Heißer Herbst: Auch in der Region nehmen Protestaktionen zu
Inflation, Ukraine-Krieg, befürchteter Energieengpass: Die gegenwärtige Lage ist angespannt. Treibt das die Menschen zunehmend auf die Straße? Bürgermeister in der Region und Landesinnenministerium rechnen damit.

In der Region nehmen Protestaktionen gegen aktuelle politische Entwicklungen zu. Die Kritik an Corona-Regeln war in den vergangenen Monaten sehr viel leiser geworden. Inzwischen hat sich die Weltlage verändert. Ukraine-Krieg, Inflation mitsamt krasser Preise für Sprit, Gas, Strom und Lebensmitteln fachen den Unmut von Bürgern an. Stehen die meisten Kundgebungen nach wie vor im Zeichen des Virus", mischt sich verstärkt der Frust über Energiekosten und Politik im Allgemeinen in den Protest. Zu erleben etwa jüngst bei der Aktion in Heilbronn, an der Hunderte Menschen teilnahmen - weitaus mehr, als Polizei und Veranstalter erwartet haben.
Innenministerium erwartet Zunahme der Proteste
Das Innenministerium Baden-Württemberg beobachtet die Lage im Land. "Unsere Sicherheitsbehörden müssen sich auf eine steigende Zahl an Demonstrationen im Herbst einstellen", sagt Minister Thomas Strobl (CDU). Nach Angaben eines Ministeriumssprechers kam es allein in der Woche vom 19. bis einschließlich 26. September im Land zu 177 Protestaktionen mit insgesamt etwa 13.000 Teilnehmern.
Veranstaltungen erfahren unterschiedlich starken Zulauf
In der Region versammelten sich Demonstranten nicht nur in Heilbronn. Nach Angaben des Ministeriums, das eine Auflistung aller Proteste in dem Zeitraum vorlegt, trafen sich beispielsweise in Bad Friedrichshall und Öhringen je 40 Menschen. In kleinen Orten wie Erlenbach oder Löwenstein sollen sich Grüppchen von bis zu zehn Teilnehmern getroffen haben.
Ein Fixpunkt im Geschehen ist nach wie vor Brackenheim. Bis zu 2000 Teilnehmer lockte der montägliche Protest zur Hochzeit. Grundsätzlich seien schon während der Pandemie die Gruppen durchmischt gewesen, sagt Bürgermeister Thomas Csaszar. Die rechte Szene unterwanderte den Corona-Protest. Der Staatsschutz schaltete sich ein, als der "Dritte Weg" Flugblätter verteilte. "Jeder sollte für sich wissen, mit wem er mitmarschiert", meint Csaszar.
Bei einer der jüngsten Aktionen sei es um Energiepolitik, das Verhältnis zu den USA, das Verhältnis zum Ukraine-Krieg gegangen. Die Zahl der Teilnehmer sei binnen einer Woche um etwa 80 auf 365 Teilnehmer gewachsen. Der Mix aus unterschiedlichsten Themen könne laut Csaszar Zugkraft entfalten, so dass die Zahl der Teilnehmer größer werde.
Wie sich die Krise auf Menschen auswirkt
Mehr Protestler erwartet auch Bürgermeister Martin Piott in Bretzfeld. Vor Monaten trafen sich bis zu 450 Teilnehmer im Ort. Die Corona-Politik sei als einschränkend empfunden worden; einige Verordnungen von Land und Bund seien nicht nachvollziehbar gewesen. Gegenwärtig jedoch spürten die Menschen die Krise im Portemonnaie. Etwa 100 Menschen kamen jüngst zur Kundgebung. Piott rechnet damit, dass deren Zahl steigen wird. "Wenn es den Leuten an den Geldbeutel geht, habe ich Sorge, dass die Zahl der Teilnehmer und die Vehemenz größer werden", sagt er. "Die Wut wird zunehmen." Die Polizei sei auf die aktuellen Entwicklungen vorbereitet, heißt es dazu im Innenministerium.
Erkenntnisse des Verfassungsschutzes
Während der Pandemie gab es nach den Worten von Innenminister Strobl ein Demonstrationsgeschehen, in dem viele friedlich und legitim demonstriert hätten. "Freilich gab es auch einen toxischen Kern, eine toxische Mischung aus Rechtsextremisten, Verschwörungsideologen, Antisemiten, Reichsbürgern und dergleichen mehr." Dem Verfassungsschutz liegen laut Ministerium Erkenntnisse vor, wonach insbesondere Rechtsextremisten und Menschen, die den Staat ablehnen, Proteste für ihre Zwecke nutzen oder initiieren wollen. Sie versuchten, Sorgen und Ängste in der Gesellschaft zu instrumentalisieren und so den gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen, ihre extremistischen Botschaften zu verbreiten und neue Anhänger zu gewinnen.
"Querdenken"-Szene sei strukturell gut aufgestellt
Ein Mann aus der Heilbronner "Querdenken"-Szene rechnet ebenfalls mit zunehmenden Aktionen. Er möchte nicht mit Namen in der Zeitung stehen. Er sieht, dass verschiedene Gruppen aktuelle Themen besetzten. Seiner Einschätzung nach seien diese organisatorisch aber nicht so gut aufgestellt. Die "Querdenken"-Strukturen seien definitiv da. "Dass was kommt, davon gehe ich aus", sagt er.
Die Bilanz einer Woche
Das Innenministerium Baden-Württemberg listet alle Protestaktionen in der Woche vom 19. bis 26. September im Land auf. In diesem Zeitraum kam es in der Region zu 15 Veranstaltungen mit 1913 Teilnehmern. Die meisten Aktionen standen unter dem Motto "Eindämmung Corona". Bei einigen war die Energiekrise das Hauptthema.
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