"Geht so nicht weiter": Was ausufernde Bürokratie für Kommunen in der Region bedeutet
Flüchtlinge, Personalnot, immer neue Regeln: Die Kommunen sehen sich bei ihrer Fülle von Aufgaben zunehmend allein gelassen. Klaus Holaschke und Björn Steinbach, die Vertreter des Landkreises Heilbronn beim Gemeindetag Baden-Württemberg, schlagen Alarm.

Die Flüchtlingsunterbringung stellte die Kommunen schon Anfang 2022 vor große Probleme, da herrschte noch kein Krieg in der Ukraine. Wie ist die Situation im Moment?
Klaus Holaschke: Sehr angespannt. Zuletzt ist auch eine Schulsporthalle in Neckarsulm mit geflüchteten Menschen belegt worden. Jetzt geht es in die Hallen, die wir für Vereine, Schulen und kulturelle Veranstaltungen brauchen.
Björn Steinbach: Zum Glück haben wir eine herausragende Beteiligung von privater Seite, sonst wären wir schon früher zu den Hallen gekommen. Die Planung ist schwierig für die Kommunen. Wenn wir Container bestellen wollen, haben wir einen Vorlauf von einem Jahr.
Was erwarten Sie für die kommenden Monate?
Steinbach: Bislang gab es breite Unterstützung und Bereitschaft, sich um Flüchtlinge zu kümmern. Es besteht aber die Gefahr, dass das Verständnis in der Bevölkerung schwindet, wenn wir Hallen belegen müssen. Das beobachtet man, seit die finanziellen Belastungen steigen, Energie immer teurer wird.
Holaschke: Die Herausforderungen werden größer, gerade in den Kitas. Da gibt es Wartelisten, die ukrainischen und geflüchtete Kinder anderer Nationen kommen dazu. Die sollten dringend eine besondere Sprachförderung bekommen. Das alles ist kaum zu stemmen. Es ist, wie wir schon im September sagten: Die Belastungsgrenze ist erreicht.
Was brauchen die Kommunen, um mit diesen Aufgaben klarzukommen?
Holaschke: Da muss man den Bogen weiterspannen. Wir brauchen eine europäische Lösung bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Das können Deutschland, Polen und wenige weitere Länder nicht allein stemmen. Für eine solche solidarische Idee steht meiner Ansicht nach die EU.
Steinbach: Aber eine europäische Lösung ist nicht in Sicht. Man muss auch diskutieren, inwieweit deutsche Alleingänge sinnvoll sind. So werden hier Ukraine-Flüchtlinge nicht mit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern mit mehr Geld aus der Grundsicherung unterstützt - der sogenannte Rechtskreiswechsel. Dass Nachbarländer solche Sonderwege kritisch sehen, kann man auch verstehen.
Die Lage an den Kitas haben wir schon angesprochen. Der Gemeindetag sagt schon länger, die hohen Standards sind mit der Personalausstattung nicht zu halten. Jetzt ist es möglich, zwei Kinder pro Erzieherin zusätzlich in einer Gruppe unterzubringen. Ein richtiger Schritt?
Holaschke: Ja. Die Standards sind in Baden-Württemberg nach wie vor im Bundesvergleich am höchsten. Die Überschreitung der Fachkräfteschlüssel ist immer nur befristet, im Prinzip ist das auch richtig so. Jetzt mussten wir wieder für eine Verlängerung eintreten. Das ist keine Perspektive. Die Kommunen müssen ihre Aufgaben erledigen - und nicht immer dieselben Diskussionen führen. Am Ende stehen wir dann wieder vor der zentralen Frage: Öffnungszeiten kürzen, kurzfristig aufgrund Personalmangel Gruppen zu schließen. Das ist für uns im Sinne der Eltern und unserem Personal keine Perspektive.
Den rechtlichen Anspruch für Grundschulkinder auf Betreuung halten Sie für einen Irrweg?
Holaschke: Der Präsident (des Gemeindetages Steffen Jäger) hat richtig gesagt: Es geht um mehr Tun und weniger Rechtsanspruch. Sonst fallen wir irgendwann wieder in eine Situation zurück, in der wir gar keine Betreuung mehr leisten können. Siehe dazu meine Ausführungen zu den Kindertagesstätten.
Steinbach: Wenn ich an den Standards festhalten will und das Personal fehlt, dann muss ich an die Betreuungszeiten ran. Die zwei Kinder mehr pro Gruppe sind sicher vertretbar, das ist aber befristet, im Frühjahr haben wir das Problem wieder. Da hätten wir gerne Planungssicherheit.
Haben Sie schon Betreuungszeiten reduziert?
Steinbach: Reduziert nicht. Wir haben aber den weiteren Ausbau gestoppt, weil wir kein Personal finden. Es ist ein Mangelberuf. Wenn wir Stellen ausschreiben, finden wir Leute für Arbeitszeiten bis 13.30 Uhr vielleicht, aber danach nicht mehr.
Manche Gemeinden im Landkreis bezahlen Erzieherinnen übertariflich. Geht es nicht mehr anders?
Steinbach: Ich weiß, dass es einzelne Gemeinden gibt, die das machen. Wir sitzen alle in einem Boot. Wenn die einen das Lohnniveau nach oben ziehen, kann das nicht die Lösung sein.
Holaschke: Es betrifft nicht nur die Erzieherberufe. Fürs Sozialamt oder für das Ausländeramt finden wir bei uns in der Stadt nicht ausreichend Bewerber und Bewerberinnen. Trotzdem bin ich absolut dafür, dass wir tariftreu sind. Ein Überbietungswettbewerb ist keine belastbare Lösung.
Ludwigsburg verhängt jetzt Strafen gegen Eltern, die ihre Kinder zu spät abholen und so die strapazierten Öffnungszeiten eigenhändig ausdehnen. Verstehen Sie das?
Holaschke: Ich will das gar nicht kritisieren, was Ludwigsburg macht. Das ist doch ein Aufschrei, wenn man zu solchen Mitteln greifen muss. Und ein deutlicher Appell an einige Eltern, sich an die Öffnungszeiten in den angespannten Situationen zu halten.
Gibt es keinen Aufschrei in den Einrichtungen, wenn die Arbeitsbedingungen härter und Gruppen größer werden?
Holaschke: Selbstverständlich, und wir nehmen dies sehr ernst. Doch es ist wie überall: 80 Prozent ziehen den Karren, und 20 Prozent sind am Meckern.
Kommunen klagen über ausufernde Bürokratie. Wie sieht es mit dem neuen Wohngeld aus?
Holaschke: Wir gehen von einer Verdreifachung der Anträge aus. Das entspricht einem Bedarf an Personal, das wir nicht haben. Wir wollen nicht, dass jemand ein Dreivierteljahr auf sein Wohngeld warten muss. Aber wir brauchen mehr Vorlauf, das wurde wieder sehr kurzfristig beschlossen. Und wir brauchen einen vollen Kostenersatz vom Bund.
Kommunen müssen Personal suchen, und sie müssen es bezahlen. Wie steht es um die Finanzen?
Steinbach: Natürlich sind wir dankbar für die Unterstützung des Landes, etwa bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Aber wir haben vielfältige Aufgaben dazu bekommen, das Einnahmenniveau von vor Corona aber nicht erreicht. Ich glaube, dass kaum eine Kommune die Abschreibungen erwirtschaftet. Das ist aber das Haushaltsrecht so vorgesehen.
Holaschke: Unsere Personalkosten steigen unaufhaltsam. Neue Kindergartenplätze, neue Stellen bei der Digitalisierung, die Liste könnte ich weiterführen. Wir haben richtig gutes Personal, die Verwaltung funktioniert. Aber sie wird durch unnötige Dinge belastet. Nehmen wir die Umsatzsteuer, die auch Kommunen auf manche Leistungen erheben sollen. Dann war zu hören, das wird gestoppt. Ein Bürokratiemonster. Oder das Online-Zugangsgesetz. Mit solchen Dingen beschäftigen wir uns, obwohl wir seit Jahren als Krisenmanager gefragt ist sind.
Wie sieht ein Ausweg aus immer noch mehr Bürokratie aus?
Holaschke: Jede Stelle in der Ministerialbürokratie arbeitet an ihrer Rechtfertigung. Stets kommen neue Vorschriften hinzu, aber seit Jahren sprechen die Verantwortlichen in Europa, Bund und Land vom Bürokratieabbau. Deshalb verfechten wir den Grundsatz: One in, one out. Wenn eine neue Vorschrift geschaffen wird, muss dafür eine Vorschrift entfallen.
Steinbach: Wir wissen manchmal gar nicht, wer für welche Regel verantwortlich ist. Ich hab zunehmend das Gefühl, dass es eine Abkoppelung zwischen den politischen Ebenen gibt. Es driftet auseinander zwischen denen, die Entscheidungen treffen, und denen, die sie ausführen müssen. Das kann so nicht weiter gehen.



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