Neckarwestheim GKN: Wie geht es weiter mit dem Kernkraftwerk?
Ein Experte für Reaktorsicherheit sagt zur Debatte um eine Laufzeitverlängerung: Technisch sei diese zwar kurzzeitig möglich, aber es blieben viele offene Fragen.

Aus Sicht des Experten für Reaktorsicherheit ist ganz klar, was gegen eine Laufzeitverlängerung der drei deutschen Kernkraftwerke spricht. "Nichts", sagt Uwe Stoll. Zumindest, sofern es um einen Streckbetrieb und die rein technische Bewertung geht.
Stoll ist technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) gGmbH, Deutschlands zentraler Fachorganisation zur Frage der Sicherheit von Nuklearanlagen. Er kann sich vor Anfragen kaum noch retten, seit die Debatte über eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen deutschen Meiler Neckarwestheim II, Isar II und Emsland entbrannt ist.
Ein paar Wochen, vielleicht auch Monate Verlängerung
Stoll macht klar: Erstens müsse die Politik das Atomgesetz anfassen, das ein Betriebsende der Meiler spätestens Ende 2022 vorschreibt - selbst für den Fall einer Verlängerung im Streckbetrieb um nur wenige Wochen. Nach aktueller Gesetzeslage wäre auch dieser rechtlich nicht zulässig.
Und zweitens würde auch das nur ein paar Wochen Verlängerung bedeuten, im Fall von Isar II vielleicht noch ein halbes Jahr. "Nach den vom baden-württembergischen Umweltministerium bekanntgegebenen Daten ist Neckarwestheim am 31. Dezember bei 70 Prozent Leistung", sagt Stoll. "Die sind also schon mit reduzierter Leistung im Streckbetrieb. Ein solcher Streckbetrieb lässt sich mit den Brennelementen, die im Kern sind, nicht mehr beliebig fortsetzen. Der ginge dann vielleicht noch bis maximal Anfang Februar", schätzt er.
Mehr gehe mit den Brennelementen, die aktuell im Reaktor seien, ohnehin nicht. "In Neckarwestheim gibt es noch ein paar Brennelemente im Lager. Würde man aus diesen und einigen weiteren Brennelementen, die schon im Einsatz waren, einen neuen Kern zusammenstellen, wäre vielleicht noch ein Betrieb bis Ende März möglich", glaubt er.
Brennelemente-Produktion müsste erst hochgefahren werden
In allen drei deutschen Meilern vom Reaktortyp "Konvoi" wird ein spezieller Typ von Brennelementen eingesetzt, der von Herstellern in Schweden und Deutschland produziert wird. "Die sind dort nicht mehr auf Lager, weil die Kraftwerke ja laut Gesetz zum Jahresende abgeschaltet werden. Das heißt, ich müsste die ganze Fertigung für solche Brennelemente wieder hochfahren. Das dauert seine Zeit. Ich würde sagen, wenn die Hersteller der Produktion Priorität einräumen, dauert das im günstigsten Fall neun bis zwölf Monate. Viel schneller wird das nicht gehen", schätzt er.
"Wenn die Regierung zu dem Ergebnis kommt, die Stromerzeugung in diesen Kraftwerken auch noch im übernächsten Winter zu benötigen, dann braucht man frische Brennelemente. Dann ist die Frage, wer von den Herstellern genügend Vertrauen hat, um in Vorleistung zu gehen und mit der Fertigung zu beginnen."
Denn am Ende, so Stoll, müsse irgendjemand dafür bezahlen, wenn die Verlängerung politisch doch wieder gekippt werde. Dass die Kernkraftwerksbetreiber im Fall einer Laufzeitverlängerung die Verantwortung für Kosten und Betriebsrisiko bei der Bundesregierung sehen, haben sie bereits klargemacht. Dort aber wird auf das Ergebnis des zweiten "Stresstests" gewartet, in dem das Bundeswirtschaftsministerium die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland unter verschärften Mangelbedingungen überprüfen lässt. Ein Ergebnis wird Ende August erwartet.
In Neckarwestheim blickt man gelassen auf die Debatte
In der 3500-Einwohner-Gemeinde Neckarwestheim sieht man der Debatte um Laufzeitverlängerung und Sicherheit jedenfalls gelassen entgegen. "Die Anlage ist im Ort anerkannt, sie gehört seit 40 Jahren zum Ortsbild. Die Menschen stehen ihr insgesamt positiv gegenüber, viele arbeiten dort", sagt Bürgermeister Jochen Winkler. "Eine Verlängerung würde bei uns jedenfalls keinen Proteststurm auslösen."