Corona-Pandemie: "Man muss sich fragen, welche Praxis noch offen hat"
Der Neckarsulmer Allgemeinmediziner Tobias Neuwirth plädiert dafür, die anstehenden Corona-Lockerungen zu verschieben.

Der Neckarsulmer Allgemeinmediziner Tobias Neuwirth und sein Team engagieren sich mit breiten Test- und Impfangeboten seit vielen Monaten stark im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Neuwirth versprüht dabei meist auffällig gute Laune. Doch jetzt ist er frustriert und sagt: Lockern bei den wahnsinnig hohen Inzidenzen – das verstehe er nicht.
Ab 20. März sollen die meisten Maßnahmen fallen. Sie sind nicht begeistert davon.
Tobias Neuwirth: Ich wünsche mir selbst auch sehnlichst, dass Corona endlich vorbei ist und habe vollstes Verständnis für alle, die auch keine Lust mehr darauf haben und am liebsten auf alle Einschränkungen verzichten würden. Aber ich habe eben Angst, dass dadurch die Werte weiter nach oben schnellen. Dieses Lockern bei hohen Inzidenzen verstehe ich deshalb nicht.
Ein politisches Argument pro Lockerungen ist, dass die meisten Verläufe inzwischen mild seien.
Neuwirth: Die meisten sind es, aber wir sehen auch schwere Verläufe mit Krankenhauseinweisung, übrigens auch bei Kindern. Es steht zu befürchten, dass der Anteil derer, die schwer erkranken, mit zunehmender Inzidenz ebenfalls zunimmt. Omikron ist eben wahnsinnig ansteckend.
Haben Sie mit Personalausfällen zu kämpfen?
Neuwirth: Durch die vorangegangenen Wellen sind wir immer ganz gut durchgekommen. Aber jetzt sind auch bei uns Mitarbeiter in Quarantäne. Sie haben sich übrigens nicht in der Praxis angesteckt, sondern im häuslichen Umfeld, zum Beispiel durch ihre Kinder, die das Virus aus der Schule mitgebracht haben. Insofern müssen wir jetzt mit den restlichen Mitarbeitern schauen, wie wir den Wahnsinn irgendwie hinbekommen. Eine Reihe von Praxen in der Region hat gerade mit diesem Problem zu kämpfen und musste schließen. Man muss sich teilweise fragen, wer überhaupt noch offen hat in einigen Gemeinden.
Das heißt dann auch: keine ärztliche Versorgung.
Neuwirth: Das heißt es. Wenn eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern in Quarantäne muss oder erkrankt, hat man keine Wahl.
Haben Sie einen Appell an die Politik? Am Donnerstag wird erstmal in Berlin über das Thema beraten.
Neuwirth: Ich möchte nicht in der Haut der Politiker stecken, die das jetzt entscheiden müssen. Das sind wirklich schwierige Abwägungen. Was ich mir wünsche, ist, sich mit der Entscheidung über Lockerungen noch Zeit zu lassen, bis die Kurve wieder nach unten geht.
Mitarbeiter fallen aus
Die Zahl der SLK-Mitarbeiter, die wegen einer Infektion mit dem Coronavirus in Quarantäne sind, ist in der vergangenen Woche erneut gestiegen, auf jetzt 110. Um die Ausfälle zu kompensieren und die Versorgung auf dem gewohnten Niveau zu halten, müsse permanent umorganisiert werden, so ein Sprecher. Die Belastung sei hoch: "Auch wenn wir weniger Corona-Patienten mit sehr schweren Verläufen intensivmedizinisch behandeln müssen."
Zur Person
Dr. Tobias Neuwirth (39) ist Hausarzt in Neckarsulm-Obereisesheim.