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"Extremisten heute aktiver denn je": Islamexperte zeigt sich wegen Kalifatsbewegung besorgt

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Eren Güvercin sieht auch Muslime in der Pflicht, sich gegen eine Kalifatsbewegung zu positionieren. Der Islamexperte referiert am Donnerstag in Heilbronn – und spricht an, was es aus seiner Sicht nun braucht.

Teilnehmer hielten bei der Demonstration am 27. April unter anderem ein Plakat mit der Aufschrift "Kalifat ist die Lösung" in die Höhe.
Teilnehmer hielten bei der Demonstration am 27. April unter anderem ein Plakat mit der Aufschrift "Kalifat ist die Lösung" in die Höhe.  Foto: Axel Heimken/dpa

In Hamburg haben Islamisten bei einer Demonstration jüngst ein Kalifat propagiert. Auch am Samstag gingen sie dort wieder auf die Straße. Nach Angaben des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz strahlt die Bewegung "Muslim Interaktiv" im virtuellen Raum auf Süddeutschland aus.

Salafisten sind auch in Heilbronn aktiv – sie eint der Wunsch nach einem schariakonformen "Gottesstaat" mit einem Kalifen als politische und religiöse Autorität an der Spitze. Religiöser Fanatismus wird auch in Heilbronn gerne übersehen, meint unser Autor Adrian Hoffmann. Der in Köln aufgewachsene Islamexperte Eren Güvercin, der am Donnerstag in Heilbronn spricht, zeigt sich besorgt. 

Islamexperte Eren Güvercin: Junge Muslime sollen indoktriniert werden

"Wir haben als deutsche Muslime eine große Verantwortung, aber wir stellen ihr uns zu wenig", sagt der 44-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion. Die politischen Verantwortlichen gingen gegen Akteure, "die unsere liberale Demokratie gefährden", zu wenig vor. "Muslim Interaktiv" organisiert. Diese sei seit Jahren in den sozialen Medien sehr aktiv und versuche, mit aufwendig produzierten Videos in allererster Linie junge Muslime zu indoktrinieren.

"Seit dem 7. Oktober merkt man, dass sie jetzt vermehrt diese indoktrinierten jungen Menschen für Demonstrationen mobilisieren", sagt Journalist und Autor Güvercin, der Mitglied der Deutschen Islamkonferenz der muslimischen Alhambra-Gesellschaft ist. Die Gesellschaft selbst "plädiert für einen Islam, der moderat Konservative ebenso mitnimmt wie Liberale und der Verbundenheit mit Deutschland als Normalität lebt – ohne mit Prägungen der Herkunftskultur zu brechen".

Islamexperte Eren Güvercin spricht in Heilbronn

Wie Güvercin weiter erklärt, wüssten viele nicht: Hinter der Plattform "Muslim Interaktiv" steckt die Hizb ut-Tahrir-Bewegung. Es handelt sich bei ihr um eine extremistische Kalifatsbewegung, die in Deutschland seit 2003 durch das Bundesinnenministerium mit einem Betätigungsverbot belegt ist. "Die Extremisten sind heute aber aktiver denn je." Sie agierten geschickt und nutzten zum Beispiel die Hip-Hop-Jugendkultur, um junge Menschen zu erreichen. "Sie schauen sich das ein Stück weit auch von der rechtsextremen Identitären Bewegung ab", sagt Güvercin.

Ziel der Hizb ut-Tahrir sei laut Selbstbeschreibung die "Befreiung" aller Muslime von "Unterdrückung" und ihre Vereinigung in einem weltweiten Kalifat, teilt ein Sprecher des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz mit. Mit Kalifat ist eine islamische Institution mit einem weltlich-religiösen Herrscher gemeint. Es umfasst das Herrschaftsgebiet eines Kalifen, der politischer und religiöser Führer sein soll.

Die Hizb ut-Tahrir-Anhänger sehen sich laut Verfassungsschutz "als Vorkämpfer gegen eine säkulare Ordnung, wobei Gewalt als offensives Mittel abgelehnt wird". Die virtuell verbreiteten Botschaften würden insbesondere in den islamistischen Szenen konsumiert, verfügten jedoch auch über Reichweite in die gesamte muslimische Gesellschaft.

"Muslim Interaktiv": Zuspruch in salafistischen Szenen

Die Narrative von "Muslim Interaktiv" wirken nach Einschätzung des Verfassungsschutzes desintegrativ und tragen zu einer Entfremdung junger Muslime von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bei. Sie fänden zugleich Zuspruch in salafistischen Szenen. 

Die Salafisten in der Bilal-Moschee in Heilbronn sind nach Ansicht von Eren Güvercin Akteure, "die zwar mindestens genauso problematisch sind, aber mit der Ideologie der Hizb ut-Tahrir haben sie wenig zu tun". Die islamistische Szene in Deutschland sei keine homogene Gruppe. Güvercin: "Da muss man sauber trennen." Der gläubige und gleichzeitig islamkritische Muslim wirbt für mehr muslimische Stimmen, "die sich öffentlich positionieren."

Mit der Hizb ut-Tahrir-Bewegung hat der Heilbronner Tugrul Selmanoglu, Lobbyist des türkischen Präsidenten Erdogan, zwar nichts zu tun. Aber auch er sprach im November vergangenen Jahres in einem Interview mit der Tagesschau davon, dass die Muslime endlich einen Kalifen benötigten. Er würde sich ein solches Kalifat unter der Führung Erdogans vorstellen, sagte er auf Nachfrage der Journalisten. Diese Aussage hatte auch in der Türkei empörte Reaktionen.

 
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