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Für kleine Patienten ist immer zu wenig Geld da

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Peter Ruef, Leiter der SLK-Kinderklinik Heilbronn, der Kinderarzt Hans Ulrich Stechele sowie der Orthopäde Boris Brand stellen der Politik ein schlechtes Zeugnis aus. Beim Stimme-Forum fordern sie ein komplettes Umdenken.

Ist das Kind krank, suchen Eltern immer öfter einen Arzt oder die Kinderklinik auf: Das führt bei Medizinern zu veränderten Rahmenbedingungen, auf die die Gesundheitspolitik keine ausreichenden Antworten hat. Das System ist am Rand seiner Leistungsfähigkeit.
Ist das Kind krank, suchen Eltern immer öfter einen Arzt oder die Kinderklinik auf: Das führt bei Medizinern zu veränderten Rahmenbedingungen, auf die die Gesundheitspolitik keine ausreichenden Antworten hat. Das System ist am Rand seiner Leistungsfähigkeit.  Foto: mbt_studio/stock.adobe.com

Deutliche Worte finden Peter Ruef, Hans Ulrich Stechele und Boris Brand beim Thema "Notstand in der Kinder- und Jugendmedizin". Die Fachärzte üben scharfe Kritik am deutschen Gesundheitswesen.

Im Gespräch mit Stimme-Redakteurin Valerie Blass sprechen sie über Kinderarztpraxen am Anschlag, lange Wartezeiten und verzweifelte Eltern. Über Personalmangel, eine veränderte Haltung zum Beruf und den bevorstehenden Winter.

SLK-Kinderklinikchef rechnet mit heißem Winter

"Mit einer ähnlich schlimmen Situation wie voriges Jahr", rechnet Peter Ruef in dieser Saison. Influenza und Atemwegserkrankungen: "Das kann jederzeit explodieren", sagt er. "90 Prozent ist Akutmedizin und damit nicht planbar", nennt er das größte Problem seines Fachbereichs: "Es kann daher gut sein, dass es diesen Winter wieder brennt."

Während die SLK-Kinderklinik es aktuell schafft, alle ihre Patienten zu versorgen, spitzt sich die Lage andernorts bereits zu: "Wir haben schon jetzt Anfragen aus anderen Landkreisen", so Ruef. Ein hoher Bedarf auf der einen Seite trifft auf einen relativ hohen Krankenstand bei klinischem Personal auf der anderen Seite: "Und Corona ist noch nicht vorbei."

Das Bild, das die Fachärzte beim Stimme-Forum von der Zukunft der Kinder- und Jugendmedizin zeichnen, ist düster. Von einem nicht mehr funktionierenden System und einer nicht zeitgemäßen Bedarfsplanung für die vertragsärztliche Versorgung spricht Hans Ulrich Stechele. "Junge Mediziner arbeiten heute keine 60 bis 70 Stunden mehr in selbstausbeuterischer Art und Weise."

 


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Aufopferung in der Medizin – Diese Zeit ist vorbei

Die Zeit einer aufopferungsvollen Florence Nightingale, Begründerin der modernen Krankenpflege, sei vorbei, sagt Peter Ruef. Medizinisches Personal arbeite heute, um die Familie zu ernähren. Die Bedarfsplanung gibt auf diese gesellschaftlichen Veränderungen jedoch keine Antwort. "Sie dient den Kassen lediglich dazu, Geld zu sparen", so Stechele.

Das System blute aus. Die Politik sei gefragt. "Jeder weiß, dass die ambulante und stationäre Kinderheilkunde chronisch unterfinanziert ist", sagt Ruef. Das betreffe alle Fachgruppen, betont Stechele.

Als maximalen Brennpunkt bezeichnen er und seine Kollegen die Kinder- und Jugendpsychosomatik. Aber auch die HNO-ärztliche Versorgung gehöre zu den am schlechtesten vergüteten Leistungen: "Die Augenheilkunde ist eine echte Liebhaberbeschäftigung", sagt Hans Ulrich Stechele: "Viele Praxen nehmen gar keine Kinder und Jugendliche mehr auf."

Praxen und Kliniken sind letztlich Wirtschaftsunternehmen. Der Zeitbedarf, den ein Arzt für die Behandlung von Kindern habe, sei wesentlich höher als der bei Erwachsenen, betont Boris Brand. "Und sie haben immer besorgte Eltern dabei." Die Behandlung - etwa eines Klumpfußes - sei aufwendig.

"Es gibt daher Leistungen, die wir als Orthopäden nicht mehr erbringen, und die nun von den Kinderärzten übernommen werden." Der Grund, warum sein Fachbereich etwa die Hüftsonographie weitgehend abgegeben habe: "Es rechnet sich nicht."

 


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Gute Stimmung trotz des ernsten Themas: Die Ärzte Dr. Boris Brand, Dr. Hans Ulrich Stechele und Professor Peter Ruef (von links) diskutierten mit Stimme-Gesundheitsexpertin Valerie Blass über den „Notstand in der Kinder- und Jugendmedizin“. Foto: Lina Bihr (klein) dpa (groß)
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Kindermedizin ist aufwändiger als normale Medizin

Die Personalkosten für die Behandlung von Erwachsenen liegen laut Brand bei 60 Prozent, bei Kindern bei 85 Prozent. "Der Zeitbedarf für die Aufklärung von kleinen Patienten ist nicht abbildbar."

Ganz allgemein beklagt Brand, von Valerie Blass danach gefragt, die Geringschätzung der Kinderorthopädie. Dabei habe man durch diesen Fachbereich noch die Möglichkeit der Wachstumslenkung im frühen Alter.

So könne man Folgekosten vermeiden: "Kinderorthopädie erfordert eine zusätzliche Ausbildung. Ich kenne viele Kollegen, die dazu bereit wären. Aber wenn es sich finanziell in ihrer Praxis nicht abbilden lässt, dann lassen sie es bleiben."

Auch die Prävention schneidet bei der Vergütung schlecht ab: Die Beratung bei Übergewicht etwa koste Zeit, die keiner bezahlt, betont Hans Ulrich Stechele. "Ein Gespräch über ein Präventionsthema muss ich umsonst erbringen."

"Wenn man dafür draufzahlt, dass man einen Patienten behandelt, kann man das in einer wirtschaftlich arbeitenden Praxis nicht mehr verantworten", betont auch Peter Ruef.

Kliniken rechnen anders als Arztpraxen

In einer Klinik habe man eine etwas andere Situation durch mehr Fachgebiete: "Allerdings finde ich den Begriff der Querfinanzierung fürchterlich." Das Grundübel der modernen Krankenhauspolitik sei: "Das, was mehr bringt, wird auch gemacht."

Das Nachwuchsproblem drückt alle gleichermaßen: Schon heute würden sich junge Ärztinnen und Ärzte lieber anstellen lassen, als die Verantwortung für eine eigene Praxis zu übernehmen. Aus gutem Grund: Ein niedergelassener Kinderarzt mit eigener Praxis verdiene heute weniger als ein angestellter Oberarzt an einer Klinik. Der Beruf verliert insgesamt an Attraktivität. Personal fehlt. Irgendwann breche die Versorgung zusammen - diese Befürchtung äußert Peter Ruef. "Letztlich geht es ums Geld", betont Boris Brand: "Darüber wird alles gelenkt - und so lenkt man auch uns."

Ob es um schlecht bezahlte Nachtdienste in den Krankenhäusern oder die Vergütung von Kinderärzten geht, die sich laut Stechele eher am unteren Ende der Verdienst-Skala für Ärzte bewegt: "Es wird uns viel zu schwer gemacht."

Die Sorge, dass immer mehr Praxen in der Fläche wegfallen, treibt alle um. "Das ganze System muss neu gedacht werden", fordert Boris Brand. Denn: "Für dieses Geld finden wir keine Leute mehr. Das ist die Realität."

 


Zu den Personen

Professor Dr. Peter Ruef ist Chefarzt der SLK-Kinderklinik in Heilbronn. Der Heilbronner Kinderarzt Dr. Hans Ulrich Stechele ist Sprecher der Kinderärzte in der Region. Dr. Boris Brand ist Orthopäde in Neckarsulm und Vize-Vorsitzender des Berufsverbands der Orthopäden und Unfallchirurgen im Land (BVOU).

Stimme-Redakteurin Valerie Blass befragt die Ärzte (von links): Boris Brand, Hans Ulrich Stechele und Peter Ruef zum Thema "Notstand in der Kinder- und Jugendmedizin".
Stimme-Redakteurin Valerie Blass befragt die Ärzte (von links): Boris Brand, Hans Ulrich Stechele und Peter Ruef zum Thema "Notstand in der Kinder- und Jugendmedizin".  Foto: Bihr, Lina
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