Heilbronner Landgericht verurteilt 22-jährige Mutter im Baby-Prozess zu drei Jahren Haft
Beim Prozess um den bei Schwäbisch Hall ausgesetzten Säugling wandern Heilbronner Richter auf einem schmalen Grat. Sie geben der Mutter eine zweite Chance.

Freudentränen, Schluchzen und Umarmungen - die Erleichterung bei den Angehörigen auf den Zuschauerplätzen war förmlich mit Händen zu greifen. Auch die 22-Jährige auf der Anklagebank konnte ihre Emotionen nicht verbergen. Im Prozess um das im September vergangenen Jahres bei Schwäbisch Hall ausgesetzte Baby hat das Landgericht Heilbronn am Mittwoch die Angeklagte zwar zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Den Haftbefehl für die Untersuchungshaft hob das Gericht aber auf. "Sie können also heute erst einmal nach Hause gehen", sagte Roland Kleinschroth als Vorsitzender Richter der Schwurgerichtskammer.
Richter sehen Vorwurf des versuchten Totschlags nicht
"Es war eine Gratwanderung", sagte Kleinschroth. Am Ende folgten die Richter dem in der Anklage erhobenen Vorwurf des versuchten Totschlags aber nicht. Die Kammer sieht in der Tat vielmehr "eine Aussetzung des Kindes". Dafür kommen ein bis zehn Jahre Gefängnis in Betracht. Die Heilbronner Richter entschieden sich für drei Jahre Haft. "Wir halten die Strafe für erforderlich, sagte der Vorsitzende Richter. Das Urteil sei Strafe und Chance zugleich.
Verwandte und Lebensgefährte der Mutter waren ahnungslos
Im September vergangenen Jahres hatte die 22-Jährige ihr neugeborenes Baby an einem Waldrand bei Schwäbisch Hall-Hessental in einer Wanne ausgesetzt, nachdem sie es zuvor daheim auf die Welt gebracht hat und anschließend zur Arbeit gefahren ist (unsere Zeitung berichtete). Von ihrer Schwangerschaft habe sie bis zur Geburt nichts gemerkt. Auch ihre Verwandten und ihr Lebensgefährte sind ahnungslos gewesen. "Wir haben vom Sachverständigen in der Verhandlung gehört, dass so etwas möglich ist", sagte Kleinschroth.
Passantin und Klinik retten Säugling das Leben
Die häusliche Geburt hat sie verheimlicht und das Kind am Waldrand ausgesetzt. Wäre das Kind nicht gefunden worden, hätte es die Nacht nicht überlebt. "Sie waren in der Nähe zu einem versuchten Tötungsdelikt", sagte Kleinschroth in seiner mehr als einstündigen Urteilsbegründung. Die Passantin, die das Kind gefunden hat, und die Ärzte im Schwäbisch Haller Krankenhaus hätten das Leben des kleinen Jungen gerettet, so der Richter.
Beschönigte Version der Geschichte erfunden
Gleichzeitig habe die Verurteilte aber auch Verantwortung gezeigt. Immerhin hat sie vor der Tat unter anderem Nahrung, Windeln und Schnuller gekauft und mit in die Wanne gelegt. Einen Monat später stellte sie sich der Polizei. Nach Auffassung des Gerichts hat sich die Mutter zu diesem Zeitpunkt aber bereits eine beschönigte Version der Geschichte zurechtgelegt. Die Richter gehen davon aus, dass sie damit die Tat dem Umfeld irgendwie erklärbar machen wollte. Am Ende hielt ihre Version aber in mehreren Punkten den polizeilichen Ermittlungen nicht stand. Nach Auffassung der Kammer hat die Verurteilte ihre Geschichte im Laufe der Verhandlung an die jeweilige Beweislage angepasst.
So folgte das Gericht auch nicht der Schilderung, die 22-Jährige habe am selben Abend noch einmal nach dem Säugling geschaut. Die Kammer ist vielmehr davon überzeugt, dass sie erst am nächsten Tag noch einmal zurückgefahren ist.
Junge hat keine sichtbaren Schäden davon getragen
Das Kind lebt mittlerweile bei Pflegeeltern. Der leibliche Vater bemüht sich um das Sorgerecht. Ein Familiengericht hat entschieden, dass er sein Kind sehen und ihn dabei auch dessen leibliche Mutter begleiten darf. Der Junge sei offenbar gesund und habe keine sichtbaren Schäden davon getragen, so Richter Kleinschroth.
Richter: "Sie haben das Kind im Stich gelassen"
Ob sich im Laufe der Jahre aber psychische Probleme entwickeln, könne nicht ausgeschlossen werden. Der Junge kam am 7. September auf die Welt. Hilf-und wehrlos - in der Hoffnung, dass er willkommen aufgenommen wird, so Kleinschroth. Stattdessen wurde er ausgesetzt. "Sie haben das Kind im Stich gelassen", sagte Roland Kleinschroth.
Verteidigerin spricht von Fluch und Segen
Die Erste Staatsanwältin Sara Oeß ließ nach der Verhandlung offen, ob sie in Revision gehen wird. Für die Verteidigerin Anke Stiefel-Bechdolf ist das Urteil "Fluch und Segen zugleich". Für sie sei das Urteil zu hart. Aber nachdem die verurteilte Mutter nach der Verhandlung erst einmal nach Hause gehen darf, "scheint für die Familie jetzt erst einmal die Sonne", so die Verteidigerin.
Haftverbüßung
Seit Oktober saß die Verurteilte in Untersuchungshaft. Diesen Haftbefehl hat das Heilbronner Landgericht aufgehoben. Die 22-Jährige konnte also erst einmal nach Hause. Von den ausgesprochenen drei Jahren Haft muss sie voraussichtlich zwei Jahre absitzen. Das letzte Drittel der Haftstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Die mehr als siebenmonatige Untersuchungshaft wird angerechnet. Wann und unter welchen Bedingungen die Verurteilte später ihre Haft antreten muss, verhandelt jetzt die Verteidigung mit dem Strafvollzug der Staatsanwaltschaft.