Es geht wieder los mit dem Hamstern
Kunden diverser Supermärkte in der Region Heilbronn berichten von teilweise leeren Regalen. Mehl ist besonders begehrt.

Zuletzt hatte man solche Szenen zu Beginn der Corona-Pandemie in den Supermärkten der Region gesehen. Regale mit lang haltbaren Lebensmitteln waren leergefegt, Hygieneprodukte wie Toilettenpapier waren ausverkauft. Jetzt geht es wieder los mit dem Hamstern - noch nicht vergleichbar mit der Situation zu Beginn der Pandemie, aber auch bereits jetzt lichten sich manche Regale.
Nach Beobachtung von Supermarkt-Angestellten ist Mehl beim Kunden besonders begehrt, aber auch Reis, erneut Toilettenpapier, Küchenrollen und kurioserweise Sonnenblumenöl. "Da wir nur ein bestimmtes Kontingent bekommen, ist das mit dem Sonnenblumenöl echt eine Herausforderung", sagt die Mitarbeiterin eines Edeka-Marktes im Landkreis Heilbronn. Warum Menschen erneut Hamstereinkäufe erledigen, dafür hat die Frau eine Erklärung, die nicht nur mit Kriegsangst zu tun hat. "Die Preise, meine Güte, die Lebensmittel sind so teuer geworden", sagt sie.
Mitarbeiter: Das Hamster-Verhalten verläuft proportional zum Ukraine-Krieg
Ein Mitarbeiter des Raiffeisen-Marktes in Bad Rappenau teilt diesen Eindruck. "Die Kunden befürchten vielleicht eine weitere Preissteigerung", sagt er - beim Sprit sei es ja auch so. Vor allem Mehl werde stark gekauft. Sie könnten die Nachfrage decken, nächste Lieferungen kämen rechtzeitig. Dennoch sei es auffallend, dass gehamstert werde. Seit Ende vergangener Woche stelle er das fest, so der Mitarbeiter. Das Hamster-Verhalten verlaufe proportional zum Ukraine-Krieg. Je mehr sich der Krieg verschärfe, desto mehr werde gehamstert.
Möglicherweise haben die Lücken im Sortiment nicht nur mit einem Hamster-Verhalten, sondern auch etwas mit der Anzahl an privaten Ukraine-Hilfen zu tun. „Das sind genau die Produkte, um die von Initiativen für die Ukraine gebeten wurde“, meint Stimme-Leserin Sabine Schuh aus Obersulm. „Wir haben, wie viele andere auch, diese Produkte gekauft, in Kartons verpackt und zu einer Sammelstelle gebracht.“ Sie habe sich nie vorstellen können, einmal Lebensmittelpakete für Menschen in Europa zu packen. „Angesichts der gefühlten Ohnmacht ist das fast das Einzige, was man tun kann“, sagt sie.

Speiseöl wird viel gekauft
Seval Tinkilic ist Supermarkt-Kundin in Möckmühl und berichtet von leergekauften Regalen in den örtlichen Filialen von Edeka, Penny und Lidl. Weil sie es kaum glauben konnte, ging sie am Dienstagabend nochmal zu Lidl - es bot sich das Bild, das sie erwartet hatte: Vor allem Speiseöl, Raps und Sonnenblumen, war ausverkauft. In der Facebookgruppe "In und um Möckmühl" beschrieb sie ihre Erlebnisse, es folgten viele Reaktionen. Einige fürchten weitere Preissteigerungen.
"Es ist mir noch zu früh, um von Hamstern zu sprechen. Viele Menschen waren über Fasching in Urlaub und füllen wieder ihren Haushalt auf", sagt Steffen Ueltzhöfer von Edeka Ueltzhöfer. Sie müssten aber die Grundnahrungsmittel wie Nudeln, Reis, Mehl, Tomatenprodukte, Konserven, aber auch das "gute" Toilettenpapier im Auge behalten, so Ueltzhöfer.
Seitens der Schwarz Gruppe heißt es: "In einzelnen Filialen unserer Handelssparten Lidl und Kaufland erleben wir derzeit punktuell eine etwas größere Nachfrage nach haltbaren Lebensmitteln und Hygieneprodukten." Da ausreichend Lagerbestände vorhanden seien, sei die Warenverfügbarkeit aber sichergestellt.
Lange Schlangen vor den Tankstellen
An Tankstellen in der Region geht es aufgrund der hohen Spritpreise derzeit ebenfalls hoch her. Besonders beliebt sind vergleichsweise preiswerte freie Tankstellen. Autofahrer stehen mitunter fast stundenlang im Zapfsäulen-Stau. An der billigsten Tanke der Region, der Kaufland-Tankstelle in der Neckarsulmer Rötelstraße, geht stellenweise gar nichts mehr. Eine Mitarbeiterin des dortigen Kauflands sagt, sie fahre aufgrund der Situation selbst nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit in die Rötelstraße - aber nicht wegen der Preise, sondern weil sie sonst kaum noch durch den Stau komme.
"Jeder tankt nur noch das Nötigste", sagt Kay Nekolny vom 24-Autohof Bad Rappenau - man stelle deutlich mehr Tanken zu Kleinbeträgen fest. Zudem zeigten sich Kunden gefrustet über die Preise. Alle beklagten sich, man könne es sich bald nicht mehr leisten zu tanken. Sogar manche Kartenzahlungen platzten, weil das Limit der Karte überschritten sei. "Die Lkw-Fahrer rufen dann ganz verzweifelt ihren Chef an", so Nekolny . Das Problem werde mit jedem Tag komplexer.
Psychotherapeut analysiert das Phänomen des Hamsterns
Mit Kunden-Frust zu tun hat auch die Mitarbeiterin des Edeka-Marktes im Landkreis. "Wir müssen leider immer öfter sagen: nicht lieferbar", erklärt sie. "Wir müssen sehr viele Diskussionen führen und müssen uns immer rechtfertigen." Dabei könnten sie ja nichts dazu.
Psychotherapeut Hans Hopf aus Mundelsheim beschäftigt sich schon länger mit dem Phänomen des Hamsterns. Bereits während der Corona-Pandemie sei zu beobachten gewesen, dass sich Teile der Gesellschaft sehr ähnlich bei gefühlten Bedrohungen verhielten. "Die Gesellschaft besteht aus vielen Einzelwesen, die auf große Bedrohungen ähnlich mit Ängsten und Abwehrstrategien reagieren", sagt er. "Ein kollektives Muster wurde erkennbar."
Dieses Verhalten tritt nun - angesichts des Krieges in der Ukraine - erneut zutage. Die Psychoanalyse interpretiere Hamsterkäufe als ein Zurückfallen auf frühere Stufen der geistigen Entwicklung, in diesem Fall in orale Bedürfnisse. Hans Hopf: "Die Anhäufung von verzehrbarer Nahrung verspricht eine vermeintliche Sicherheit und Geborgenheit." Das eigene Angstempfinden spiele dabei eine große Rolle. Wer sich durch eine Situation besonders bedroht fühlt, neigt eher zu Hamsterkäufen. Neben emotionaler Labilität stärkten vor allem zwanghafte Charakterzüge den Drang zur Vorratshaltung.