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Lebensmittel-Knappheit: Flächenstilllegungen passen nicht in die Zeit

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Erst Corona, nun der Krieg in der Ukraine: Das schärft den Blick für die Selbstversorgung mit Lebensmitteln im eigenen Land. Wo gibt es Reserven?

Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine: Flächenstilllegungen passen nicht in die Zeit.
Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine: Flächenstilllegungen passen nicht in die Zeit.  Foto: Tscherwitschke, Yvonne

Erst Corona, nun der Krieg in der Ukraine: Die internationalen Wirtschaftskreisläufe werden immer wieder empfindlich gestört. Wie ist es um den Grad der Selbstversorgung in Deutschland bestellt? Gibt es genug Anbauflächen? Ist es Verschwendung, Mais für Biogasanlagen zu pflanzen, wenn Raps und Weizen gebraucht werden? Wo sind Reserven?

Flächen stilllegen für Biodiversität

Die Landwirtschaftsämter in den Kreisen Heilbronn und Hohenlohe sehen die Flächenstilllegungen grundsätzlich als wichtige Maßnahmen. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg sollten die Programme aber überprüft werden, fordern die Experten in Hohenlohe. Denkbar wäre für sie eine temporäre Aussetzung der Verpflichtung, Flächen stillzulegen. Schwerwiegender sei die ab 2023 geforderte Stilllegungspflicht in Höhe von vier Prozent der Flächen, bei der keine Bewirtschaftung erlaubt ist.


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Berufsverbände diskutieren

Susanne Gold, Leiterin des Landwirtschaftsamtes Heilbronn, weiß, dass die Berufsverbände darum kämpften, dass die vier Prozent fallen. Der Strategieplan werde noch diskutiert. Sie verweist auf eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung, dass die Stilllegung EU-weit die globale Getreidemenge nur zu 0,4 Prozent beeinflusse.

Keine zusätzlichen Flächen aus der Produktion nehmen

Jürgen Maurer sagt klar: "Es geht nicht darum, künftig mehr Flächen zu nutzen. Es geht darum, zusätzliche, von der Bundesregierung im Rahmen der Agrarreform der EU als verpflichtende vier Prozent stillzulegende Flächen, in der Lebensmittelerzeugung zu halten". Der Vorsitzende des Bauernverbands Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems wird deutlich: "In die jetzige Zeit passt keine Verpflichtung, Flächen aus der Produktion zu nehmen."

Man sollte es den Bauern ermöglichen, im Rahmen der gültigen Umwelt- und Naturschutzregeln ihre Äcker zu bestellen. "Wir wollen regionale Lebensmittel in ausreichender Menge für alle produzieren - auch global gesehen." Niemand brauche Verordnungen, die den Hunger in der Welt vergrößern und der Biodiversität trotzdem nicht nachhaltig gerecht werden würden. "Es macht Sinn, genau die Flächen dafür zu reaktivieren, die wir in den letzten Jahren bereits aus der Produktion nehmen mussten", sagt Maurer.


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Brot für 700 Menschen

Kann man die Mehr-Erträge konkret benennen? "Ohne die vier Prozent Flächenstilllegung könnte ich jährlich 64 Tonnen mehr Weizen ernten. Das sind 80 000 Brotlaibe mit je einem Kilo", rechnet Maurer. Damit wäre der Brotbedarf von 700 Menschen im Jahr gedeckt. Zwei Prozent Flächenstilllegung und vor allem Randflächen, die sich selbst überlassen bleiben, wäre für Stefan Kerner, Vorsitzender des Bauernverbands Heilbronn-Ludwigsburg, der richtige Weg. Er sieht den steigenden Flächenverbrauch kritisch und fordert Photovoltaik auf Dächern. Bleibt die Lage angespannt, dann sollte sich die Fruchtfolge für die Ernte 2023 hin zu Ölsaaten, vor allem Sonnenblumen, verschieben, sagt der Ölmühlen-Betreiber aus Erlenbach.

Nahrung oder Energie?

Mehr Eiweiß- und Ölpflanzen wünscht sich auch Maurer. Da sich die Gesellschaft entschieden habe, aus der Nutzung fossiler und atomarer Energie auszusteigen, gehe es nicht ohne die Verwertung von Biomasse. Momentan werde darüber nachgedacht, die Energieausbeute von Biomasse zu optimieren und aus Biogas nicht Strom, sondern Erdgas zu produzieren, was einen höheren Wirkungsgrad hat. Biomasse bleibe aber unverzichtbar im Energiemix.


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Die Daten und Fakten:

Im Landkreis Heilbronn sind aktuell rund 2000 Hektar ökologische Vorrangfläche, im Hohenlohekreis werden rund 1200 Hektar nicht landwirtschaftlich genutzt, sondern Blühpflanzen zur Förderung der Biodiversität angebaut. In der Regel müssen sich Landwirte für fünf Jahre für die Stilllegung verpflichten. Im Hohenlohekreis werden 2021 auf etwa 5400 Hektar Mais angebaut. Das sind rund 17 Prozent der Ackerfläche.

Biogasanlagen

Die Hälfte ist Körnermais für Tierfutter, der Rest Silomais. Dabei wird die ganze Pflanze geerntet und zum Großteil auch als Futtermittel verwendet. Ein Teil davon geht in Biogasanlagen. Biogas ist im Hohenlohekreis relevanter als im Raum Heilbronn. In Hohenlohe gibt es 23 Biogasanlagen mit einer durchschnittlichen Leistung von 6500 Kilowatt. Von den 23 Anlagen werden acht fast nur mit Gülle betrieben. Im Raum Heilbronn stehen sieben Anlagen. Wenn Pflanzen zugekauft werden müssen, werden zu Beginn eines Jahres Verträge zwischen Anlagenbetreiber und Landwirt geschlossen mit einer Laufzeit von meist einem Jahr.

PV-Anlagen

Auch das Thema Freiflächen-Photovoltaikanlagen ist in Hohenlohe ein größeres. An der A6 gibt es einige Anlagen. 21 Hektar landwirtschaftlicher Fläche sind überbaut, es gibt auch welche auf nicht-landwirtschaftlich genutzten Flächen wie in Steinbrüchen und auf Deponien. Weitere Projekte sind in der Planung. Aktuell gibt es noch keine Agri-PV-Anlagen, die eine zusätzliche Nutzung der Fläche erlauben. Im Raum Heilbronn gibt es weniger fertige Anlagen, kleinere in Widdern und Roigheim, berichtet Susanne Gold. Es seien aber weitere vorgesehen.


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