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Gutachter vom Klinikum Weissenhof spricht über seine Erfahrungen mit Mördern

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Dr. Matthias Michel tritt als Gutachter bei Strafprozessen auf. Er macht die Erfahrung, dass auch Mörder, die die Tat von sich weisen, um ihre Schuld wissen. Dass ein unentdeckter Täter nach Jahren sein Schweigen bricht, hält er für denkbar.

Der Maßregelvollzug in Weinsberg.
Der Maßregelvollzug in Weinsberg.  Foto: Berger, Mario

Dr. Matthias Michel (62) ist Ärztlicher Direktor des Klinikums am Weissenhof in Weinsberg. Er berichtet über seine Erfahrungen mit Mördern.

 

Wie kann ein Mörder mit dem Wissen um seine Tat leben?

Dr. Matthias Michel: Bei meiner langjährigen Tätigkeit als Chefarzt der Forensischen Psychiatrie am Klinikum Weissenhof und als Gutachter in Strafprozessen habe ich vielfach die Erfahrung gemacht, dass nicht alle Menschen ihre Tat bereuen oder gar Scham zeigen. Diese haben dann überwiegend eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Täter mit diesem Störungsbild sind häufig nicht in der Lage, Empathie für Opfer zu empfinden. Diese Menschen müssen als hoch gefährlich eingeschätzt werden.

 


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Dr. Matthias Michel
Dr. Matthias Michel  Foto: Veigel

Wie groß ist ihr Anteil unter Mördern und brutalen Gewalttätern?

Michel: Nicht groß. Bei den meisten Morden handelt es sich um Beziehungstaten. Das heißt Opfer und Täter kennen sich. In diesen Fällen sind dissoziale Persönlichkeitsstörungen nicht die Regel, da die Motivationslage eine andere ist. Der überwiegende Anteil von Menschen mit Tötungsdelikten zeigt sich durch die Tat im Nachhinein sehr belastet, hat massive Schuldgefühle und würde diese gerne ungeschehen machen.

 

Die meisten Mörder sind ja keine Serienkiller, sondern werden ein Mal schuldig. Wie gehen sie damit um?

Michel: Der Umgang mit dem Verbrechen ist vielfältig und hängt von der Persönlichkeit des Täters ab. Es gibt beispielsweise diejenigen, die nicht über ihre Tat sprechen wollen und sie vehement leugnen. Sie sagen, sie hätten nichts damit zu tun. Sie können ihre Tat nicht mit ihrem inneren Selbstbild in Einklang bringen. Das Eingeständnis, dass sie zu einer solchen Tat fähig waren, würde für sie alles noch schlimmer machen. Jedoch ertragen sie ihre Haftstrafe klaglos und lehnen sich nie dagegen auf.

 

Was sagt Ihnen das?

Michel: Dass sie im Hinterkopf beziehungsweise im Unterbewusstsein doch wissen, dass sie schuldig sind.


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Ist es möglich, dass ein Täter im Laufe der Jahre seine Tat komplett verdrängt?

Michel: Ja, das gibt es. Dazu können zum Beispiel die eben beschriebenen Menschen gehören, die auch nach einer Verurteilung jede Schuld von sich weisen. Ich habe aber noch nie jemanden kennengelernt, dem ich das abgenommen habe.

 

Ist die Hoffnung mancher Ermittler berechtigt, dass ein unentdeckter Mörder oder ein Zeuge irgendwann sein Schweigen bricht?

Michel: Ich denke schon. Vor allem dann, wenn die Menschen unter ihren Gewissensbissen und Schuldgefühlen leiden. Bei manchen wird der Druck so stark, dass sie an den Punkt kommen, endlich reinen Tisch machen zu wollen. Bei Zeugen kann es sein, dass sich jemand nicht mehr an sein Schweigegelübde gebunden fühlt, weil er selbst todkrank oder derjenige, der die Tat begangen hat, bereits verstorben ist beziehungsweise zwischen beiden der Kontakt abgebrochen ist.

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