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Familie aus Gundelsheim: Verzweifelte Suche nach einem Kinderarzt

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Familie Zabinski aus Gundelsheim rief bei allen Praxen in der Umgebung an. Kein Kinderarzt hatte einen Platz frei. Außer eine Praxis im 35 Kilometer entfernten Buchen im Neckar-Odenwald-Kreis.

Nicht jeder kleine Patient findet einen Platz.
Nicht jeder kleine Patient findet einen Platz.  Foto: Rostislav Sedlacek/stock.adobe.c

Die Suche nach einem Kinderarzt begann für Jasmin und Marco Zabinski bereits zwei Monate vor der Geburt ihrer Tochter Helena. Niemand hatte mehr einen Platz für sie frei. Dann, wenige Tage nach der Geburt und noch vom Krankenhaus aus, versuchten die frischgebackenen Eltern aus dem Gundelsheimer Teilort Bernbrunn erneut ihr Glück. Und wieder folgte eine Absage auf die nächste.


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Weil Helena fünf Wochen zu früh geholt wurde, sei es aber umso wichtiger gewesen, nach dem Aufenthalt im Krankenhaus gleich zu einem Kinderarzt zu können, erklärt Jasmin Zabinski - wegen der Gelbsucht. "Ohne einen Kinderarzt-Termin hätten wir gar nicht die Klinik verlassen dürfen", sagt sie. Die 28-Jährige und ihr 31-jähriger Mann riefen bei zahlreichen Kinderarztpraxen im gesamten Umkreis an: Bad Rappenau, Bad Friedrichshall, Möckmühl, Seckach, Mosbach, Neckarbischofsheim, Neckarsulm und Heilbronn. Überall bekamen sie ähnliche Antworten. "Irgendwann habe ich dann meinen Mann gefragt, ob er weitersuchen kann", sagt Jasmin Zabinski. "Ich war verzweifelt und hätte sonst noch einen Heulkrampf bekommen."

Freundliches Arztpersonal, aber ablehnend

Marco Zabinski berichtet, die vielen Absagen hätten auch ihn verärgert. Das Personal am Telefon sei freundlich gewesen, aber eben ablehnend. Mit dem Kinderarzt in Buchen seien sie nun sehr zufrieden. Es sei eine tolle Praxis und ein toller Arzt - aber die Entfernung sei enorm. Einfache Wegstrecke von Bernbrunn nach Buchen: 35 Kilometer. Fahrtzeit mindestens 40 Minuten. Bisher waren sie seit der Geburt nur zu U-Untersuchungen dort. Wenn ihre Kleine mal richtig krank ist, kann die Fahrt heiter werden. "Wir sind es ja in Bernbrunn gewohnt zu fahren, sagt Zabinski, "aber alles hat seine Grenzen."


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Ärzte kritisieren jahrelange Sparpolitik

Für Dr. Peter Abend, Allgemeinarzt in Gundelsheim, sind die Ursachen dieser Entwicklung klar. "Seit Jahrzehnten wird in Deutschland das Gesundheitssystem dem Diktat der Kostendämpfung unterworfen", sagt der 75-Jährige. "Die Folgen dieser staatsdirigistischen Maßnahmen sind bisher an den Patienten fast spurlos vorbeigegangen." Jetzt würden diese deutlich spürbar. "Mangel an Kinderärzten, Mangel an Hausärzten, Mangel an Medikamenten, diese Liste lässt sich fast beliebig fortsetzen." Es sei an der Zeit, zumindest die Hauptursache der Entwicklungen deutlich zu benennen. Andere Ärzte sehen das ähnlich. "Das Schlimme ist, dass der Engpass an kinderärztlicher Versorgung nicht mehr nur ein Landproblem ist, sondern auch zunehmend die Städte trifft", sagt Dr. Wolfgang Schober, Kinderarzt in Heilbronn.

Helenas Kinderarzt Dr. Pierre Mahlik aus Buchen erklärt, es sei eine zunehmende Belastung für sie, wenn Patienten aus anderen Kreisen zu ihnen kämen. Er habe Familie Zabinski aufgenommen, "weil die Eltern verzweifelt waren". Mehr oder weniger seien sie eine Ausnahme, sagt Mahlik, und ergänzt: "Diese Ausnahmen sind gar nicht mehr so selten." Er bedaure die Entwicklung, dass Eltern immer öfter mit einer "Entschuldigungshaltung" in die Praxis kämen aufgrund der aktuellen Situation. "Niemand muss sich entschuldigen, weil sein Kind krank ist", sagt Mahlik. Der 49-Jährige ist kein Mann, der die Zustände beklagen möchte. Er sagt, er möchte keinen anderen Job haben. Auf dem Land seien Kinderärzte schon immer sehr gefragt. Aber: Auf ältere Kinderärzte folgten oftmals keine nach. Die jüngeren Kollegen würden mehr Wert auf "Work-Life-Balance" legen und bevorzugten das Angestellten-Dasein.

Kinderarzt in Gundelsheim - wohl Utopie

Familienglück mit Kinderarzt-Problem: Jasmin und Marco Zabinski mit Tochter Helena.
Familienglück mit Kinderarzt-Problem: Jasmin und Marco Zabinski mit Tochter Helena.  Foto: Hoffmann, Adrian

Das Ehepaar Zabinski war immer davon ausgegangen, auch einen rechtlichen Anspruch auf einen Behandlungsplatz zu haben. Das ist in der Theorie auch so. Doch wenn Praxen überfüllt sind, können Ärzte eine Aufnahme ablehnen. Marco Zabinski, im Berufsleben Prüfingenieur bei Dekra, schildert, in einer Praxis habe er darum gebeten, nur zur ersten Untersuchung kommen zu dürfen. Die Arzthelferin habe ihm daraufhin gesagt: "Nee, dann wollen sie bleiben." Ihre Hebamme habe empfohlen, einfach ohne Termin zum Kinderarzt zu gehen, sagt Jasmin Zabinski, Controlling-Angestellte in Elternzeit. "Dann müssen sie euch nehmen", habe diese gesagt. Das habe sie so aber auch nicht machen wollen. Weniger Probleme hätten Familien, die erst einmal einen Kinderarzt gefunden hätten und dann Geschwisterkinder bekämen. Diese würden in der Regel grundsätzlich beim selben Kinderarzt einen Platz bekommen, haben sie beobachtet.

Was sich Familie Zabinski wünscht, hört sich naheliegend, aber in der aktuellen Situation unrealistisch an. "Es wäre halt schön, wenn wir einen Kinderarzt in Gundelsheim hätten", sagt Jasmin Zabinski. Früher habe sie gedacht, das deutsche Gesundheitssystem sei vorbildlich. Inzwischen hat sich das verändert.

 
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