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"Die Bahn ist eine Black Box"

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Joachim Holstein stammt aus Heilbronn und verbrachte einen Großteil seines Lebens im Nachtzug. Im Interview erklärt er, warum er manche Entscheidung der Deutschen Bahn für fragwürdig hält. Auch die, Heilbronn den Fernverkehrsanschluss vorzuenthalten.

Der ICE fährt im nächsten Jahr wohl nur durch den Heilbronner Hauptbahnhof. Anhalten ist nicht vorgesehen. Foto: Archiv/Gleichauf
Der ICE fährt im nächsten Jahr wohl nur durch den Heilbronner Hauptbahnhof. Anhalten ist nicht vorgesehen. Foto: Archiv/Gleichauf  Foto: Christian Gleichauf

Joachim Holstein lebte Jahrzehnte für die Bahn, von und mit der Bahn. Die Leidenschaft des 58-Jährigen wird jedoch auf die Probe gestellt, weil ihm Entscheidungen des Unternehmens Deutsche Bahn nicht nachvollziehbar erscheinen - auch beim Thema Fernverkehrsanschluss für Heilbronn.

 

Herr Holstein, Sie sind mit ganzem Herzen Eisenbahner. Wie beurteilen Sie den Umgang der Bahn mit Heilbronn?

Joachim Holstein: Ich habe mitbekommen, wie man Heilbronn zur Buga den ICE versprochen hatte, wie er dann ausfiel und das offensichtlich aus der Überlegung heraus, dass Heilbronn am ehesten auf den ICE verzichten kann. Das ist extrem ärgerlich für eine Stadt, für die das die einzige Fernverbindung war.

 

Oft hört man, dass ein funktionierender Nahverkehr ohnehin viel wichtiger für Heilbronn wäre. Haben Sie Verständnis für den Wunsch nach einem Fernverkehrsanschluss?

Holstein: Auf jeden Fall. Es macht einen riesigen Unterschied, ob so eine Stadt an den Fernverkehr angebunden ist oder nicht. Man darf die Positionen nicht gegeneinander ausspielen. Es darf nicht entweder Fernverkehr oder Nahverkehr heißen, das wirkt zusammen. Dazu kommt: Wenn ein Ort vom Fernverkehr abgehängt wird, dann ist das eine Herabstufung, und da steckt psychologisch viel dahinter.

 

Sie waren selbst viel als Nachtzugbegleiter mit der Bahn unterwegs. Was hat Ihnen das bedeutet?

Joachim Holstein war 20 Jahre Zugbegleiter im Nachtzug. Seine alte Heimatstadt Heilbronn besucht er bis heute, natürlich mit der Bahn.
Foto: Christian Gleichauf
Joachim Holstein war 20 Jahre Zugbegleiter im Nachtzug. Seine alte Heimatstadt Heilbronn besucht er bis heute, natürlich mit der Bahn. Foto: Christian Gleichauf  Foto: Gleichauf, Christian

Holstein: Für mich war das ein Traumberuf. Ich bin durch Zufall dazu gekommen, weil ich während meines Studiums einen Job gesucht habe. Ich bin dadurch in halb Europa herumgekommen. Und im Nachtzug ist man auf eine ganz andere Art und Weise mit den Menschen unterwegs als ein Zugschaffner im Regionalexpress zwischen Würzburg und Stuttgart. Man fährt mit Leuten in den Urlaub, manchmal in ein neues Leben. Man bringt sie abends quasi zu Bett, und sie wissen, dass ich derjenige bin, der sie morgens wieder weckt und ans Ziel der Reise begleitet. Man ist Gastgeber, damit die Leute Hotelkomfort genießen können.

 

Konnten Sie nachvollziehen, warum die Bahn das Geschäft vor drei Jahren an die Österreichischen Bundesbahnen abgegeben hat?

Holstein: Nein, absolut nicht.

 

Sie kämpfen ja bis heute dafür, dass die Bahn diese Entscheidung rückgängig macht?

Holstein: Ja. Im europaweiten Netzwerk Back on Track machen wir uns für grenzüberschreitende Bahnverbindungen stark, insbesondere für die Nachtzüge. Es gab schon vor der DB-Entscheidung 2015 ungefähr 30.000 Fahrgäste, die Protestpostkarten geschrieben haben. Danach ging eine Internet-Petition an den Verkehrsausschuss des Bundestages. Und die Geschichte bestätigt uns. Gerade hat die Bahn wieder Gespräche mit den Österreichern über die Wiedereinführung von Nachtzügen aufgenommen. Da ist plötzlich von Bedarf und Nachfrage die Rede. Tja, diesen Bedarf gab es auch schon vor drei, vier, fünf Jahren. Die Zahlen waren gut, die Bahn hat sie nur schlechtgerechnet.

 

Kann man sich eigentlich vorstellen, dass ein Nachtzug Heilbronn anfährt?

Holstein: Wir haben im Mai 2016 mit einigen Fahrplanexperten eine Art Musterfahrplan entworfen. Und in unserem Nachtzugnetz gibt es eine Verbindung, die über Heilbronn führen würde, nämlich von Zürich nach Berlin. Die aktuellen Verbindungen von Zürich über Karlsruhe nach Hamburg und Berlin sind übrigens derart überlastet, dass man regelmäßig keine Fahrkarten mehr bekommt. Ein zweiter Zug würde sich sicher lohnen.

 

Auch ein Fernverkehrsanschluss für Heilbronn wäre nicht rentabel, sagt die Bahn. Könnte sie recht haben?

Holstein: So einfach wie die Bahn kann man sich das nicht machen. Man braucht für neue Systeme oder Verbindungen erst einmal eine Anlaufzeit. Wenn die Leute ein Angebot nicht kennen, können sie es auch nicht wahrnehmen. Mit den Zahlen ist das bei der Bahn aber eine hochspannende Sache. Bei den Nachtzügen wissen wir, dass und wie die Deutsche Bahn manipuliert hat. Beispielsweise wurden sämtliche Reisende in den Sitzwagen nicht dem Nachtzug zugeschlagen, sondern dem Intercity-, also dem Tagesverkehr. Nur so konnte die Bahn behaupten, dass nur ein Prozent der Bahnreisenden nachts unterwegs sei. Es waren je nach Rechenweise zwischen zwei und vier Prozent der Verkehrsleistung, wenn man die Reiseweite berücksichtigt. Unter dem Strich heißt das: Wenn sie möchte, schafft die Bahn es, aus schwarzen Zahlen rote zu machen.

 

Warum tut sich die Bahn so schwer, Dinge beim Namen zu nennen?

Zur Person

Joachim Holstein machte sein Abitur 1979 am Justinus-Kerner-Gymnasium in Heilbronn. Dann zog er nach Hamburg, studierte anfangs Architektur, dann Sprachen und Literatur. "Das Studium habe ich mir selbst finanziert, entsprechend lange hat es gedauert", sagt der 58-Jährige. Er arbeitete unter anderem für die Bundestagsabgeordnete Barbara Höll (PDS) aus Leipzig. Ab 1996 war er Zugbegleiter für Mitropa in den Nachtzügen der Bahn, engagierte sich im Betriebsrat und in der Gewerkschaft NGG. 2017 verließ er das Unternehmen und arbeitet seitdem - seiner inneren Uhr entsprechend - Nachtschichten bei einem Sicherheitsdienst. Seine Petition zur Senkung der Mehrwertsteuer beim Bahn-Fernverkehr (change.org/19auf7) fand mehr als 100.000 Unterstützer.

Holstein: Da haben einige Leute Angst, ihr Gesicht zu verlieren, wenn sie ihre Meinung ändern. Das ist das eine. Grundsätzlich sollte die Bahn aber klar kommunizieren, welche Alternativen es gibt. Sie könnte sagen: Wir versuchen das jetzt unter diesen Bedingungen. Wenn das funktioniert, machen wir damit weiter. Wenn nicht, dann bleibt nur Alternative B. Dann könnte das auch der Bürger nachvollziehen. Aber die Bahn ist eine Black Box.

 

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich nicht jede Verbindung rechnet. Und der Fernverkehr soll sich ja finanziell selbst tragen..

Holstein: Ich stehe nicht allein mit meiner Meinung, dass die Bahn eigentlich keine Gewinne erwirtschaften müsste. Die Bahn ist Daseinsvorsorge genau wie die Müllabfuhr oder Schulen. Und die Unterscheidung in Nah- und Fernverkehr ist eine künstliche. Dem Fahrgast ist die Ausstattung des Zuges wichtiger als das, was draußen draufsteht. Mit dem Begriff Gewinn zu operieren, wo die Länder so viel Geld zuschießen, ist ohnehin unlauter.

 

Als Sie nach Hamburg gezogen sind, gab es da noch eine Direktverbindung von Heilbronn?

Holstein: Ja. Wir hatten täglich bis zu drei Direktverbindungen. Damals hatte ich häufiger das Tramper-Monatsticket für 170 Mark gekauft, mit dem man das gesamte Bahn-Netz nutzen konnte. Ich fuhr als Student zu Fußball-Bundesligaspielen in allen Winkeln Deutschlands oder mit dem Direktzug zur Familie in Heilbronn. Ab Lauda stiegen damals auch die Pendler Richtung Stuttgart und Heilbronn zu. Daran kann man sehen, dass auch damals Fernzüge Nahverkehrsfunktionen übernommen hatten.

 

Die Klimadebatte bringt nun auch das Bahnfahren wieder in die Diskussion. Was halten Sie davon?

Holstein: Ich bin begeistert und hätte das nie für möglich gehalten. Greta wahrscheinlich auch nicht, als sie damit anfing. Aber manches geht jetzt schon wieder in eine falsche Richtung. Wenn der Bund Elektromobilität fördern möchte, dann bitte nicht so, dass Milliarden für fünfeinhalb Meter lange Blechkisten mit zwei Tonnen Gewicht ausgegeben werden. Wir haben die Elektromobilität, die heißt Eisenbahn. Wie wäre es da mit einer vergünstigten Bahncard 100? Viele wollen doch umsteigen. Der Staat muss in Vorleistung gehen. Auch bei den Taktzeiten.

 

Als Ex-Heilbronner: Wie finden Sie eigentlich die Stadtbahn?

Holstein: Ich finde sie grandios. Das hätte ich mir in meiner Jugend gewünscht. Allein schon das Flair, wenn man auf dem Marktplatz sitzt und die Straßenbahn hält. Das ist ein Segen für die Region und ich würde es sehr begrüßen, wenn sie auch ins Zabergäu geführt wird.

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