Debatte um Laufzeitverlängerung: Atomkraftgegner sind enttäuscht
Die Debatten um einen längeren Betrieb der letzten Kernkraftwerke alarmieren die Bürgerinitiativen. Von den Grünen zeigen sich die Kernkraftgegner enttäuscht. Der Heilbronner Franz Wagner und seine Mitstreiter wollen nicht aufgeben.

Sie stehen so kurz vor dem Ziel. Am 31. Dezember ist Schluss mit der Energieerzeugung aus Atomkraft in Deutschland. Das heißt - womöglich doch nicht. Landauf, landab, bei den Bürgern und in der Politik, wird über eine mögliche Verlängerung des Betriebs der letzten drei Atomkraftwerke diskutiert. Entweder als Streckbetrieb oder sogar ganz offiziell mit neuen Brennelementen. Für Atomkraftgegner wie Franz Wagner, Sprecher des Bundes der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar, ein Schreckensszenario.
Radtour aus Protest
Kein Wunder, dass die Gruppierungen rund um das Kernkraftwerk Neckarwestheim in den vergangenen Wochen wieder lauter geworden sind. Gerade haben sie mit einer Radtour, die alle von Atomtechnologie betroffenen Standorte verbinden soll, nochmals auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht.
In der Öffentlichkeit mag die Debatte plötzlich und vor allem im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und der Gaskrise in Deutschland aufgekommen sein. Franz Wagner sagt hingegen: "Die Diskussion hat mich nicht überrascht." Seit drei, vier Jahren registriere er Stimmen, vor allem aus der Wirtschaft, die eine Verlängerung forderten. "Das hat sich in den letzten zwei Jahren erkennbar gesteigert. Jetzt gibt es nur noch einen Zusatzvorwand, dass es gar nicht mehr anders gehe."
Atomkraftgegner sind von der Debatte nicht überrascht
Der Umweltschützer, hauptberuflich Arzt beim Medizinischen Dienst, ist dabei auch von jener Partei enttäuscht, die den Kernkraftgegnern eigentlich am nächsten steht. "Uns hat nicht nur die Dynamik der Debatte überrascht, sondern auch, dass die Grünen ins Wanken gekommen sind", sagt er. "Aber die waren ohnehin schon lange kein Bündnispartner mehr für uns." Seit der Landtagswahl 2011, als die Partei in Baden-Württemberg an die Regierung kam, habe sie sich aus allen Engagements zurückgezogen. "Und das kann man in allen Bundesländern beobachten, wo die Grünen mit in der Regierung sind. Für sie gibt es jetzt quasi nur noch böse AKWs im Ausland." Die Bürgerinitiativen würden auf ihren Kundgebungen schon lange nicht mehr von der Partei unterstützt. Im Gegenteil: "Wir klagen jetzt gegen die Landesregierung. So ist die Situation."
Unverständnis über Klageabweisung
Dabei geht es um den Weiterbetrieb des letzten Reaktors in Baden-Württemberg, Neckarwestheim 2. Im Eilverfahren wurde die Klage der Atomkraftgegner zwar abgewiesen, aber das Hauptverfahren steht noch aus. Wagner stört in der laufenden Debatte, dass die Richter in ihrem ersten Urteil gerade auf die bevorstehende Abschaltung verwiesen und daher keinen Anlass sahen, das Ende des Meilers einige Monate vorzuverlegen. "Das könnte nun eine Rolle spielen, wenn es zu einer Verlängerung kommt", meint der 58-Jährige. Dass es im Falle eines Weiterbetriebs welcher Art auch immer Klagen gebe werde, stehe schon fest. Unter anderem haben die Deutsche Umwelthilfe und der BUND Deutschland diesen Schritt bereits angekündigt, und zwar im Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.

"Rein von der Rechtslage her dürfte es nicht einmal einen Streckbetrieb geben", erläutert Wagner. Dazu müssten erst mehrere Gesetze, allen voran das Atomgesetz, entsprechend geändert werden. Das fürchten die Atomkraftgegner besonders. "Juristisch gäbe es dann keine Bremse mehr, um vom Streckbetrieb zur Laufzeitverlängerung überzugehen."
Hohe Hürden
Dabei sehen die Umweltschützer die Hürden aktuell eher noch höher: Die Sicherheitsüberprüfung, die 2019 wegen der bevorstehenden Abschaltungen ausgesetzt wurde, müsste die Alterung der Anlagen und die neuen technischen uns sicherheitsrelevanten Vorschriften berücksichtigen. Da das auch gesetzlich gefordert werde, sei es aus ihrer Sicht quasi unmöglich, juristisch unangreifbar eine Verlängerung durchzusetzen.
Resignation macht sich breit
In der Bevölkerung spielt das Thema aktuell aber keine zentrale Rolle. "Es ist jetzt nicht so, dass die Leute in Massen kommen", räumt Wagner ein. Aber immerhin sei die Teilnehmerzahl bei der jüngsten Klima-Demo in Heilbronn wieder gestiegen. Und auf den ersten Etappen der Radtour sei der Zuspruch stärker gewesen als erwartet. "Aber viele Leute haben eine gewisse Resignation", meint er. "Durch die Dauerberieslung meinen sie, das wäre sowieso schon entschieden." Der harte Kern, der schon seit Jahr und Tag aktiv ist - Wagner zum Beispiel seit 2007 -, ist sich jedenfalls einig: Der Kampf geht weiter. Bis zur endgültigen Abschaltung.