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Gewalt prägt Kinder für ihr ganzes Leben

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Schläge, Fußtritte, Ohrfeigen und seelische Verletzungen prägen Menschen ein Leben lang. Hinweise und Anzeigen auf Kindesmisshandlungen in der Region nehmen zu. Wie kann man Anzeichen frühzeitig erkennen und betroffenen Kindern helfen?

Wenn Klinik- und Hausärzte, Lehrer und Erzieher auf Anzeichen von Misshandlungen aufmerksam werden, handelt es sich in der Regel nicht um falsche Anschuldigen. Foto: dpa
Wenn Klinik- und Hausärzte, Lehrer und Erzieher auf Anzeichen von Misshandlungen aufmerksam werden, handelt es sich in der Regel nicht um falsche Anschuldigen. Foto: dpa  Foto: Karl-Josef Hildenbrand (dpa)

Ein Baby wird von den Eltern so geschüttelt, dass es stirbt. Ein Grundschüler erscheint mit blauen Flecken im Unterricht. In der Kinderklinik untersucht ein Arzt ein Kleinkind und fragt sich, ob die Knochenbrüche vom Sturz vom Wickeltisch stammen. Fälle wie diese, auch aus der Region Heilbronn, beschäftigen Professor Dr. Kathrin Yen in der Gewaltambulanz des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin der Universität Heidelberg.

"Wir können ganz neutral begutachten", sagt Yen. Sie und ihr Team gehen Kindesmisshandlungen auf den Grund. "Viel passiert aus Überforderung", sagt die Ärztliche Direktorin. "Es gibt aber auch Umfelder, die nicht für Kinder geeignet sind." In der Region wird mehrmals in der Woche jemand auf Kindesmisshandlung aufmerksam und meldet dies entsprechenden Stellen.

Blaue Flecken und Verletzungen hinterfragen

Vor wenigen Tagen sorgte ein Vorkommnis in Heilbronn im Krankenhaus am Gesundbrunnen für Aufruhr. Ein Vater drohte damit, sich und seinem zweijährigen Sohn etwas anzutun. Die Polizei griff mit einem Großaufgebot ein. Die Ermittler gehen unter anderem der Frage nach, ob der Mann das Kind zuvor misshandelt hat. Entsprechende Hinweise lagen vor. Immer wieder sorgen derartige Meldungen und Gerichtsprozesse deutschlandweit für Schlagzeilen. So wurde eine 44-Jährige vom Landgericht Hannover zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil sie ihre Tochter in eine Hundebox gesperrt und mit einem elektrischen Hundehalsband misshandelt haben soll.

Gewalt spielt sich meist im sozialen Umfeld ab. Blaue Flecken oder Verletzungen hinter den Ohren, an den Wangen, am Hals, an der Innenseite von Oberarmen oder Beinen oder am Rücken können ein Hinweis auf Misshandlungen sein, macht Yen deutlich. Auch bei Verbrühungen etwa bei kleinen Kindern sollte man genau hinschauen. Yen appelliert besonders an Ärzte und Mitarbeiter von Jugendämtern, das Bauchgefühl zuzulassen.

Im Landratsamt gehen mehr Hinweise ein

"Wir merken deutlich, dass die Zahl der Hinweise zunimmt", sagt Annette Hussy, stellvertretende Leiterin des Jugendamts im Landratsamt Heilbronn. Dass es sich dabei um falsche Anschuldigungen handele, komme vor, sei aber nicht die Regel. Mit etwa 100 Fällen von physischer und psychischer Gewalt gegen Kinder haben es ihre Mitarbeiter im Jahr zu tun. Klinik- und Hausärzte würden aufmerksam, Lehrer und Erzieher melden ihre Beobachtungen. Sie horchen auf, wenn sich Knochenbrüche nicht schlüssig erklären lassen oder Zigaretten auf dem Handrücken eines Kindes ausgedrückt wurden, nennt Hussy Beispiele.

306 Meldungen sind vergangenes Jahr beim Jugendamt der Stadt Heilbronn eingegangen, sagt Amtsleiter Achim Bocher. Bei etwa zehn bis 15 Prozent dieser Hinweise habe eine konkrete Kindeswohlgefährdung vorgelegen und ein entsprechendes Verfahren sei eingeleitet worden. Mit diesen Zahlen liege Heilbronn im Vergleich zu anderen Städten mit ähnlicher Struktur in Baden-Württemberg auf dem hintersten Rang. Bocher führt die vergleichsweise niedrige Zahl auf ein Bündel präventiver Maßnahmen zurück. So stamme der Großteil der Hinweise von Fachpersonal in der Betreuung wie etwa Schulsozialarbeit. Die gebe es nur an vier Schulen nicht. "Wir wollen alle unsere Instrumente fortlaufend weiterentwickeln und schauen, welche Kapazitäten wir brauchen", sagt Bocher.


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Gewalt ruft massive Schäden hervor

Schläge, Fußtritte, Ohrfeigen und seelische Verletzungen prägen Menschen ein Leben lang. "Gewalt hinterlässt massive Schäden bei Kindern", sagt Yen. "Wir sehen Kinder auch sterben", meint sie und denkt dabei zum Beispiel an das Schütteltrauma bei Säuglingen. Wie Kinder auf Misshandlungen reagieren, ist unterschiedlich. "Manche haben verlernt zu weinen und zu schreien, wenn sie Schmerzen erfahren." Für Opfer sei außerdem die fehlende Unterstützung des anderen, nicht gewalttätigen Elternteils, schwer zu verkraften. Zu erleben, wie dieser zuschaut und sich nicht schützend vor einen stellt. Mit den Folgen haben Betroffene oft noch im Erwachsenenalter zu kämpfen. Sie haben beispielsweise ein größeres Risiko an Depressionen oder Essstörungen zu erkranken. Es besteht zudem die Gefahr, dass sie später selbst gewalttätig werden.

Annette Hussy zufolge beeinflussen verschiedene Dinge, dass Eltern ihre Kinder schlagen. Zu ihnen zählen eine Drogensucht oder die Störung der Impulskontrolle, soziale Faktoren wie Armut, beengter Wohnraum und Isolation. Wenn eine Familie völlig auf sich allein gestellt und niemand da ist, der sagt, er nehme einem die Kinder mal ab. Wenn dann das Kind viel Pflege und Aufmerksamkeit beansprucht, kann eine Stresssituation eskalieren. "Oft ist es ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren", sagt Hussy.

Daten und Fakten

Die Kriminalstatistik verzeichnet für das vergangene Jahr 3430 Fälle von Kindesmisshandlung in Deutschland. Die Polizei geht von einer hohen Dunkelziffer nicht angezeigter Straftaten aus. Die Taten werden in erster Linie in der Familie verübt und die Opfer sind zu klein und zu hilflos, um auf sich aufmerksam zu machen. Ältere misshandelte Kinder schweigen oft aus Scham.

Das Polizeipräsidium Heilbronn verzeichnet mehr Anzeigen wegen Kindesmisshandlungen. Die Zahl steigt von zwölf im Jahr 2017 auf 26 im vergangenen Jahr. Wurde 2017 in der Stadt Heilbronn ein Fall angezeigt, waren es drei im darauffolgenden und sechs im vergangenen Jahr. Im Landkreis Heilbronn stieg die Zahl von sieben auf neun in diesem Zeitraum, im Hohenlohekreis von zwei auf vier.

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