Beim Thema Kinderimpfungen sind viele verunsichert
Wer zwölf Jahre oder älter ist, kann sich mit dem Biontech-Vakzin gegen Covid impfen lassen, auch wenn die deutsche Stiko das nicht allgemein empfiehlt. Impf-Experte Ulrich Enzel aus Schwaigern schätzt die Lage ein.

Sollen Kinder und Jugendliche geimpft werden, um einen halbwegs regulären Schulbetrieb auch im Herbst aufrechterhalten zu können? Oder reicht die Impfquote unter den Lehrern und Erzieherinnen? Wie beurteilen Ärzte die Situation?
Viele Lehrer sind zum Impfen gegangen, sobald das möglich war
"Der Anteil der geimpften Lehrer ist groß", findet Frank Schuhmacher, Schulleiter des Hohenlohe-Gymnasiums Öhringen. Auf über 60 Prozent schätzt er ihn. Die noch nicht Geimpften gingen regelmäßig zu den Testungen. Schuhmacher sagt: "Ich habe viele meiner Kollegen gleich bei der ersten Gelegenheit beim Impfen gesehen."
Auch Schulsozialarbeiterinnen wie Simone B. aus Öhringen (sie möchte anonym bleiben) konnten sich schon im Frühjahr impfen lassen. "Und das haben wir auch getan", erklärt sie. Sie sagt aber gleichzeitig: "Bei unseren Kindern tun wir uns schon schwerer damit." Wie ihr geht es vielen Eltern: Das Für und Wider des Impfens von Kindern werde immer wieder im Umfeld diskutiert. Sie persönlich sieht bei Kindern kein Risiko für einen schweren Covid-Verlauf. Und dann sei da noch die Angst vor möglichen Langzeitfolgen.
Sorge, dass auf Ungeimpfte womöglich Druck ausgeübt wird
Zarah Abendschön-Sawall begrüßt es, dass Jugendliche geimpft werden können. Die Schwaigernerin, die zum Vorstand der bundesweiten Initiative Familien gehört, befürchtet einen Druck auf Familien, die lieber erst noch mit dem Impfen warten. "Dazu darf es aber nicht kommen", nimmt sie jene Familien in Schutz. Harald Schröder von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) geht davon aus, dass mit geimpften Schülern weniger Klassen in Quarantäne müssen. Der GEW-Sprecher im Kreis Heilbronn betont: Es könne sein, dass bei einem Corona-Fall in einer Klasse nur die Ungeimpften in Quarantäne müssten, die Geimpften aber weiterhin zum Unterricht dürften.
Der anzunehmende Nutzen ist nicht höher zu bewerten als mögliche Risiken, sagt die Stiko
Während der Covid-Impfstoff von Biontech/Pfizer von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA ab zwölf Jahren zugelassen ist, hat die deutsche Ständige Impfkommission (Stiko) bislang nur eine eingeschränkte Empfehlung für die Altersgruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen ausgesprochen. Demnach ist das Vakzin nur für solche Kinder und Jugendlichen empfohlen, die unter bestimmten Vorerkrankungen leiden oder die Kontakt zu Risikogruppen haben. Der Schwaigerner Arzt und Impf-Experte Ulrich Enzel hält die Stiko-Empfehlung nach wie vor für richtig: "Das ist eine Entscheidung klar nach wissenschaftlichen Kriterien." Laut der bisher zur Verfügung stehenden Daten sei der von einer Impfung ausgehende Nutzen in dieser Altersgruppe geringer als anzunehmende Risiken - und zwar im Hinblick auf Individual- sowie Gemeinschaftsschutz, die sogenannte Herdenimmunität.
Ein Grund für diese Bewertung, sagt Enzel: Schwere Covid-Verläufe seien bei Kindern eine Ausnahme - dasselbe gelte für Fälle von Long- und Post-Covid. Der frühere Kinderarzt geht davon aus, dass eine Infektion gerade bei kleinen Kindern häufig nicht bemerkt wird, weil das Virus in dieser Altersgruppe untypisch verlaufe - es werde vor allem über den Darm ausgeschieden, und Ansteckungen über den Stuhl fänden nicht statt.
Ulrich Enzel findet die Einmischung von Politikern unverschämt
Enzel sagt, man könne sicher sein: "Die Stiko steckt ihre ganze Kraft in dieses Thema, sie wird ihre Empfehlung sofort anpassen, sobald neue Erkenntnisse vorliegen." Die Kommunikation in der Pandemie sei zwar an einigen Stellen ungeschickt gewesen, räumt er ein. "Trotzdem kann man von Glück sagen, dass wir solch eine Institution haben, die von hoher Wissenschaftlichkeit geprägt ist." In anderen Ländern wie den USA werde dagegen politisch über das Thema Impfen entschieden. Deshalb hält er es auch für "unverschämt", dass sich deutsche Politiker nun einmischen und versuchen, die Stiko zu einer anders lautenden Empfehlung zu drängen. "Wer keinen Sachverstand in dieser Sache hat, soll ruhig sein."
Unabhängig von der Stiko-Empfehlung steht es Kindern ab zwölf Jahre und ihren Eltern frei, sich nach ärztlicher Aufklärung für eine Impfung zu entscheiden. Kinderärzte berichten, dass die Nachfrage in dieser Altersgruppe zunehme. Auch immer mehr Impfzentren öffnen ihr Angebot.
Myokarditis  
Zuletzt stand der Verdacht im Raum, dass es in Zusammenhang mit der Impfung vor allem bei jungen Männern in seltenen Fällen zu einer Herzmuskelentzündung kommen könnte, einer Myokarditis. Das sei eine Erkrankung, die man in der Gruppe der 13- bis 26-Jährigen sowieso immer bedenken müsse, sagt Enzel – zum Beispiel auch in Verbindung mit einer Influenza. "Wir kennen das." Er rät jungen Menschen, sich nach der Impfung für einige Zeit zu schonen und Sportprogramm lieber einmal ausfallen zu lassen. Grund zu übertriebener Sorge wegen einer solchen möglichen Komplikation bestehe jedoch nicht, sagt Enzel: "Eine Myokarditis heilt von allein aus, wenn man ihr Zeit gibt." 

 
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