die Baumkümmerer auch Streuobstbestände in kommunalem Besitz sowie private Bestände im Auftrag deren Eigentümer. So ist Walter Koch für die Pflege der Streuobstwiesen der Stadt Heilbronn in den Altböllinger Höfen zuständig. In Frankenbach kümmert sich Jürgen Straub um die Streuobstwiesen des Hipfelhofs.
Wie Friedolin für mehr Bewusstsein sorgt

Einen anderen Weg, Streuobstbestände am Leben zu erhalten, wählen einige Kommunen im Heilbronner Land sowie der Kreis Hohenlohe. Mit Bändchen werden Bäume gekennzeichnet und zur öffentlichen Nutzung freigegeben. Zur Erntezeit dürfen diese dann mit ausdrücklichem Wohlwollen der Eigentümer von jedermann abgeerntet werden. Ähnliche Aktionen bieten unter anderem Eppingen, Ilsfeld, Oberstenfeld, Möckmühl, Bad Rappenau und Gundelsheim an.
Die Gemeinde Ittlingen ist dieses Jahr das erste Mal dabei. Gekennzeichnet werden dort vorerst nur kommunale Bäume, die auf öffentlichem Grund stehen, berichtet Hauptamtsleiterin Jana Gärtner. Die Gemeinde hat schon in der Amtszeit von Bürgermeister Achim Heck damit begonnen, Obstgehölze mit Hilfe von ehrenamtlichen Kräften zu pflegen. In Ittlingen kümmern sich Dieter Eilers und Uwe Freitag ehrenamtlich um die Streuobstbestände. Beide Hobby-Pomologen ziehen junge Bäume selbst nach und veredeln sie auch. Außerdem bietet Eilers an der Ittlinger Grundschule die Baumpatenaktion an: Jeder neue Jahrgang pflanzt einen Obstbaum in der Mulde und ist danach dann Pate für den Baum. Die Bäume werden mit der Jahrgangszahl gekennzeichnet und erhalten einen klingenden Namen, etwa "Fridolin".
Die Stadt Heilbronn hat rund 30 Hektar Streuobstwiesen an etwa 100 Standorten. Deren Pflege, einschließlich der Ernte, hat die Stadt an verschiedene Landwirte vergeben. Auf ihnen dürfen Heilbronner Kitas und Schulklassen im Rahmen des Projekts "AHA Alles Heilbronner Äpfel" ernten.




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