Christoph Baisch: "Früher wurde Ehrenamt in aller Stille für selbstverständlich genommen"
Christoph Baisch, Vorsitzender des Forums Ehrenamt Heilbronn, erzählt im Interview, was er von einem verpflichtenden sozialen Jahr für junge Erwachsene hält und wie Heilbronn in Sachen Ehrenamt aufgestellt ist.

Ehrenamtliches Engagement rückt zunehmend in den Fokus der Gesellschaft. Immer wieder wird beispielsweise über den Vorschlag eines verpflichtenden sozialen Jahr für junge Erwachsene diskutiert. Außerdem soll ab dem kommenden Frühjahr in ausgewählten Städten in Baden-Württemberg eine Ehrenamtskarte erprobt werden. Engagierte Bürger kriegen damit für kulturelle Veranstaltungen Vergünstigungen. Der Vorsitzende Christoph Baisch vom Forum Ehrenamt Heilbronn erklärt, wie er über diese Themen denkt und wie es in Heilbronn um ehrenamtliche Helfer bestellt ist.
Herr Baisch, wie ist Heilbronn in Sachen Ehrenamt aufgestellt?
Christoph Baisch: Es gibt erfreulich viele Menschen, die sich engagieren. Auf der anderen Seite erfahren wir im "Forum Ehrenamt" auch von vielen Bereichen, in denen noch Ehrenamtliche gebraucht werden. Zu sagen, Heilbronn ist nicht gut aufgestellt, wäre eine Geringschätzung des Engagements, das es schon gibt. Aber es wäre auch zu vollmundig, wenn ich sage, dass alles bestens abgedeckt ist. Gerade in Tafelläden gibt es großen Bedarf, dort ist die Nachfrage wegen der aktuellen Situation gestiegen.
Welche Herausforderungen gibt es noch?
Baisch: Ich höre von vielen Menschen, die sich engagieren wollen. Aber wenn es darum geht, dass jemand auch einen verantwortlichen Posten für längere Zeit übernimmt, beispielsweise den Vorsitz eines Vereins, wird es schwierig, weil das mit mehr Verbindlichkeit einhergeht. Zum Beispiel binden sich junge Ruheständler, die ihre Enkel besuchen oder verreisen wollen, ungern auf Dauer an ein Ehrenamt. Ein Beispiel aus eigenen Reihen ist das Amt des Kirchengemeinderats. Da geht die Amtszeit sechs Jahre. Das ist eine Herausforderung. Außerdem sind für viele ehrenamtlich Mitarbeitende Steuer- und Versicherungsfragen immer wieder ein komplexes Problem.
Das schreckt ab, oder?
Baisch: Ja, wir müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass sie Ehrenamtliche nicht abschrecken. Ein Verein ist kein Laden oder Kleinunternehmen. Da braucht es auf dem Feld von Steuer und Versicherung pragmatische Lösungen. Zugleich schauen wir vom Forum Ehrenamt darauf, was ehrenamtlich Mitarbeitende an Schulungen oder Informationen brauchen.
Wie sieht es in Sachen Nachwuchs aus?
Baisch: Es gehört ausdrücklich erwähnt, dass auch viele junge Menschen sich ehrenamtlich einbringen Das fängt ja schon in der Schule bei der Schülermitverantwortung (SMV) an und geht weiter beim Jugendgemeinderat. Und wenn man es genau nimmt, zählt auch das Engagement für Fridays for Future zum Ehrenamt. Da investieren junge Menschen ehrenamtlich Zeit und Kraft in eine Bewegung. Es gibt also Jugendliche, die sich engagieren, allerdings nur, wenn das Projekt sie anspricht.
Was halten Sie von einem verpflichtenden sozialen Jahr für junge Erwachsene?
Baisch: Grundsätzlich bin ich ein großer Verfechter des sozialen Jahres. Durch ein FSJ lernt man sich und andere Aufgabenfelder besser kennen, und wenn es im Ausland stattfindet, erweitert man sogar seinen Welthorizont. Wenn man das aber verpflichtend macht, habe ich die Befürchtung, dass damit viel Bürokratie verbunden sein wird. Außerdem bekommt das freiwillige soziale Jahr dadurch das negative Image einer Pflichtübung. Am besten wäre es, wenn ein FSJ als so selbstverständlich angesehen wird, dass die, die sich dagegen entscheiden, nach ihren Beweggründen gefragt werden.
In einigen Städten im Land wird ab April 2023 die Ehrenamtskarte erprobt. Was halten Sie davon?
Baisch: Jede Form der Wertschätzung für ehrenamtliches Engagement ist gut. Früher wurde das Ehrenamt in aller Stille für selbstverständlich genommen, keiner hat richtig "Danke!" gesagt. Erst ab den 90er-Jahren wurde eine Anerkennungskultur entwickelt.

Zur Person
Christoph Baisch ist Vorsitzender des Forums Ehrenamt Heilbronn, Dekan in Heilbronn und Pfarrer an der örtlichen Kilianskirche. Der gebürtige Schwäbisch Haller und seine Frau haben drei erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder. In seiner Freizeit singt der 62-Jährige gern im Chor
Mehr Informationen zum Forum Ehrenamt Heilbronn
Auf der Website www.forum-ehrenamt.org gibt es Informationen zu bürgerschaftlichem Engagement, Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Selbsthilfe.
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