Interne Unterlagen: So schlimm steht es wirklich um die Neckarschleusen
Der Bund geht auf Distanz zur lange vereinbarten Verlängerung der Neckarschleusen, das Land pocht auf Umsetzung. Jetzt zeigen interne Unterlagen aus dem Bundesverkehrsministerium, wie dramatisch die Fachleute den Zustand der Wasserstraße einschätzen - und wie schlecht die Chemie zwischen Berlin und Stuttgart in dieser Frage ist.

Ref-WS11: Hinter dem Kürzel verbirgt sich das "Referat Management der Bundeswasserstraßen - Schwerpunkt Güterwasserstraßen" des Bundesverkehrsministeriums mit Dienstsitz in Bonn. Am 11. März 2022 schreiben die Ministerialen an Herrn Minister, Ressortchef Volker Wissing (FDP) , in Sachen "Neujustierung Bauprogramm" für den Neckar.
Und die Fachleute lassen es nicht an Deutlichkeit fehlen. Der Ausbau der 27 Neckarschleusen, der seit 2007 mit dem Land vereinbart und der auch für den Hafen Heilbronn von großer Bedeutung ist - aus Sicht der Fachleute ist er illusorisch. Der Aufwand sei "deutlich unterschätzt" worden, die Betriebssicherheit der Wasserstraße sei in Gefahr.
Referat im Ministerium fordert: Fokus auf Sanierung
Voller Fokus auf die Sanierung, lautet die Empfehlung. "De facto", so ist zu lesen, "kommt dies einer Aufgabe der Schleusenverlängerung am Neckar gleich". Investitionen in die Verlängerung seien "weder fachlich noch wirtschaftlich" zu rechtfertigen. Wolle man wirklich am Plan festhalten, die Schleusen von Mannheim aus bis 2035 und bis Stuttgart 2040 verlängert zu haben, müsse man quasi alle Schleusen-Baustellen parallel angehen. Mehrkosten von 150 Millionen Euro über Jahrzehnte seien einzukalkulieren, im betrachteten Zeitraum sind das mehr als zwei Milliarden Euro zusätzlich. Mit vorhandenen Ressourcen sei das Mammutprojekt nicht vor 2080 abzuschließen - in fast 60 Jahren.
Mehrkosten in Milliardenhöhe erwartet
Zur Einordnung: Im Bundesverkehrswegeplan für 2030 steht die Verlängerung der Neckarschleusen im vordringlichen Bedarf. Sie soll den Fluss für Schiffe mit einer Länge von 135 Metern schiffbar machen, bislang sind hier nur 105 Meter lange Frachter unterwegs. Die Reederbranche hatte sich wiederholt für den Ausbau stark gemacht. Genau 1,178 Milliarden Euro waren veranschlagt. Nach den neuen Erkenntnissen aber würde das hinten und vorne nicht reichen. Deshalb raten die Bonner Beamten zur "sofortigen Umsteuerung der Ressourcen auf sicherheitsrelevante Maßnahmen zur Betriebssicherheit des Neckars." Dazu bestehe "keine Alternative".
Stimme berichtet Anfang 2022 exklusiv
Minister Wissing nimmt die Vorlage am 29. März 2022 zur Kenntnis. Drei Wochen später berichtet die Heilbronner Stimme exklusiv darüber, dass der Bund auf Distanz zur seit 15 Jahren vereinbarten Verlängerung geht. Es folgen heftige Proteste aus Stuttgart und aus der Region Heilbronn, alle pochen darauf, die Vereinbarung einzuhalten. Der Ton zwischen Stuttgart und Berlin wird rauer. Nichts ist zu erkennen von der Einvernehmlichkeit, die sich die Bonner Berichterstatter wünschen. Sie schreiben: Der Zeitpunkt, "zu dem eine Aufgabe der Schleusenverlängerung öffentlich kommuniziert wird, ist in Absprache mit dem Land zu kommunizieren".
Rauer Ton zwischen Stuttgart und Berlin
Daraus wird nichts, der Streit eskaliert. Im Herbst 2022 treffen sich Vertreter von Neckarhäfen, Wirtschaft, Verwaltung und Politik in Heilbronn und unterzeichnen im Beisein von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) eine Erklärung. Sie bekräftigen die Forderung nach dem Ausbau. Wenig später, nach einem Treffen in Berlin, an dem auch Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel teilnahm, hört sich das anders an. Die Kommunen signalisieren, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen von ihrer Forderung nach einer Verlängerung abrücken könnten, rudern später etwas zurück. "Wir sind bei 135 Meter", zieht sich Mergel auf die Ausgangsposition zurück.
Alternativkonzepte und Heilbronner Gipfel-Pläne
Derweil prescht die Landes-FDP mit einem Konzept vor, nimmt statt der Schleusenverlängerung Koppelverbände ins Spiel, also aneinandergereihte Schiffe, die mit der bisherigen Infrastruktur klarkämen. Bewegung in die verfahrene Causa soll ein weiterer Heilbronner Hafen-Gipfel in diesem Jahr bringen. Der Termin steht noch nicht fest.
Katastrophaler Kosten-Nutzen-Faktor
Vor dem Hintergrund der Aussagen in der Ministeriumskorrespondenz scheint es aussichtsloser denn je, die ursprünglichen Pläne umzusetzen. An anderer Stelle heißt es aus demselben Referat: Das Nutzen-Kosten-Verhältnis der Schleusenverlängerung sei 0,6 - ein verheerender Wert. Eigentlich müssen Infrastrukturprojekte eine 1 erreichen - jedem investierten Euro stünde dann derselbe Nutzen gegenüber. "Der rechnerische Nachweis der Wirtschaftlichkeit der Schleusenverlängerung", heißt es, "kann nicht erbracht werden."