Die Lehren der Sturzflut von Braunsbach
Ideale und reale Schutzvorkehrungen von der Höhe bis ins Tal: Bürgermeister Frank Harsch tut alles, um die Gemeinde vor weiteren Katastrophen zu bewahren, betont aber: "Einen hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben." Schon gar nicht vor einer "Sintflut" wie am 29. Mai 2016.

Braunsbach, Ende Mai 2022: Der Ortskern ist herausgeputzt, die Stimmung entspannt. Höfe und Wege sind neu gepflastert, Häuser frisch gestrichen. Die Infrastruktur ist intakt, das Leben wohlgeordnet. Welch ein Gegensatz zu den Bildern vor sechs Jahren, als das Zentrum ein einziges Trümmerfeld war. Schutt und Schlamm, wohin man blickte. Eine monströse Geröll-Lawine hatte alles mitgerissen. Zerstörung. Chaos. Verzweiflung.
Historische Sturzflut ist in einem Pavillon verewigt
Bürgermeister Frank Harsch steht am Info-Punkt auf dem Marktplatz. In einem hölzernen Pavillon ist die historische Sturzflut verewigt. Schaubilder und Fotos sind zu sehen. "29. Mai 2016 veränderte alles", ist dort zu lesen. Es ist eine Stätte der Erinnerung, ein Spiegelbild des neuen Braunsbach. Gleichzeitig ist es ein Mahnmal, dafür zu sorgen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passiert. Harsch hat in den sechs Jahren alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seine Gemeinde vor einem zweiten Drama dieser Dimension zu bewahren. Doch er weiß: "Einen hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben."
Schutz vor HQ 100? Ja - Schutz vor HQ 1000? Nein

Immer wieder spricht er von einer "Sintflut", vor der keine Kommune sicher sei. Genau das sei dieser Starkregen in der Nacht vom 29. auf den 30. Mai 2016 gewesen. Alles andere seien die "normalen Katastrophen". Und ja, dagegen sei sehr wohl ein Kraut gewachsen. Alles, was man bisher getan habe, sei darauf ausgerichtet. Man könnte auch sagen: auf ein HQ 100, wie es im Fachjargon heißt, ein hundertjährliches Hochwasser. Weil das Land nur dafür Fördermittel gebe. Vorkehrungen zu treffen für ein HQ 1000 - oder eine weitere "Sintflut"? "Das wäre illusorisch und überhaupt nicht finanzierbar", sagt Harsch.
Der Bürgermeister darf nicht zu viel wollen
Frank Harsch ist ein Bürgermeister, der die Dinge genau durchdringt und durchdenkt. Kommunales Starkregenmanagement: Das beginnt für ihn im Kleinen und endet im Großen. Es ist in der Höhe genauso wichtig wie im Tal. Und es genügt nicht, nur im lokalen Umfeld Objekte zu schützen, Bäche und Hänge zu sichern oder Flächen zu entsiegeln. Es gehe darum, komplett umzudenken: Den Klimawandel zu stoppen. Das Verhalten zu ändern. Energie anders zu erzeugen. Doch weil Harsch weiß, dass er nicht in einer idealen Welt lebt, muss er Realismus und Pragmatismus walten lassen. Und darf nicht zu viel wollen.
Ein schwieriger Spagat

Man spürt, dass es ihm mitunter schwerfällt, diesen Spagat zwischen Konsequenz und Behutsamkeit hinzukriegen. Auf der Höhe nicht, wo er gerne die Flurstücke neu ordnen oder die Kreisstraße in der Senke um drei Meter erhöhen würde, damit sich das Wasser nicht wieder sammelt, um von dort über den Orlacher Bach ins Tal zu stürzen. Und drunten, im Ort, ebenfalls nicht, wo noch viel mehr Privatleute ihre Häuser mit einfachsten Mitteln schützen könnten, es aber noch nicht getan haben, wie etwa die Gemeinde mit ihrer Mauer vor dem Rathaus.
Oben und unten gibt es noch einiges zu tun
Droben nahm das Unheil seinen Lauf, unten kam es mit geballter Wucht an. Mit den Landwirten "da oben" sei nicht zu spaßen, "drei bis vier" Eigentümer habe er schon gefragt, ob sie ihre Flächen an die Gemeinde verkaufen und gegen andere tauschen. Doch daraus wird erstmal nichts. Harsch sagt: "Hier, an dieser Stelle, da kann man was machen." Fünf Kilometer Ackerfläche misst das Einzugsgebiet des Orlacher Bachs. "Das ist gigantisch." Im Katastrophenfall aber auch gigantisch problematisch. So wie am 29. Mai 2016, als das Wasser über erodierte Böden strömte und in besagter Senke richtig Fahrt aufnahm auf seinem Weg hinunter ins Tal. Dort, im Ort, gebe es immer noch zu wenig Grünflächen und Bäume, um das Wasser natürlich aufzufangen. Auch simple Kniffe fehlten, um private Häuser vor den Fluten zu schützen. Etwa indem Lüftungen und Schächte einen Meter erhöht werden, wie an der Burgenlandhalle geschehen.
Geröllfänge am Orlacher Bach

Denn eines stehe fest: "Das Wasser können wir nicht aufhalten, das Geröll aber schon." Harsch zeigt zwischen Höhe und Tal auf den mächtigen Feinsedimentfang, der dort entsteht. Für Steine bis 30 Zentimeter. Alles, was größer ist, wird bereits darüber abgeblockt und ausgebaggert. In anderen Fängen. 2,5 Kilometer misst der Orlacher Bach. Er muss geschützt werden wie in den Alpen, so steil ist es. Harsch hält inne und schwärmt von der Natur, die nicht nur teuflisch, sondern auch himmlisch sein kann: "Irgendwann gibt es hier einen Wanderweg." Das Gute im Schlechten zu finden - auch das ist typisch für den Bürgermeister in Braunsbach, Ende Mai 2022.



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